Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Deutscher Tischtennis-Topspieler in China: Timo Bolls letzte Chance
> In China ist Timo Boll ein Star, mit seinem Team aus Hangzhou kämpft er
> um die chinesische Meisterschaft. Und er quält sich, um 2012 in London
> eine Medaille zu gewinnen.
Bild: Aufschlag – und am Ende soll eine Medaille rausspringen.
BERLIN taz | Eine Sommerpause sieht wirklich anders aus. Timo Boll schwitzt
und schuftet in Hangzhou, einer 6,8-Millionen-Einwohner-Metropole im Osten
Chinas, in der Nähe von Schanghai. Für die Mannschaft Zhejiang steht der
Tischtennisprofi in der chinesischen Superliga am Tisch. "Die meisten
meiner europäischen Kollegen sind nach der langen Saison in den Urlaub
geflogen, auch ich war platt und ausgelaugt."
Aber jetzt ist Boll in China, spielt und trainiert wie wild. "Das war schon
hart am Anfang." Bolls Euphorie bei Antritt seines dritten Engagements in
der stärksten Liga der Welt vor fünf Wochen, sie hielt sich in Grenzen.
Timo Boll hat ein Ziel vor Augen: Er will die chinesische Dominanz
durchbrechen. Mal wieder. In London wäre es an der Zeit. Die schiere
Unbezwingbarkeit der chinesischen Elite lähmt den Tischtennissport mehr
denn je: 11 der letzten 12 olympischen Goldmedaillen räumte China ab. Ein
erstes Ausrufezeichen setzte der Hesse bei den Weltmeisterschaften in
Rotterdam im Mai; er gewann Bronze. Dieser Triumph hat Boll von einer
schweren Last befreit. Endlich gab es das erste Edelmetall bei einem ganz
großen Turnier. Und der Erfolg hat ihn angespornt. In London soll nicht im
Halbfinale Endstation sein. Warum auch? Erstmals dürfen nur zwei anstatt
bisher drei Chinesen starten, eine Medaille ist dem Rest der Welt dank der
Neuregelung des Weltverbands jetzt schon sicher.
## Bolls letzte Chance auf eine Medaille
Über zwölf Monate sind es noch bis zum ersten Aufschlag in England, für
Boll beginnt aber jetzt schon die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele.
Es sind seine letzten als Medaillenanwärter. Zehn Wochen quält er sich im
Land derer, die aus Europa einzig ihn fürchten. "Ich will den letzten Kick
rausholen, dafür bin ich hier. Im Hinblick auf London ist es das Beste, was
ich machen kann", sagt der mehrmalige Europameister über seine Reise ins
Reich der Mitte, die letzte vor dem Showdown in 2012: Im Olympiajahr wird
der Ligabetrieb in China eingestellt, das Training der Auserwählten
hermetisch abgeschirmt.
Auch die Funktionäre des deutschen Tischtennisverbands wissen um die
Vorteile eines längerfristigen China-Besuchs. Deshalb lockerte man vor
einigen Jahren das Reglement, nach dem ein in Deutschland gemeldeter Athlet
nicht im Ausland spielen durfte. Seine Mannschaftskollegen und täglichen
Trainingspartner kennt Boll bestens: Ma Lin zum Beispiel, mehrfacher
Weltmeister und aktueller Olympiasieger. Gegner dieser Klasse gibt es in
Europa nicht. "Wenn du mit den Jungs hier trainierst, musst du in jedem
Ballwechsel ans Limit gehen. Besonders am Anfang habe ich mich gefragt:
,Puh, was ist hier denn los, was ist das hier für ein Tempo und eine
Schlaghärte?'" In Deutschland ist es der Wahl-Düsseldorfer, der seine
Gegner in Wettkampf und Training oft beliebig beherrscht.
Tage ohne Tischtennis gab es bislang keine für Boll, einen von nur acht
Ausländern, die in der chinesischen Superliga durch die Box flitzen dürfen.
Das Liga-System ist stark komprimiert. Zwischen den Spieltagen liegen oft
nur wenige Tage. Die werden trotz langer Reisen und müdem Körper mit
intensiven Trainingseinheiten gefüllt. Zeit für Pausen und Regeneration?
Fehlanzeige. Für die Spieler der besten Liga der Welt ist das nicht
ungewöhnlich - für Timo Boll schon. Zwei Einheiten pro Tag seien selbst vor
den Ligabegegnungen normal, schildert Boll. "Auch morgens vor den Spielen
wird trainiert. Und zwar um halb neun. Das ist eine brutale Zeit für mich."
Doch nicht der Umfang ist neu, die Intensität im Training macht den
Unterschied. "In ihrer Nationalmannschaft fahren die dann noch einen ganz
anderen Kurs", weiß Boll von den Berichten seiner Kollegen.
## Boll hat in der chinesischen Liga dreimal verloren
Boll kann in der Liga bestehen. Nur dreimal musste er bislang seinen
Gegnern zum Sieg gratulieren. Mit Zhang Jike und Wang Hao waren das keine
No-Names. In Rotterdam standen die zwei Chinesen im Finale und zeigten
Tischtennis von einem anderen Stern. Seine sechs Einzelsiege bewertet auch
der sonst zurückhaltende Boll sehr positiv, obwohl er viele seiner
Kontrahenten gar nicht kennt. Dass die jungen, international ganz und gar
unbeschriebenen Profis die eigenen Auswahlspieler bezwingen, ist keine
Seltenheit. "Gegen mich gehen alle natürlich mit einer Extraportion
Motivation in die Box. Die Jüngeren sind zum Glück oft nervös, wenn es eng
wird. Die knappen Sätze habe ich eigentlich alle gewonnen", bilanziert der
neunmalige deutsche Einzelmeister.
Auch deshalb hat der 30-Jährige den fest eingeplanten Urlaub mit seiner
Frau Rodelia verlegen und verkürzen müssen - zu wichtig ist dem
chinesischen Clubmanagement der Einsatz Bolls, zu wichtig seine Punkte, die
er seit Anfang Juli regelmäßig beisteuert. Die Qualifikation für die
Play-offs ist dem Team Zhejiang inzwischen nicht mehr zu nehmen. Am letzten
Spieltag an diesem Wochenende fehlt Boll deshalb in der Aufstellung des
Tabellenzweiten. Ein fünftägiger Erholungstrip auf die Insel Hainan wurde
dem Deutschen gestattet. Endlich Zeit, um durchzuatmen und abzuschalten.
Aber bereits am kommenden Freitag gehts in den Halbfinalspielen der
Play-offs dann ums Ganze.
## In China ist Boll ein Star
Nicht nur das Training ist anders als in Deutschland. Auch die Reisen zu
den Auswärtsspielen per Flieger und das Wohnen im Hotel sind nicht
alltäglich für Boll, der durch Einladungsturniere, PR-Termine und
internationale Wettkämpfe ein China-Kenner ist. "Wir haben hier zwar einen
Fahrer, der 24 Stunden für uns bereitsteht, viel von der Stadt habe ich
aber nicht gesehen", sagt Boll. Das hat einen Grund. In Deutschland besitzt
der Borussia-Dortmund-Fan höchstens in seinem Heimatörtchen Höchst im
Odenwald Promi-Status, in China erkennt ihn dagegen jedes Kind.
Der eher scheue Hesse will den Trubel um seine Person meiden und zeigt sich
deswegen selten in der Öffentlichkeit. Das ist ein Beleg für Bolls
Naturell, keinesfalls Ausdruck von Desinteresse. Im Gegenteil: Seit Monaten
übt sich Boll in der Sprache seiner Kontrahenten. Von fließender
Konversation sei er zwar weit entfernt, "aber wenn ich merke, das ich auch
etwas Chinesisch einstreuen kann, dann mache ich das". Seine Aussprache
sorgt dann für einige Lacher, aber grundsätzlich finden es seine Kollegen
toll, wenn er über ein "Ni Hao" zur Begrüßung hinausgeht. Sein Ansehen kann
der Deutsche eh kaum noch steigern. Die Chinesen lieben ihn für seine
Gelassenheit und sein faires Auftreten am Tisch. Und über das Aussehen des
eher unauffälligen Ballkünstlers bestehen eh keine zwei Meinungen: 2007
wählten ihn die Chinesen zum attraktivsten Sportler der Welt - noch vor
David Beckham.
Immer wieder aufs Neue begeistert ist der Linkshänder von der Stimmung in
den Hallen, von der Organisation, von der Aufmachung, vom Drumherum. Jedes
Spiel sei ausverkauft gewesen bisher, bis zu 6.500 Fans seien da. Das weckt
dann auch Timo Bolls Euphorie. Sie sollte sich jetzt zwölf Monate halten.
29 Jul 2011
## AUTOREN
Lennart Wehking
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tischtennisprofi Boll über die WM: „Jeder muss über sich hinauswachsen“
Der Ausnahmekönner Timo Boll erklärt, warum das deutsche Team bei der
Tischtennis-WM in Dortmund schwer zu bezwingen sein wird und wie man China
ins Wanken bringt.
Tischtennis-WM in Rotterdam: Ding, Chen, Ma und Zhang
Gegen die geballte Übermacht aus China hat selbst ein Timo Boll keine
Chance. Dennoch gewinnt der 30-Jährige eine Bronzemedaille und wetzt damit
eine Scharte aus.
Tischtennisspieler Timo Boll: "In der Chinesen-Klasse"
Ausnahmespieler Timo Boll möchte bei der Tischtennis-WM endlich eine
Einzelmedaille gewinnen. Dafür verzichtet er sogar auf einen Start im
Doppel.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.