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# taz.de -- Kommentar Christlicher Fundamentalismus: Heilige Tat, christliche U…
> Nach dem vereitelten Anschlag gegen Papstgegner in Madrid stellt sich die
> Frage nach dem Umgang mit christlichen Fundamentalisten und der Rolle der
> Kirche
Bild: Soldaten einer spanischen Eliteeinheit bewachen El Cristo de la Buena Mue…
"Schauerlich war es anzusehen, wie überall Erschlagene umherlagen und Teile
von menschlichen Gliedern, und wie der Boden mit dem vergossenen Blut ganz
überdeckt war." So schilderte ein christlicher Chronist das Massaker, das
die Kreuzritter im Jahr 1099 während des Ersten Kreuzzuges an Muslimen in
der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee verübten. Tausende sind dabei den Quellen
zufolge von den christlichen Rittern in einem Blutrausch umgebracht worden.
Insofern passt es sehr gut, dass sich der Attentäter von Oslo, Anders
Behring Breivik, als Kreuzritter sah: Sein unfassbarer Blutrausch gleicht
durchaus dem seiner historischen Vorbilder. Und nach allem, was man bisher
weiß, hat ein zweiter, offenbar christlich geprägter Mann nun einen
Anschlag auf Papstgegner während des Weltjugendtages in Madrid geplant, mit
Giftgas. Wie hätte das enden können?
Nun ist die Bluttat von Oslo zweifellos die Tat eines Verrückten, und das
darf man auch für den Madrider Fall erst einmal annehmen. Tatsache aber
bleibt, dass sich zumindest der Osloer Attentäter auf seinen christlichen
Glauben bezog. Insofern ist die Frage durchaus berechtigt, was da in
christlichen Kreisen gedacht wird, die zwar nicht morden wie Breivik, aber
Aspekte seiner mörderischen Weltanschauung durchaus teilen, nämlich vor
allem seine apokalyptisch-manichäische Perspektive eines nahenden
Endkampfes zwischen dem christlich-abendländischen Guten und dem Bösen, das
in Form von Muslimen oder Papstgegnern daherkommt.
Wenn etwa der evangelische bayerische Landesbischof Johannes Friedrich
einerseits und der derzeitige Superkatholik Deutschlands, der Publizist
Matthias Matussek, andererseits wortgleich betonen, die Untat Breiviks habe
mit dem Christentum "nichts zu tun", machen es sich beide ein bisschen zu
leicht.
Auch die großen Volkskirchen sind nach dem norwegischen Massaker etwas zu
schnell wieder zur Tagesordnung übergegangen. Und das mit der schlichten
Logik, dass eine Religion, die sich auf die Sanftmut und Feindesliebe von
Jesus Christus berufen kann, doch gar keine Schuld trifft, wenn sich ein
Irrer bei seinem Massenmord auf ihren Glauben beruft. Das erinnert an die
damals oft anzutreffende Sprachlosigkeit muslimischer Vertreter hier in
Deutschland nach dem Massenmord von 9/11 vor zehn Jahren, die ebenfalls vor
allem religiös begründet wurde. Auch damals und seitdem heißt es immer
wieder: Mit unserem Glauben und unserem Heiligen Buch, dem Koran, hat das
Ganze doch gar nichts zu tun!
## Blutrünstige Stellen auch in der Bibel
Nun steht außer Frage, dass sich in der uns überlieferten Botschaft Jesu
nur sehr wenige Stellen finden, die in irgendeiner Weise zu Gewalt aufrufen
- und wenn, dann gleichen diese wenige Sätze (etwa bei Matthäus 10,34: "Ich
bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert") einer
Handvoll Haien in einem Ozean der Liebe. Doch schon im Alten Testament
sieht die Sache ein wenig anders aus. So heißt es etwa im Buch Josua
(Kapitel 6, Vers 21) über das Wüten des Volkes Israel nach der Eroberung
von Jericho (angeblich dank des Hörnerschalls): "Mit scharfem Schwert
weihten sie alles, was in der Stadt war, dem Untergang, Männer und Frauen,
Kinder und Greise, Rinder, Schafe und Esel." Ähnlich blutrünstige Stellen
lassen sich in der Bibel noch einige finden.
Das bedeutet: So wirr der Ideologie-Mischmasch in Breiviks
"Manifest"-Schwall auch sein mag - es ist viel zu kurz gesprungen, wenn
wohlmeinende Christen nun betonen, ihre Religion biete keine Ansatzpunkte
für eine dualistisch-brutale Weltsicht und Gewaltbereitschaft. Nein, das
Christentum ist leider weder in seiner Geschichte noch in seinen heiligen
Schriften frei von Hass und Gewalt. Nur gehört schon eine gehöriges Maß an
Verblendung, Unwissen oder Dummheit dazu, nicht die Entwicklung zu sehen,
die das Christentum gerade in Europa in den letzten Jahrzehnten sowohl
historisch wie theologisch genommen hat - hin zu einer Religion der
Friedfertigkeit, die die Sünden der Vergangenheit, etwa die Kreuzzüge,
ehrlich bereut.
Man kann darüber streiten, ob der Islam eine ähnliche Entwicklung bereits
hinter sich oder nicht vielmehr noch vor sich hat - und sicherlich finden
sich im Koran eindeutig mehr gewaltverherrlichende Stellen als in der
Bibel. Das aber lenkt nur ab von einer Bringschuld, die das Christentum
Europas hat: Die ChristInnen müssen klarer den uralten christlich-religiös
gefärbten Hass auf Muslime verurteilen. Und sie müssen sich näher befassen
mit dem Hass, der sich auch bei ihren Fundis, etwa auf kreuz.net, austobt.
Mit einfachen Worten der Distanzierung ist es nicht getan. Die Sache geht
tiefer.
17 Aug 2011
## AUTOREN
Philipp Gessler
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