# taz.de -- Polnischer Karikaturist über Europa: "Gott wäre ein passabler Ber… | |
> Zwischen Minderwertigkeit und Größenwahn: der polnische Karikaturist | |
> Andrzej Mleczko über die Polen, ihre Nachbarn, den speziellen Humor der | |
> Europäer – und die Kaczynski-Ära. | |
Bild: "Nächster Halt im Wald. Die Linken nach links und die Rechten nach recht… | |
taz: Herr Mleczko, während sich in Europa alle um Griechenland, den Euro | |
und überhaupt die EU sorgen, platzen die Polen geradezu vor Glück. Wie | |
erklären Sie diesen Optimismus? | |
Andrzej Mleczko: Wir haben von der Krise nicht allzu viel mitbekommen. | |
Unsere Politiker haben von Anfang an die Weichen richtig gestellt. So eine | |
Tragödie wie in Griechenland haben wir hier nicht. Es geht die ganze Zeit | |
bergauf. | |
Bei den Deutschen auch. Dennoch sind sie missmutig. | |
Das ist der Fluch des Reichtums. | |
Früher klagten und jammerten die Polen in einem fort. Warum sind sie heute | |
so glücklich? | |
Dies hat mich auch verwundert. Es ist schwer, heute etwas Allgemeingültiges | |
über die Polen zu sagen. Früher, insbesondere in der Zeit des Kommunismus, | |
habe ich gedacht, dass ich genau weiß, wie die Mehrheit der Polen denkt und | |
fühlt. Doch je älter ich werde, desto öfter wundere ich mich, zum Beispiel | |
darüber, dass die Polen so glücklich sind, zumindest laut Umfragen, oder | |
dass 30 Prozent immer noch die rechtsnationale Partei Recht und | |
Gerechtigkeit wählen wollen. | |
Einem Stereotyp zufolge sind aber Satiriker eher traurig. | |
Hier kommen Charakter und Talent zusammen: Man kann lustig sein und | |
traurige Dinge tun, man kann traurig sein und lustige Dinge tun. Man kann | |
auch lustig sein und lustige Dinge tun oder traurig sein und traurige Dinge | |
tun. Jede Kombination kommt in Frage. Ich bin ein Pessimist, der sich über | |
diese Welt lustig macht. | |
Fühlen Sie sich daheim im "gemeinsamen Haus Europa"? | |
Ich bin ein großer Europa-Enthusiast. Die Idee eines Europas der Regionen | |
sagt mir am meisten zu. In Polen ist das immer noch eine Art | |
Gotteslästerung, aber allein schon das Wort "Nation" weckt in mir eher | |
Misstrauen denn Begeisterung. Es wäre fantastisch, wenn es gelänge, die | |
nationalen Teilungen in der EU auf ein Minimum zu begrenzen, wenn es so | |
etwas wie die Vereinigten Staaten von Europa geben würde. | |
Reisen Sie viel in Europa? | |
Ich bin zum ersten Mal ins Ausland gefahren, als ich 28 Jahre alt war. | |
Meine Tochter hat in diesem Alter schon ganz Europa gesehen. "Viel" ist | |
also relativ . Aber die wichtigsten Länder Europas kenne ich. | |
Als Satiriker nehmen Sie die Polen mit freundlich-bissiger Distanz aufs | |
Korn. Wie genau? | |
Richtig müsste es heißen "Ich bemühe mich um eine freundliche Distanz". | |
Aber es ist schon so, dass mir das nicht immer gelingt und manchmal das | |
Blut hochkocht. Wir können eben nicht aus unserer Haut; aus der Kindheit, | |
die uns geprägt hat; aus dem Moralkodex und der Weltsicht, die in unserem | |
Land vorherrschen. Ich versuche, die Welt von oben zu betrachten. | |
Von oben? | |
Von oben! Schon als Kind wollte ich nicht Lokomotivführer oder | |
Feuerwehrmann werden, sondern Weltenlenker. "Gott", dachte ich, wäre ein | |
passabler Beruf für mich. Ein bisschen hänge ich diesem Größenwahn bis | |
heute an. | |
War die Kaczynski-Ära eine goldene Zeit für Sie? Damals zeichneten Sie den | |
Chef einer Karikaturisten-Gewerkschaft, der in den Hörer brüllte: "Wir | |
müssen Satiriker aus China und der Ukraine ins Land holen. Alleine schaffen | |
wir es nicht mehr!" | |
Die damalige Zeit war Realsatire pur. In Wirklichkeit brauche ich weder | |
Kaczynski noch die Liga der polnischen Familien, um ein gutes Cartoon | |
zeichnen zu können. Auch Langeweile kann ein Thema sein. Mich interessiert | |
das Absurde im Alltag. | |
Als dann im Ausland Witze über Polen kursierten, fanden Polens Politiker | |
das gar nicht komisch. | |
Aber wir Bürger haben uns köstlich amüsiert. Die Kartoffel wurde plötzlich | |
zu einer Staatsaffäre. Wenn man mit dem Komplex lebt, als kleines Land vom | |
Ausland nicht ernst genommen zu werden, fühlt man sich schnell beleidigt. | |
Aber diese Zeit ist vorbei. Das heißt, manchmal schwanken die Polen noch, | |
ob sie eher den Minderwertigkeitskomplex oder den des Größenwahns | |
kultivieren sollen. Andererseits sind wir ja seit kurzem ein glückliches | |
Volk. | |
Der britische Humor, sagt man, ist schwarz, der tschechische eher absurd, | |
der deutsche und polnische hingegen eher etwas grob. Gibt es so etwas wie | |
einen europäischen Humor? | |
Die europäische Kultur wird durch viele gemeinsame Elemente | |
zusammengehalten, die die Mentalität und auch den Humor prägen. Ich will | |
jetzt hier nicht zu wenig patriotisch erscheinen, aber Kerneuropa wurde von | |
den Römern und Karl dem Großen geschaffen. Es ist wirklich bedauerlich, | |
dass sich weder Cäsar noch ein anderer römischer Kaiser in unsere Ecke | |
vergaloppiert hat. Aber auch so sind wir enger mit der Toskana und der | |
Provence verbunden als mit Alabama oder Virginia. Ganz zu schweigen von | |
China oder den arabischen Ländern. | |
Worüber in der EU lässt sich gut spotten? | |
Je weiter die europäische Integration voranschreitet, desto mehr gemeinsame | |
Themen werden wir haben. Das größte Problem in Europa ist zurzeit aber | |
nicht die Wirtschaftskrise. Vielmehr haben die europäischen Demokratien den | |
Weg in den Populismus angetreten Das ist eine Sackgasse. Die Medien tragen | |
einen Großteil der Schuld an dieser Entwicklung. | |
Warum? | |
Sie biedern sich den Dümmsten an. | |
Und die Politiker? | |
Sie machen das Spiel mit. In Polen ist das gut zu beobachten. Anfangs haben | |
Autoritäten wie Tadeusz Mazowiecki, Bronislaw Geremek und Leszek | |
Balcerowicz das Land regiert. Doch dann kamen immer öfter Menschen an die | |
Macht, die mit Ach und Krach die Volksschule absolviert haben. | |
Das ist eben der Wille des Volkes. | |
Wer Auto fahren will, muss eine Führerscheinprüfung bestehen. Warum sollte | |
ein künftiger Politiker, der das Land regieren will, nicht auch einen | |
einfachen Test bestehen? Fragen könnten sein: Welche Aufgaben hat der | |
Premier, welche der Präsident und womit beschäftigen sich Sejm und Senat? | |
Zur Wahl stellen dürften sich nur diejenigen, die diesen Test bestanden | |
haben. | |
Lassen Sie sich von der Politik inspirieren, oder haben Sie ununterbrochen | |
Geistesblitze, die Sie dann umsetzen? | |
Ich brauche eine bestimmte Atmosphäre zum Arbeiten. Soweit ich weiß, hat | |
Hemingway nur im Stehen geschrieben, Proust wohl am liebsten im Bett. Ich | |
brauche absolute Einsamkeit. Es darf niemand im Haus sein. Der Schreibtisch | |
muss aufgeräumt sein, alles an seinem Platz. So wie bei den Deutschen. Wenn | |
das polnische Fernsehen zu mir kommt, schaffe ich vorher immer ein | |
künstlerisches Chaos. Als dann einmal das deutsche kam, dachte ich, das sei | |
nicht nötig und beließ alles an seinem Platz. Die kamen rein, wunderten | |
sich und murmelten nur immer wieder "Ordnung, Ordnung, Ordnung". Vielleicht | |
dachten sie, ich hätte für sie aufgeräumt? | |
Sie sitzen am Tisch, das weiße Blatt vor sich? | |
Wichtig ist allein der Effekt. Manchmal arbeite ich eine Zeichnung 30 Mal | |
um. Aber alle denken, ich hätte sie in fünf Minuten gemalt. Es muss leicht | |
wirken. Es gibt nichts Schlimmeres in der Kunst, als wenn man ihr den | |
Schweiß des Künstlers ansieht. | |
Entsteht die Pointe auch im Schweiße Ihres Angesichts? | |
Ganz im Gegenteil. Das ist der schönste Moment im ganzen Schaffensprozess. | |
Eine Art Blitz, der mich durchfährt. Ein Orgasmus. Ich liebe diesen Moment. | |
Plötzlich verbinden sich die Neuronen im Kopf und verströmen ein | |
unglaubliches Gefühl des Glücks. Dafür lebe ich – unter anderem. | |
15 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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