| # taz.de -- Japanischer Thriller "Geständnisse": Die Niedertracht der Menschen | |
| > Eine Tokioter Lehrerin nimmt für den Tod ihrer Tochter Rache an ihren | |
| > Schülern. Doch die soziale Ordnung ist schon vor der tödlichen Revanche | |
| > längst aus den Fugen. | |
| Bild: Schüttet ihren Schülern HIV-infiziertes Blut in die Milch: Lehrerin Mor… | |
| Milch für alle, verkündet die Lehrerin vor ihrer Klasse. Mit der Kampagne | |
| "Milchprodukte für Mittelschüler" will das japanische Bildungsministerium | |
| das Bewusstsein für eine ausgewogene Ernährung stärken. Doch Jugendliche | |
| interessieren sich nicht für Nährwerttabellen, diese Aufgabe ist der | |
| Schulpädagogik vorbehalten. Entsprechend unaufmerksam reagieren die Schüler | |
| auf die Lehrerin. Sie machen Lärm, schmeißen mit Papierkugeln und schreiben | |
| unter dem Tisch Textnachrichten. | |
| Ruhiger wird es in der Klasse erst, als Frau Moriguchi ihre Ansprache | |
| fortsetzt. Sie erzählt von dem mysteriösen Unfalltod ihrer kleinen Tochter | |
| und dem Vater, einem Lehrerkollegen, der sich mit HIV infiziert hatte. Da | |
| horcht die Klasse erstmals auf, während Frau Moriguchi ungerührt | |
| weiterspricht. Sie wisse, dass der Tod ihrer Tochter kein Unfall war, sie | |
| kenne sogar die Mörder. Die beiden säßen hier im Klassenzimmer. A und B | |
| nennt sie sie. A und B fühlten sich sicher, weil die Justiz Minderjährige | |
| nicht belangen kann. Für sie, die Mutter, gelte das jedoch nicht. | |
| Mit diesem halbstündigen Monolog eröffnet Tetsuya Nakashima seinen Film | |
| "Geständnisse" und schildert darin bereits auch die soziale Dynamik | |
| zwischen den Jugendlichen. Je länger Frau Moriguchi mit ruhiger Stimme | |
| spricht, desto weiter entfernen sich Sprech- und Bildebene des Films | |
| voneinander. Die Montage besteht aus fluiden, elliptischen Bewegungen, sie | |
| greifen der Geschichte der Lehrerin vor, springen zurück, schließen Lücken | |
| in der Erzählung und schweifen mitunter ab, als suche der Regisseur in der | |
| Poesie der Bilder einen Ausweg aus der Tragik der Ereignisse, auf die der | |
| Film zusteuert. | |
| Diese Bilder sind genauso kühl wie der Tonfall, in dem die Lehrerin ihren | |
| Plan vorträgt: Es dominiert ein bläuliches Grau, teilweise in extremer | |
| Zeitlupe gefilmt, die konkrete Gesten zu Formen auflöst. Wenn sich der | |
| Regen dann Bahn bricht, erinnert Nakashimas Ästhetik ein wenig an | |
| Werbefotografie der neunziger Jahre. Doch die distanzierte Kälte beschreibt | |
| auch eine atmosphärische Störung. Auf dem Schulhof wird ein Junge bei Regen | |
| von Schulkameraden verprügelt. Die soziale Ordnung ist erschüttert, lange | |
| bevor Moriguchi ihren Racheplan preisgibt. Sie hat das HIV-infizierte Blut | |
| des Kindesvaters in die Milch der beiden Täter gemischt - um sie den Wert | |
| des menschlichen Lebens zu lehren. | |
| "Geständnisse" ist ein perfider kleiner Horrorfilm über Flüssigkeiten und | |
| Infektionsparanoia. So wie die Menschen mit der AIDS-Problematik umgehen, | |
| könnte man allerdings meinen, Japan stecke noch tief in den achtziger | |
| Jahren. Das Bild von Blut, das sich langsam in Milch auflöst, gehört zu den | |
| wiederkehrenden Motiven des Films, wie eine hartnäckige Erinnerung, die | |
| sich einfach nicht verdrängen lassen will. Nakashima spielt viel mit | |
| solchen Erinnerungsbildern. Die angenehmen sind in warmen Farben gehalten, | |
| wie alte Super-8-Aufnahmen; die weniger schönen drehen sich meist um Blut. | |
| So wird die Erinnerung selbst zum erzählerischen Subjekt, je mehr sich die | |
| Sprache von den Bildern ablöst. | |
| ## Milch und Blut | |
| Die Diskrepanz zwischen Sprechen und Zeigen stiftet Verwirrung, legt | |
| falsche Fährten. Den Bildern kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu, | |
| weil sie - wenn sie sich mal nicht mit dem bloßen Abbilden begnügen - als | |
| eigene Erzählung fungieren, als Korrektiv. Da der Film ständig die | |
| Erzählperspektive wechselt, werden die Bilder je nach Betrachter mit immer | |
| neuer Bedeutung aufgeladen, die selbst Fragen der Moral entkräftet. Die | |
| Niedertracht der Menschen wird nur noch von ihrer eigenen Tragik | |
| übertroffen. | |
| Der Horror ist bei Nakashima sozial konnotiert. Die Blutmetapher verweist | |
| auf die Familie als eigentlichen Infektionsherd: Die Rache der Lehrerin ist | |
| weniger viraler denn psychosozialer Natur. Ihr Plan zieht immer weitere | |
| Kreise, er zirkelt das Umfeld der Schule ab - doch je mehr Nakashima die | |
| Hintergründe der kaltblütigen Tat entblättert, zur Wahrheit vorstößt, desto | |
| weiter verlagert sich der Ausnahmezustand in die Familie. "Mein Blut ist in | |
| dir", erklärt die Mutter von Schüler A ihrem Sohn einmal. An dieser Bürde | |
| zerbricht er schließlich. Schüler B wiederum muss seine Mutter, bis aufs | |
| Blut, vor der Liebe zu ihrem infizierten Sohn schützen. | |
| Wie Nakashima solche Mikrokonflikte zu einer komplexen Rachegeschichte | |
| verspinnt, die bis in das gesellschaftliche Leben hineinwirkt, das zeugt | |
| schon von einer großen erzählerischen Konsequenz. Der Film endet angemessen | |
| mit einem fulminanten Knall, natürlich in Zeitlupe. Dem Geräusch, das | |
| entsteht, wenn etwas Bedeutendes sich unwiderruflich auflöst. | |
| "Geständnisse (Confessions)". Regie: Tetsuya Nakashima. Mit Takako Matsu, | |
| Masaki Okada u. a. Japan 2010, 106 Min. | |
| 28 Jul 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Busche | |
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| Schwerpunkt Berlinale | |
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