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# taz.de -- Neonazi-Prozess: "Sturm Wiking" knickt ein
> Als Nazi-Kameradschaft wollten Bremer Jugendliche ein "nationales
> Verteidigungskommando" für ein "artgemäßes Deutsches Reich" aufbauen. Vor
> Gericht nannte ihr Anführer dies "nur eine Spielerei."
Bild: "Sturm Wiking" vor Gericht: Gerold und Markus S. (beide verpixelt), hinte…
BREMEN taz | Für Angeklagte ist im Bremer Landgericht nur eine kleine Bank
vorgesehen, auf der nicht mehr als zwei Personen Platz finden. Doch als am
Dienstag der Prozess gegen die rechtsextreme Kameradschaft "Sturm Wiking"
eröffnet wird, verteilen sich die Beschuldigten und ihre Verteidiger fast
im ganzen Gerichtssaal. Sechs Männern und einer Frau zwischen 18 und 25
Jahren wirft die Staatsanwaltschaft vor, ein "artgemäßes freies Deutsches
Reich" schaffen zu wollen - und dabei auch Gewalt gegen Sachen und Menschen
eingesetzt zu haben. Für Staatsanwalt Uwe Picard erfüllt dies unter anderem
den Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Eine der Angeklagten, eine junge Mutter,war nicht im Gericht erschienen.
Die Frau sei schwanger und seit zwei Wochen nicht erreichbar, erklärte ihre
Anwältin. Für die Polizei schon: Auf Anordnung des Richters bringen Beamte
sie ins Gericht, der Prozess startet mit einer guten Stunde Verspätung.
Die Aktivitäten der Jung-Nazis sollen sich vor allem im Jahr 2008
abgespielt haben. Gegenüber der Polizei hatten die Angeklagten bereits
eingeräumt, in einer Nacht im August die Jugendbildungsstätte Lidice-Haus
in Bremen mit Steinen attackiert zu haben, 20.000 Euro Schaden waren dabei
entstanden. Zuvor habe sich ein Teil der Nationalisten, bewaffnet mit
Pfefferspray und Knallkörpern, "zusammengerottet", um die Teilnehmer einer
Demonstration gegen Rechts anzugreifen, so die Anklage. Im Juni des Jahres
habe sich anlässlich des EM-Spiels Deutschland-Türkei eine Gruppe von 15
Neonazis in der Bremer Innenstadt versammelt. Polizisten seien dabei
beleidigt und bedroht worden, ein Angeklagter habe eine Flasche geworfen.
Ungewöhnlich offen äußerten sich die beiden Hauptangeklagten, die Brüder
Markus und Gerold S., zu den Vorwürfen. Markus S. nannte den Angriff auf
das Lidice-Haus "ziemlich dämlich", die Kameradschaft "Sturm Wiking" sei
"nur eine Spielerei" gewesen. Die Satzung habe er im Internet
zusammenkopiert. "Ein nationales Verteidigungskommando aufzubauen, um die
Straße zu säubern", wie darin angekündigt wird, "das hatte ich nicht
wirklich vor." Der Name sei nicht rechtsextrem konnotiert: "Das könnte ja
auch so eine Mittelaltergruppe sein." Sein Motiv für das ganze:
"Langeweile".
Markus und Gerold S. sind bekannte Größen der Bremer Neonazi-Szene. Markus
S. war als Administrator für die Website der Freien Nationalisten Bremen
verantwortlich. Dort wurde etwa behauptet, die "deutsche Identität" werde
durch Einwanderung "vergewaltigt". Ausländer würden "durchschnittlich
sieben Deutsche am Tag" ermorden, seien für "Umweltverschmutzung und
Drogen" verantwortlich und würden "Hetzpropaganda gegen Deutsche"
betreiben.
Staatsanwalt Uwe Picard warf den Brüdern vor, der Text auf der Website rufe
zur "aggressiven Missachtung und Feindschaft gegenüber hier lebenden
Ausländern" auf. Hinzu komme die Verherrlichung des Nationalsozialismus,
etwa durch die Vorbereitung von "Rudolf-Heß-Gedenkwochen".
Markus S. behauptet, mit der Website der Freien Nationalisten gar nicht so
viel zu tun zu haben. "Ich wurde gefragt, ob ich die Seite registrieren
kann, weil ich bei den Linken ja eh bekannt war." Wer ihn um seinen Namen
gebeten hatte und wer die Texte auf die Seite gestellt hatte, dazu
verweigerte S. die Aussage. "Ich hab' die Texte gesehen, viel gehalten habe
ich davon nicht."
Irgendwann "später" habe er die wirklichen Administratoren gebeten, die
Texte zu löschen, sagte Markus S. Wann das gewesen sei? "Nach der
Hausdurchsuchung."
Auch Markus Bruder Gerold versuchte, das rechte Engagement tiefer zu
hängen. Über den "Sturm Wiking" sagte er, es habe zwar "offene
Gesprächsrunden auch zu politischen Themen" im "Waller Landheim" gegeben.
Und ja, auch er, "damals rechtem Gedankengut verhaftet", habe dazu
eingeladen. Doch eine Kameradschaft sei nie gegründet worden: "Es gab keine
gelisteten Mitglieder, keine Mitgliedsbeiträge."
Auf das Lidice-Haus habe er "einen Stein geworfen, ich wollte es ja nicht
übertreiben". Und warum er mit Silvesterböllern im Rucksack auf
Anti-Nazi-Demonstranten losging, wisse er "auch nicht mehr". Entscheidend
sei, so sein Anwalt Hans Israel, das S. sich "weitgehend von der
politischen Szene zurückgezogen" habe und aus der NPD ausgetreten sei.
"Sein Interesse gilt nun dem Zusammenleben mit seiner Lebensgefährtin, er
bereut das, was geschehen ist."
Staatsanwalt Picard nahm ihm das nicht ab. Noch im April diesen Jahres sei
Gernot S. an der Verteilung einer rechten Schulhof-CD beteiligt gewesen.
Und auch an der Eröffnung des "Bürgerbüros" der NPD in Bremerhaven habe er
teilgenommen.
16 Aug 2011
## AUTOREN
Christian Jakob
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