# taz.de -- Debatte Bildungspolitik: Kultusminister, geht einfach! | |
> Was hat die Politik Druck gemacht: Macht schneller Abitur, studiert | |
> schneller! Aber sie selbst kriegt nicht einmal die Studienplatzvergabe | |
> hin. | |
Bild: Die fehlende Teamfähigkeit der 16 Bundesländer und des Bundes baden die… | |
Deutschland hat ein Luxusproblem. Im Herbst wird rund eine halbe Million | |
junger Leute mit dem Abitur wedeln und Einlass in Hochschulen und | |
Universitäten begehren. Es gibt so viele Studienanfänger wie nie zuvor. Das | |
ist toll. Das ist es, was Volkswirtschaftler, Bildungsexperten und | |
Politiker ständig fordern: Mehr Akademiker braucht das Land, sonst geht | |
Deutschland im Innovationswettstreit mit Ländern wie China vor die Hunde. | |
## Wer hat geschlafen? | |
Doch leider häufen sich Warnungen, wonach die Zahl der Plätze in den | |
Hörsälen, Seminarräumen und Laboren nicht ausreichen könnte. 50.000 | |
Studierwillige könnten leer ausgehen. Wie kann es sein, dass ein jahrelang | |
propagiertes, ein zentrales politisches Ziel daran scheitert, dass die | |
Kapazitäten fehlen, um die doch so dringend benötigten Akademiker | |
auszubilden? Wer hat geschlafen? | |
Dabei war der Andrang absehbar. Bereits im Jahre 2005 appellierte die | |
amtierende Bundesbildungsministerin an die Bundestagsabgeordneten, die | |
Studierwilligen nicht als Last sondern als Chance zu begreifen. "Es wird | |
der Tag kommen, an dem wir dort den Mangel beklagen werden, wo heute der | |
Ansturm befürchtet wird", so Annette Schavan (CDU). | |
Und zweifellos hat sich in den darauf folgenden sechs Jahren auch einiges | |
getan. Die schwarz-gelbe Regierung hat mehr Geld in Bildung investiert, | |
Schavan kann in dieser Legislaturperiode 6 Milliarden Euro zusätzlich | |
ausgeben, obwohl eigentlich nur die Länder zuständig sind. Bund und Länder | |
haben zudem 2006 erstmals einen Hochschulpakt geschlossen, um bis 2015 | |
gemeinsam über 300.000 neue Studienplätze zu schaffen. | |
Doch mit dem Pakt trugen Bund und Länder nur der Tatsache Rechnung, dass 14 | |
Bundesländer die Schulzeit um ein Jahr verkürzt haben. So fangen in diesem | |
Jahr in Bayern und Niedersachen zwei Abiturjahrgänge gleichzeitig an zu | |
studieren: die "G-8er", die das Gymnasium in nur acht Jahren absolvierten, | |
und ihre ein Jahr früher eingeschulten Mitschüler, die neun Jahre Zeit | |
hatten. Verschärfend kommt in diesem Jahr hinzu, dass die Regierung die | |
Wehrpflicht geradezu fluchtartig abschaffte. Damit rücken in diesem Jahr | |
noch bis zu 60.000 junge Männer in die Hochschulen statt in Kasernen ein. | |
Darauf hat die Politik immerhin kurzfristig reagiert und den Hochschulpakt | |
aufgestockt. | |
Ein Pakt aber ersetzt noch keine Vision. Für ein wohlhabendes Land | |
investiert Deutschland weiterhin nicht übermäßig viel in seine | |
Bildungseinrichtungen. Vom erwirtschafteten Gesamtvermögen stecken die | |
OECD-Länder durchschnittlich 5,7 Prozent in Bildung, Deutschland gibt | |
anteilig nur 4,7 Prozent für Bildung aus. Die deutschen Unis sind immer | |
noch unterfinanziert. Um sich vor Studenten zu schützen, haben die | |
Hochschulen gegenwärtig die Hälfte aller grundständigen Studiengänge mit | |
Zulassungsbeschränkungen versehen. | |
## Ohne jede Zukunftsplanung | |
Der Bildungswunsch der gesamten Bevölkerung ist nämlich viel schneller | |
gewachsen als die Politiker es wahrhaben wollten. Im vergangenen Jahr | |
erfüllte fast jeder zweite Schulabgänger laut Statistik des Bundesamts die | |
Voraussetzungen für ein Hochschulstudium. Zum Vergleich: Im Jahre 2000 lag | |
die Quote um fast neun Prozentpunkte niedriger. Eine Trendumkehr ist nicht | |
in Sicht; die Gymnasien verzeichnen als einzige Schulform steigende | |
Anmeldezahlen, zudem sollen die Hochschulen sich zunehmend für Menschen | |
öffnen, die eine berufliche Ausbildung vorweisen können. | |
Die KultusministerInnen aber gehen weiter stur davon aus, dass sich die | |
Quote der Studienberechtigten im Jahre 2020, also nach den Babyboomern und | |
den Doppeljahrgängen, bei 44 Prozent einpegeln wird. Dagegen sagt der die | |
Politik beratende Wissenschaftsrat eine Quote von 50 Prozent voraus. | |
Der Hochschulpakt aber läuft in 9 Jahren aus. Darüber hinausgehende | |
Vereinbarungen, wie die seit Jahren unterfinanzierten Hochschulen in | |
Deutschland besser ausgestattet werden, wurden bisher nicht getroffen. | |
Das ist grob fahrlässig. Erst erhöhen die verantwortlichen Politiker den | |
Druck und verkürzen die Gymnasialzeit um ein Jahr, damit die Jugendlichen | |
ja jung durchs Studium sausen und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. | |
Geht es aber an die eigenen Hausaufgaben, dann wird gebummelt, was das Zeug | |
hält. | |
So haben es die Kultusminister auch nicht geschafft, rechtzeitig zum | |
Wintersemester ein funktionierendes Verfahren zur Studienplatzvergabe zu | |
installieren. Dieses Versäumnis komplettiert das Chaos zum Wintersemester. | |
Sinnigerweise hatten sie die immerhin funktionierende Zentralstelle zur | |
Studienplatzvergabe (ZVS) 2004 als "bürokratisches Monstrum" entsorgt, | |
wobei auch Bildungsministerin Schavan den verbalen Vorschlaghammer schwang. | |
## Lösungen liegen auf der Hand | |
Warum aber fehlt bis heute eine gemeinsame politische Strategie? Die | |
Antwort lautet: Weil es kein gemeinsames Interesse gibt. Die fehlende | |
Teamfähigkeit der 17 Player auf dem Feld der Bildungspolitik - 16 | |
Bundesländer und der Bund - baden die Hochschulen und die Studierenden aus. | |
Der Ausweg aus diesem Klein-Klein führt zum einen über das Grundgesetz. Die | |
Föderalismusreform muss rückgängig gemacht werden, der Bund wieder als | |
Hauptakteur im Hochschulsektor zum Einsatz kommen. Und er führt über | |
Steuererhöhungen. Ein Staat, der mehr investieren will, aber gleichzeitig | |
Schulden hat, muss die Einnahmen erhöhen, anstatt über Entlastungen | |
nachzusinnen. | |
Kurzfristig ist es dringend erforderlich, die fehlenden - übrigens von den | |
Arbeitgebern angemahnten - 300 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, um | |
allen Studierwilligen im Herbst einen Platz zu garantieren. Das ist ein | |
Bruchteil der Summe, die der Staat kurzfristig etwa in die Hypo Real Estate | |
pumpte, um sie zu retten. Und im Gegensatz zu diesen 10 Milliarden Euro ist | |
das Geld für Studienplätze nicht unwiederbringlich verloren. Denn: Bildung, | |
Ausbildung, Wissenschaft und Forschung sind unser wichtigster Rohstoff in | |
der Globalisierung. So steht es im Koalitionsvertrag. Von Banken ist hier | |
nicht die Rede. | |
5 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |