# taz.de -- Wilde Feiern: Bis zum Sonnenaufgang | |
> In und um Berlin feiern junge Leute illegale Partys. Kurzfristige | |
> Einladungen werden über Onlinenetzwerke verschickt und weisen den Weg. | |
> Etwa in einen verlassenen Neuköllner Schrebergarten. | |
Bild: Mit Musik gehts echt ab: Die Straße als Partyraum | |
Der erste Hinweis ist ein Strichmännchen, gemalt mit Kreide an den Ausgang | |
des U-Bahnhofs Blaschkoallee. Unter der modernen Höhlenmalerei zeigt ein | |
Pfeil nach links. Die menschenleere Straße liegt im düsteren Mondlicht, nur | |
ein einsamer Taxifahrer döst auf der Rückbank seines Wagens. Wenige hundert | |
Meter weiter erleuchtet das weiße Neonlicht einer Tankstelle die Straße. | |
Noch immer ist weit und breit niemand zu sehen, doch auf dem Gehweg findet | |
sich ein zweites Zeichen, wieder eine Kreidezeichnung - erneut ein Pfeil. | |
Erleichterung, die Richtung stimmt. Für den nächsten halben Kilometer | |
bleiben die einzigen Wegweiser große gelbe Verkehrsschilder, die auf den | |
nahen Flughafen hinweisen. | |
Nervosität macht sich breit. Ist die Spur verloren? Dann jähe Begeisterung, | |
einer aus dem Sucherfeld will das Wummern von Bässen gehört haben. Der | |
kleine Partytrupp steht wie versteinert. Urplötzlich brechen zwei | |
sturzbetrunkene Halbstarke aus dem Dickicht nahe der Straße. Sie wollen | |
Zigaretten, doch viel wichtiger: Sie kennen den Weg. | |
Und tatsächlich, hinter den Büschen führt ein kleiner Weg weg von der | |
Straße, der Gang wird schneller. Plötzlich sind die Bässe da, jetzt lärmen | |
sie deutlich hörbar durch das Dickicht. Auf einer Lichtung sitzt eine | |
kleine Gruppe, die Jugendlichen lassen Joints und Flaschen von der | |
Tankstelle kreisen. Weitergehen und dann weg von dem kleinen asphaltierten | |
Weg, rein ins Unterholz der Musik entgegen. Geduckt durch die Büsche, bis | |
sich das Gestrüpp lichtet und sich der Schatten einer verfallenen Hütte | |
gegen den Himmel abzeichnet. Der Rand der verlassenen Schrebergartenkolonie | |
ist erreicht und die Party plötzlich ganz nah. Überall sitzen kleine | |
Grüppchen verteilt, im Gras oder lässig an eine der alten Bretterbuden | |
gelehnt. Die ersten bunten Laternen tauchen ihre Gesichter in warmes Licht, | |
während die Partygäste neugierig die Neuankömmlinge mustern. Nur noch um | |
die letzte Ecke biegen, Vorsicht vor den unzähligen Stolperfallen. Die | |
Gruppe hat ihr Ziel erreicht. | |
Der Hinweis zur Party fand sich wie so oft bei den illegalen Open Airs in | |
und um Berlin im Internet. In Foren wie [1][restrealität.de] und | |
geschlossenen Gruppen bei Facebook machen die Veranstalter meist erst kurz | |
vorher auf ihre Partys aufmerksam. Mal sollen Besucher wie in dieser Nacht | |
Hinweisen folgen, ein anderes Mal erhalten die Mitglieder der | |
passwortgeschützten Online-Communities Koordinaten und werden bei Google | |
Maps fündig. So finden Hunderte den Weg zu den geheimen Orten. | |
Dieses Mal haben sich etwa 50 Studenten und Rucksacktouristen um einen | |
kleinen Pavillon gruppiert, jemand hat ihn liebevoll mit Leuchtstäben, | |
Papierlaternen und Fackeln dekoriert. Unter der weißen Plastikplane reckt | |
ein DJ seinen Arm und lässt die ersten Takte einer Popnummer aus den 90ern | |
durch die Boxen sausen. Einige tanzen ausgelassen, doch noch üben sich die | |
meisten Besucher in Zurückhaltung. In der einen Hand die Flasche und die | |
andere tief in die Hosentasche vergraben, stehen sie da und wippen mit dem | |
Fuß. An der Bar gilt es, eine Entscheidung zu treffen, es gibt Berliner | |
Kindl und Club-Mate-Wodka aus der Flasche. | |
Während er wartet, bis seine Gäste einen großen Schluck Mate aus der | |
Flasche genommen haben, um Platz für den Wodka zu schaffen, erzählt der | |
reichlich desorientierte Barmann, dass gerade die Polizei hier gewesen sei. | |
Allerdings hätten die Beamten lediglich darum gebeten, die Lautstärke zu | |
drosseln, eine kleine Überraschung, denn bei solchen Veranstaltungen zeigt | |
sich die Staatsmacht selten tolerant. Einige Besucher seien schon beim | |
Eintreffen der Beamten ins Unterholz verschwunden, sicher hätten manche die | |
Nachricht übers Handy erhalten und seien gar nicht erst gekommen, denn | |
gewöhnlich sei hier mehr los. Ob er der Organisator des illegalen Open Airs | |
sei? Der junge Mann mit Berliner Schnauze verneint und möchte lieber nicht | |
mehr reden. | |
Die liebevolle Dekoration, der heimelige Schrebergarten, das Knistern eines | |
Lagerfeuers und das Knattern eines Stromgenerators, all das erinnert in | |
dieser Nacht sehr an die Partys, die Jugendliche von Bayern bis | |
Niedersachsen feiern, kurz bevor sie ausschwärmen in die Studentenstädte | |
des Landes. Über der Party im Süden Neuköllns hängt unbestreitbar ein | |
Gefühl von Dorfjugend. Nur, dass sich Besucher auf Spanisch, Französisch | |
und Englisch unterhalten und mit großer Wahrscheinlichkeit keiner von ihnen | |
hier morgen aufräumen wird. Achtlos fliegen leere Flaschen, | |
Zigarettenstummel und Müll ins Gras. | |
Die Schrebergartenkolonie, in der immer wieder solche illegalen | |
Open-Air-Partys stattfinden, ist groß genug, dass jeder seinen Platz zum | |
Knutschen findet und doch niemand verloren geht. Die nicht mehr genutzten | |
Gärten laden zu mutigen Entdeckungstouren ein, und der brummende Bass weist | |
auch im Finsteren den Weg zurück. | |
Nun kann man sich zu einer der Gruppen ins Gras gesellen und beobachten, | |
wie sich die kleine Fläche vor dem Pavillon füllt, wie Mädchen lachen und | |
mit ihren Armen und Beinen Schatten in das Mondlicht zeichnen. So kann man | |
gedankenverloren warten, bis sich die Luft zwischen den Bäumen erst grau | |
färbt und dann schließlich von der Sonne in goldenen Glanz getaucht wird. | |
Oder man stürzt sich mitten hinein, reißt die Arme hoch, bewegt sich zu | |
Musik, die vor rund 15 Jahren die Radiocharts bestimmt hat und von den DJs | |
liebevoll beschleunigt wird. Kühlt die trockene Kehle aus der Flasche, bis | |
man sich wirklich noch einmal wie 18 fühlt, wenn man beim Barmann einen | |
Becher Wasser kauft und das verschwitzte T-Shirt durchtränkt. | |
Irgendwann, weit nach Sonnenaufgang, ist es vorbei. Die Gesichter zeigen | |
Erschöpfung, die Bewegungen vor den Plattentellern werden langsamer, und | |
müde Augen suchen im Gras nach verlorenen Handys, Schlüsseln und | |
Feuerzeugen. Die Luft ist eiskalt. | |
Der Rückweg ist beschwerlich, zwar ist die Strecke bekannt und die Sonne | |
zeigt den zusammengekniffenen Augen den Weg, doch nach den letzten Stunden, | |
nach dem Tanzen und Sichverlieren werden die Stolperfallen aus Gestrüpp und | |
verwitterten Beetbegrenzungen zum ernsten Problem. Also geduckt und | |
fluchend zurück zur Straße, vorbei an der Tankstelle und sich einreihen in | |
die Prozession der Schwankenden, die sich am U-Bahnhof verliert. | |
In der Bahn werden die Schrammen und Kratzer gezählt, das T-Shirt eignet | |
sich nun bestens für eine Waschmittelwerbung, und in den Ohren hat sich ein | |
lautes Summen festgesetzt. Unendlich müde zwischen den ersten | |
Sonntagsausflüglern sitzen, hoffen, dass man nicht einschläft, und | |
strahlen, weil man gerade etwas Wunderbares und herrlich Verbotenes getan | |
hat. | |
27 Jul 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.restrealitaet.de | |
## AUTOREN | |
Jakob Wais | |
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