| # taz.de -- Horst Mahler und die Stasi: Naivität mit starkem Pathos | |
| > Horst Mahler hat zugegeben, IM der Stasi gewesen zu sein. Welche Hinweise | |
| > darauf gibt es in den Unterlagen der Staatssicherheit? Eine | |
| > chronologische Rekonstruktion. | |
| Bild: Hat wirklich alles in der nachkriegsdeutschen Geschichte mitgenommen: Hor… | |
| Horst Mahler kam von rechts, durchstreifte einen abwechslungsreichen Bogen | |
| linker, linksradikaler und terroristischer Organisationen, um dann wieder | |
| ganz rechts zu enden. Seine entscheidenden Feinde sind dabei gleich | |
| geblieben: Israel und der US-Imperialismus. Laut Berliner Zeitung hat Horst | |
| Mahler nun eingeräumt, ab 1967 für die Stasi gearbeitet zu haben. | |
| Die zugänglichen Stasi-Akten offenbaren, dass auch schon vor 1967 eine Nähe | |
| zum DDR-Geheimdienst bestand. Die Rolle Mahlers in der Radikalisierung und | |
| Militanz der Studentenbewegung zeigt ihn, mit neuem Blick, als einen | |
| unermüdlichen Motor des Geschehens. | |
| Die zu Mahler gesichtete Akte des Stasi-Unterlagen-Archivs ist schmal und | |
| ausgedünnt. Aus der nach 1989 angelegten Seitennummerierung fehlen, wie in | |
| allen dem Antragsteller herausgegebenen Stasi-Akten zum Terrorismus, | |
| Blätter, Sätze, Abschnitte, Namen, die von der Behörde geschwärzt wurden. | |
| Doch selbst was dem Forscher in Sachen Horst Mahler bleibt, offenbart | |
| unverhofft Interessantes. Zwischen 1964 und 1970, also für die Hochzeit der | |
| Studentenbewegung, findet sich zu Mahler keine Akte. Die wenigen | |
| vorhandenen Stasi-Unterlagen beziehen sich hauptsächlich auf die frühen | |
| 1960er Jahre. | |
| Als Jurastudent wird Mahler 1954 in Berlin Mitglied der schlagenden | |
| Verbindung Thuringia. Doch da diese an der Freien Universität Berlin | |
| verboten ist, muss er, als er 1956 Mitglied der SPD wird, austreten. Zur | |
| gleichen Zeit tritt er dem "Sozialistischen Deutschen Studentenbund" (SDS) | |
| bei, wo er sich Anfang der 60er als SED-naher Linker exponiert. Doch das zu | |
| Linke gefällt der SPD so wenig wie das zu Rechte und Mahler wird 1961 aus | |
| ihren Reihen ausgeschlossen. Er wechselt zur "Vereinigung Unabhängiger | |
| Sozialisten" (VUS), die sich an einem dritten Weg zwischen den Blöcken | |
| orientierte, und gründet zielgerichtet deren Berliner Sektion. Bald | |
| kursiert, dass diese Organisation von der SED-West dominiert sei. | |
| ## Gründen, spalten, auflösen | |
| Für den weiteren Werdegang des Horst Mahler sollte es kennzeichnend werden, | |
| dass er Organisationen permanent wechselte, neu gründete, spaltete, | |
| auflöste, austrat. Sein Weg – und die Akte – zeigt ihn als Taktiker der | |
| Zuspitzung und Spaltung, und zwar so konsequent und dauerhaft, als ob er | |
| einen höheren Auftrag dafür hatte. | |
| Die Stasi holte sich ihre Informationen über Mahler von der Quelle IM | |
| "Erich". 1994 wurde "Erich" als Dietrich Staritz enttarnt, er war nach 1968 | |
| Spiegel-Redakteur und später Professor für DDR-Geschichte an der | |
| Universität Mannheim. | |
| Ein Stasi-Bericht kommentiert Mahlers Auftreten auf einem Berliner | |
| SDS-Seminar im Jahr 1962, es bestünde der "berechtigte Verdacht", dass "der | |
| Horst Mahler als Provokateur von irgendwelchen Stellen vorgeschickt wird". | |
| Er sei dabei, einen Verschmelzungsprozess zwischen dem SDS, dem | |
| Sozialistischen Bund und der Vereinigung Unabhängiger Sozialisten | |
| voranzutreiben. | |
| Mahler verfolge eine Taktik und habe es gar verstanden, den alten Vorstand | |
| "zum Rücktritt zu veranlassen". Er vertrete den Standpunkt, "dass früher | |
| oder später die SED die führende Rolle in Westberlin ausüben wird". Er | |
| würde "mit einer geradezu überraschenden Naivität Kernsätze des | |
| Marxismus-Leninismus (…) mit starkem Pathos" vortragen, sodass nun schon | |
| ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn laufe. Er würde "in aller Offenheit | |
| politische Ansichten" vertreten, "die sich kaum von denen der SED | |
| unterscheiden". Horst Mahler sei auch ein Jahr zuvor schon bei den | |
| "Falken", der SPD-Jugendorganisation, mit einem ähnlichen Auftreten | |
| aufgefallen. | |
| ## Zur Schau gestellte SED-Nähe | |
| Diese Statements zeigen eine frühe zur Schau gestellte Nähe zur SED. Am 13. | |
| November 1962 ist die Mahler-Stasi-Connection so eng, dass man eine | |
| IM-Vorlaufakte mit der IM-Registriernummer XV 5199/62 anlegt. Aus dem | |
| jungen Gerichtsreferendar soll ein Stasi-Agent werden. | |
| Horst Mahler hatte sich als Anwalt auf Wirtschaftsrecht spezialisiert. Das | |
| interessierte die Stasi, die am 9. Oktober 1963 seitens der HA XVIII | |
| (Abteilung für Sicherung der Volkswirtschaft der DDR) ein Gespräch mit | |
| Mahler führt, indem es um die Rechtsvertretung bei Gerichtsprozessen in | |
| Sachen "Außen- und Innerdeutscher Handel" ging. Die Akte vermerkt: "In der | |
| Folgezeit wurde auch dem Rechtsanwaltsbüro Scheid, wo M. tätig ist, ein | |
| konkreter Auftrag der Rechtsvertretung übergeben." | |
| Mit der Eröffnung seiner eigenen Kanzlei 1964 vertrat Mahler bis 1968 | |
| Berliner Unternehmen und machte "gut Kohle", wie sich alte Mitstreiter | |
| erinnern. Am 20. November 1964 wird in der Diensteinheit HA XX/6 der | |
| Beschluss gefasst, die IM-Vorlaufakte einzustellen. | |
| "Mit dem Kandidaten wurde von der HA XVIII mit unserer Zustimmung ein | |
| Kontaktgespräch unter Legende geführt. (…) Im Interesse der daraufhin | |
| eingeleiteten Maßnahmen durch die HA XVIII wird von einer Werbung | |
| unsererseits Abstand genommen." | |
| "Unsererseits" bezieht sich auf die bis dato für ihn zuständige Abteilung | |
| HA XX/6. Mahler wurde also "unter Legende", das heißt, man gab sich nicht | |
| offen als Vertreter des MfS, von der Wirtschaftsabteilung kontaktiert. | |
| Wegen eingeleiteter "Maßnahmen" der Abteilung XVIII wird die Vorlaufakte | |
| bei der alten Abteilung eingestellt. Unklar ist, um welche "Maßnahmen" es | |
| sich handelte. | |
| ## Zugang zu Geheimnissen | |
| Dank seines Amtes als Rechtsanwalt, der angeklagte Akteure der | |
| Studentenbewegung vertrat, hatte Mahler vielfältigen Zugang zu | |
| Geheimnissen. Das machte ihn strategisch wertvoll. Deutlich ist in seiner | |
| Karriere, dass er schon früh und oft, typisch für Agent provocateurs, | |
| radikale Vorschläge in die Bewegung brachte. Und er war immer vorneweg, | |
| wenn Neues gegründet wurde. | |
| Öffentlich zeigte er sich weiterhin als ein Freund der DDR. Ein Bericht des | |
| Berliner Innensenators Kurt Neubauer vom Sommer 1968 benennt ausdrücklich | |
| Horst Mahler als denjenigen, der den Einfluss der SED-Westberlin in der APO | |
| verstärkt. Der Vorsitzende der SED Reinickendorf würde sich zudem ständig | |
| in seiner Kanzlei aufhalten. Man hat überall um Mahlers DDR-Nähe gewusst. | |
| In Sachen geheimdienstlicher Untergrundarbeit in den eigenen Reihen war die | |
| Studentenbewegung unbesorgt. | |
| Horst Mahlers unermüdliches Engagement ging noch weiter. Er und seine | |
| DDR-freundlichen Genossen setzten sich organisatorisch vom SDS ab, als dort | |
| die vorrückende DDR-kritische "Neue Linke" um Dutschke und Rabehl 1966 in | |
| die Leitung gewählt wurde und die Mehrheiten sich verschoben. Sie gründeten | |
| in Westberlin ein neues APO-Sammelbecken, die "November-Gesellschaft" und | |
| bald darauf waren sie Mitbegründer des "Republikanischen Club" und des | |
| neuen publizistischen Forums der APO, des "Berliner Extradienst", der | |
| nachweislich von der DDR mit Artikeln beliefert wurde. | |
| ## Nicht alleine im Club | |
| Beim "Republikanischen Club", der auch viele honorige Mitglieder wie | |
| Reinhard Lettau, Otto Schily und Hans Magnus Enzensberger hatte, und | |
| "Extradienst" agierten verdeckte Stasi-Zuträger wie Walter Barthel, | |
| Dietrich Staritz und Carl Guggomoos und der FDP-Manne und IM William Borm. | |
| Als in den 90ern die Agententätigkeit dieser Stasi-Aktivisten aufflog, | |
| erinnerten sich einige Alt-68er, dass Mahler gerade mit diesen immer | |
| "zusammenhing". | |
| Nach dem Schuss des Polizisten Karl-Heinz Kurras auf den Studenten Benno | |
| Ohnesorg am 2. Juni 1967 war es Mahler, der den Untersuchungsausschuss der | |
| Studentenausschüsse aller Westberliner Universitäten zur Aufklärung des | |
| Anschlages koordinierte. Doch Aufklärung erfährt dieser Fall erst in | |
| allerjüngster Zeit. Eine Ironie der Geschichte ist es, dass Karl-Heinz | |
| Kurras und Horst Mahler sich heute von demselben Anwalt vertreten lassen. | |
| Nicht fehlen darf bei dem vielen, was Mahler organisierend vorangetrieben | |
| hat, die Baader-Befreiung im Mai 1970. Da wurde das erste Mal geschossen | |
| und es begannen die Zeiten der Illegalität. Kurz danach, im Juni 1970, | |
| setzte sich Mahler mit einem Trupp Gleichgesinnter für eine | |
| paramilitärische Ausbildung ab nach Beirut. Da hatte die Stasi deutlich | |
| ihre Finger mit im Spiel. Die Reise wurde organisiert über den in | |
| Westberlin ansässigen Palästinenser Said Dudin, der laut Aktenlage engen | |
| Kontakt mit Stasi und KGB hatte. | |
| Mahlers aktiver Kampf als Stadtguerillero ging mit seiner Verhaftung in | |
| Westberlin am 8. Oktober 1970 schlagartig zu Ende. Am 26. Februar 1973 | |
| wurde Mahler wegen schwerem Bankraub und Gründung einer kriminellen | |
| Vereinigung zu zwölf Jahren Haft verurteilt. | |
| Nach seiner Haftentlassung 1979 findet man Horst Mahler interessanterweise | |
| für die Abteilung XXII, die sogenannte Terrorabwehr, "neu erfasst". Unter | |
| dem neuen Namen "Samir". | |
| 2 Aug 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Regine Igel | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Christian Ströbele | |
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