# taz.de -- Frühkonzert im Schokoladen: Das Ende der Nachtruhe | |
> Am Montagmorgen um sechs spielten Budyet im Schokoladen. Das Kulturhaus | |
> fordert eine Ausnahmeregelung im Immissionsschutzgesetz für Geräusche, | |
> die von Musikinstrumenten verursacht werden | |
Bild: Aktueller Hinweis des Schokoladens an seine Besucher | |
Pünktliche Punks, wenn das mal nichts Neues ist. Es ist Montagmorgen kurz | |
nach sechs. Die Ackerstraße liegt ruhig da, die Sonne wirft güldnes Licht | |
auf ihre Dächer. Die Aggro-Bürger in ihren Jeeps und 7er-BMWs, die tagsüber | |
Fußgänger und Fahrradfahrer an Leib und Leben bedrohen, sind wohl noch | |
nicht wach. | |
Der bärtige Sänger von [1][Budyet] dagegen steht mit seinen drei Kollegen | |
schon auf der Bühne. Er hat Badelatschen und kurze rote Hosen an und er | |
singt: "Kein Lärm, kein Schmutz / Das bleibt hier jetzt ungenutzt / Mein | |
Hof, mein Haus / Ich schmeiß euch alle raus / Ihr wohnt, ich kauf / Der | |
Diskussionsverlauf". Budyet spielen die Songs ihres gleichnamigen Albums, | |
darunter Perlen wie diese. Das Lied heißt "[2][Investorendisko]". | |
Der [3][Schokoladen] ist voll, die Stimmung super. Unter den 19 kleinen und | |
großen Diskokugeln tummeln sich an diesem Morgen viele Punks, was wohl an | |
der Band auf der Bühne liegt. Die meisten der Anwesenden sind noch von | |
gestern da. Das erkennt man daran, dass sie frisch geöffnete Flaschen Bier | |
der Marke Sternburg in den Händen halten. Ein paar Leute sind aber doch | |
extra früh aufgestanden, weil es hier und heute ums Prinzip geht, wie | |
Robert später sagen wird. Robert ist der Gitarrist von Budyet. Außerdem ist | |
er als Tontechniker im Schokoladen tätig. Budyet spielen einen groovigen, | |
locker vor sich hinrollenden Punk und sind gewissermaßen die Hausband vom | |
Schokoladen. Sie proben im Haus, ihr Album haben sie ebenfalls hier | |
aufgenommen. Außer ihnen sollen Reactory spielen. Deren Drummer aber hat | |
sich tags zuvor den Daumen gebrochen. Er hat es probiert, mit der Schiene | |
so gegen fünf am Morgen, aber es ging nicht. | |
Um sechs ist die Zeit der Nachtruhe vorbei. Vor der Tür ist es trotzdem | |
nicht laut. Sie legen es nicht auf Konfrontation an im Schokoladen. Der | |
Mann an der Kasse (es wird an diesem Morgen nur um eine Spende gebeten) | |
sorgt dafür, dass die Leute zügig rein- und rausgehen. Dass die Türe schön | |
zu bleibt. Immer schon haben sie sich eine Selbstbeschränkung auferlegt, um | |
die Anwohner nicht zu nerven. Pünktlich um 12 Uhr nachts war seit jeher | |
Schluss mit Livekonzerten. Es hat nichts genützt. Obwohl viele Leute in der | |
Straße das Haus, den Schokoladen und auch den benachbarten Club der | |
polnischen Versager gut finden, und mancher gern mal auf ein Bier | |
vorbeischaut, ist es seit gut drei Monaten vorbei mit der zwanzig Jahre | |
alten Tradition. Wegen dauernder Beschwerden einzelner Anwohner müssen die | |
Konzerte nun schon um acht anfangen, um zehn sind sie zu Ende. | |
Oft kam die Polizei vorbei, sogar am Mittwoch bei der Lesebühne, erzählt | |
Rob, der zehn Stunden Arbeit an der Bar vom Schokoladen hinter sich hat. | |
Oft stellte sich dann raus, dass der Verkehrslärm der Torstraße lauter war | |
als der Betrieb im Laden, sagt er. Rob mag den Schokoladen wegen seines | |
vielfältigen Publikums und der entspannten Stimmung. Auch die Touristen | |
fühlten sich wohl. Hier ist für alle Platz, sagt er. Man glaubt es ihm aufs | |
Wort. | |
Damit auch in Zukunft alle ihren Spaß im Kulturhaus haben können, fordern | |
sie jetzt eine Änderung des berlinischen Landesimmissionsschutzgesetzes. In | |
Wohngebieten im Innenstadtring solle für musikalische Darbietungen eine | |
Ausnahmeregelung zwischen 22 und 24 Uhr geschaffen werden: "Wir fordern die | |
Anerkennung der Nutzung von Tonabspielgeräten und Musikinstrumenten als | |
Ausdruck der menschlichen Entfaltung und Gemeinschaftsbildung und damit als | |
grundsätzlich sozialadäquat und zumutbar!" | |
Diese Petition ist die Antwort auf die Beschwerden derer, die mitten in die | |
Innenstadt ziehen, dort aber - bitte sehr - keinesfalls von irgendwem | |
gestört werden wollen. Und sie ist der Anlass des Konzerts. Im Grunde geht | |
es aber um viel mehr. Budyet stellen das Problem mit der gebotenen | |
Präzision dar, wenn sie das neue Berlin besingen. "Das war teuer und sieht | |
scheiße aus!", brüllt Sänger Jo. Und man kann sich vorstellen, wen und was | |
er auf den Straßen von Mitte meint. Sodann führt er die Sache näher aus: | |
"Nicht nur bei Kleidung, auch am Bau / Muss man sich manchmal fragen / Wer | |
hat denn diesen Scheiß bestellt / Wen kann man da verklagen?" Draußen hat | |
es geregnet. Auf der Ackerstraße geht alles seinen Gang. | |
9 Aug 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://budyet.de/ | |
[2] http://budyet.de/images/music/mp3/Investorendisko.mp3 | |
[3] http://www.schokoladen-mitte.de/ | |
## AUTOREN | |
Ulrich Gutmair | |
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