# taz.de -- Elektro-Musiker Sohrab: Der Sound der Isolation | |
> Der Klang des Teheraner Produzenten Sohrab ist schwerelos. Aus dem Iran | |
> musste er fliehen. Er lebt in Prenzlau, darf nicht auftreten und ist akut | |
> von Ausweisung bedroht. | |
Bild: "Landschaften in Iran", fotografiert von Sohrab Karimi Asli. | |
Tee trinkt er mit Bedacht, an der Zigarette zieht er hastig. Sohrab, sein | |
Name kann "rotes Wasser" oder auch "Blut" bedeuten, trägt eine | |
Kapuzenjacke, als wollte er sich in das Kleidungsstück zurückziehen. Im | |
Oktober 2010 spielte er im Berliner Berghain als letzter Künstler auf der | |
Labelnacht seiner britischen Plattenfirma Touch und blickte während des | |
Auftritts ständig in den Laptop; Blickkontakt mit dem Publikum vermied er. | |
Das war weder Autismus noch Künstlerpose geschuldet: Sohrab, geboren 1984 | |
in Teheran, ist Kriegskind und Flüchtling. | |
Er war sieben Jahre alt, als der Iran-Irak-Krieg endete. Seine Eltern | |
hatten als Linke an der Revolution von 1979 teilgenommen. Er sagt, er | |
empfinde eine tiefe Traurigkeit für ihre Generation. Bevor aus dem | |
Kriegskind ein Flüchtling wurde, tat Sohrab, was seit 1977 nicht wenige | |
junge Menschen tun, wenn sie sich mit einer korrumpierten Utopie und einer | |
untragbaren Realität konfrontiert sehen: Mit seinem Bruder und einem Freund | |
startete er eine Punkband. Sie nannten sich Fat Rats. Sohrab: "Uns ging es | |
weniger um Musik als um heftigen Ausdruck." | |
Die Fat Rats spielten in zwei Jahren gerade eine Handvoll Konzerte vor 10 | |
bis 50 Zuhörern. Das letzte wurde von der Polizei abgebrochen; sie | |
konfiszierte die Instrumente. Die Musiker mussten bezahlen, um sie zerstört | |
zurückzukriegen. Anhören kann man sich ihre Musik trotzdem: Auf der 2004 | |
beim Pariser Label Tian An Men 89 (es ist auf Punk aus Ländern | |
spezialisiert, in denen man ihn nicht vermutet) erschienenen Compilation | |
"1382: The Persian New Waves" beenden sie die A-Seite mit einem | |
Zwei-Minuten-Kracher. Von der Existenz des Albums erfuhr Sohrab aus dem | |
Internet. Er selbst besitzt erst seit wenigen Wochen zwei Kopien. | |
## Schwerelose, spirituelle Musik | |
Mit dem nihilistischen Furor des Punk hat die elektronische Musik, die | |
Sohrab seit dem erzwungenen Ende der Fat Rats veröffentlicht, wenig zu tun. | |
Der Sound seines Ende 2010 erschienen Debütalbums "A Hidden Place" ist der | |
der Isolation, einer stillen Einkehr nach dem Ausbruch. Die Musik klingt | |
schwerelos und ist spiritueller Natur. An einer Stelle sampelt Sohrab | |
Andrei Tarkowskis "Andrej Rubljow". Er interessiert sich für Russland und | |
ist begeisterter Maxim-Gorki-Leser. | |
Sohrabs Musik führt westliche Vorstellungen des Ostens ad absurdum: Der | |
Rezensent eines deutschen Magazins, der im Titeltrack den Muezzin rufen | |
hörte, wird nicht alleine gewesen sein. Sohrab lacht und korrigiert: Das | |
durchdringende Sprachsample hat er auf einer Reise per Anhalter in den | |
Norden des Iran aufgenommen. Die Rufe dienen der Kommunikation zwischen den | |
Dorfbewohnern der grünen Talesh-Region in der Nähe des Kaspischen Meeres. | |
Seine gefundenen Sounds bettet Sohrab in repetitive, karge | |
Keyboardstrukturen. | |
Am Anfang der Sohrabschen Minimalästhetik standen auch praktische | |
Beweggründe: Er konnte in seinem Teheraner Zimmer mit wenig Equipment für | |
sich produzieren und brauchte weder einen Proberaum noch musste er ein | |
Studio mieten. Als seine wichtigsten Einflüsse aus der elektronischen Musik | |
nennt er den Briten Brian Eno und den Kölner Wolfgang Voigt (Gas, Mike | |
Ink); dann den norwegischen Musiker und Fotografen Geir Jenssen, bekannter | |
unter dem Namen Biosphere. | |
## Asylantrag abgelehnt | |
Auch Jenssen veröffentlicht bei Touch Music. Eines Tages traute sich Sohrab | |
und schickte dem Londoner Label wöchentlich über Internet je eines seiner | |
Soundfiles. Touch zeigte sich interessiert. Er sagt, er habe die | |
glücklichste und traurigste Zeit seines Lebens durchlebt. Er war glücklich, | |
als sein Debütalbum erschien und er nach Berlin reisen durfte. Touch | |
übrigens wunderten sich, dass ein Künstler dieser Tage noch ein Visum | |
bräuchte, um ein Konzert bestreiten zu dürfen. | |
Die traurigste Zeit: Sohrab musste Teheran verlassen. Er sei wahnsinnig | |
geworden in seiner Heimatstadt. Seine Entfremdung - er hatte an den | |
Protesten gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen vom Juni 2009 | |
teilgenommen und war inhaftiert worden -, war mehr als eine politische: Er | |
wusste, dass er nicht der Einzige war, der im Abseits alleine vor sich hin | |
wurschtelte, doch war kein Kontakt möglich. | |
## Zermürbendes Verfahren | |
Nach seinem Konzert im Berghain beantragte Sohrab in Deutschland Asyl. | |
Hinter ihm liegen mehrere Monate eines zermürbenden Verfahrens. Es hat | |
Spuren hinterlassen: "Ein Gang durch die Straßen zeigt mir, dass ich | |
isoliert bin." Auftritte sind ihm in Deutschland verwehrt. Zum Komponieren | |
kommt er, obwohl es ihm nicht leicht fällt. Er überlegt, sein nächstes | |
Album "Recordings from heim" zu nennen: Er lebte zuerst in einem | |
Auffanglager in Eisenhüttenstadt und ist jetzt in Prenzlau untergebracht. | |
Sein Asylantrag ist in erster Instanz abgelehnt worden. | |
Um die Anwaltskosten des laufenden Verfahrens bezahlen zu können, hat er | |
unlängst einen auf der Touch-Website verfügbaren kurzen Track | |
veröffentlicht: "Shouting at Dictators" schlägt rauere Töne an. Sohrab | |
verwendet Samples nächtlicher Demonstrationen in Teheran. Die Menge ruft | |
"Allah u Akbar" ("Gott ist groß"") und "Mag bar diktator" ("Tod dem | |
Diktator"), die Stimmung ist bedrohlich und gespenstisch. | |
Mittlerweile haben sich Künstler wie J.G. Thirlwell und Jóhann Jóhannsson | |
mit Sohrab solidarisiert und zwei Remix-Alben zusammengestellt: Auch | |
sämtliche Einnahmen von "You Are Not Alone l & II" sind für seinen Prozess | |
gedacht. Sollte Sohrab vor Gericht scheitern, wird er in den Iran | |
zurückgeführt und mit großer Wahrscheinlichkeit bereits am Flughafen | |
verhaftet werden. Touch sieht den rigiden Umgang der deutschen Behörden mit | |
Sohrab als Zeichen eines deutlichen Rechtstrends in Europa. Sohrab Karimi | |
Asli selbst - er spricht, wie seine Musik klingt, vorsichtig - wird an | |
einer Stelle deutlich und hebt die Stimme: "Ich bin nicht in dieses Land | |
gekommen, um zu konsumieren. Ich möchte geben, nicht nehmen." | |
Sohrab "A Hidden Place" (Touch/Cargo) | |
2 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Robert Miessner | |
## TAGS | |
Gedicht | |
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