# taz.de -- Ostfriesischer Jagdkrieg: Tod am Wattenmeer | |
> In Ostfriesland werden Wildgänse gejagt. Kaltblütig, findet Eilert Voß | |
> und versucht das zu verhindern. Jetzt muss sich wieder das Gericht damit | |
> beschäftigen. | |
Bild: Passend zu Weihnachten ist die Petkumer Gänsejagd nur im Winter erlaubt. | |
PETKUM taz | Take Hülsebus ist traurig: "Wir schießen in einer Saison | |
vielleicht sechzig Wildgänse. Aber keiner will sie. Früher hatten wir noch | |
Hunger und brauchten die Gänse." Der ehemalige Ortsvorsteher von Petkum, | |
einem Vorort von Emden in Ostfriesland, ist Bauer und Jäger. | |
Leidenschaftlicher. | |
In Petkum wohnt auch Eilert Voß. Man kennt sich. Man redet nicht | |
miteinander. Denn Voß ist eine Art Gänseflüsterer. "Die Gänsejagd im | |
Petkumer Vogelschutzgebiet ist absurd", meint der Vogelexperte, | |
Naturschützer und Tierfotograf. | |
Diese Haltung hat ihm schon Drohungen und Autokratzer eingebracht, auch | |
einen Steinwurf an den Kopf. Neben einer einstweiligen Verfügung wegen | |
Jagdstörung hat er auch eine Gerichtsstrafe von 2.000 Euro am Hals. Voß | |
ging in Revision. Nächste Woche wird das Urteil verkündet. | |
Aber der Reihe nach. Morgen für Morgen, noch vor acht Uhr, ziehen tausende | |
Wildgänse von ihren Schlafplätzen auf See zu ihren Weideplätzen an der | |
Küste. Direkt ins europäische Vogelschutzgebiet, knapp einen Kilometer vor | |
dem Weltkulturerbe Nationalpark Wattenmeer. | |
Das Schutzgebiet bei Petkum ist 200 Hektar groß, gehört dem Land | |
Niedersachsen und dem Bund. Bauern bekommen Geld für die Landschaftspflege. | |
Aber das Deichvorland ist auch an drei Jagdpächter vergeben. | |
Einer davon: Take Hülsebus. "Wir haben hier immer gejagt", sagt der. Das | |
stört die Gänsewacht schon lange. Die Wächter sind bundesweit organisierte | |
Naturschützer, die Jagdfrevel bei der Gänsejagd anprangern. | |
Einer davon: Eilert Voß. Voß hat, wie er glaubt, Jagdfrevel dokumentiert. | |
"Es wurde bei dichtem Nebel geschossen, das ist verboten, weil die Jäger | |
das Wild gar nicht ausmachen können. Da werden auch streng geschützte Gänse | |
abgeknallt", klagt Voß. | |
Seine Anzeigen nahm die Emder Polizei zwar zur Kenntnis, reagierte aber | |
nicht. Sie hätten zurzeit keinen Streifenwagen frei, um an den Deich fahren | |
zu können, hieß es. Voß Vorwurf, Emder Jäger hätten auf einer Pirsch keine | |
Hunde mitgeführt - wie vom Jagdrecht vorgeschrieben -, begegnet Jäger | |
Hülsebus damit: Sein Dackel habe im Auto gewartet. Das Tier habe gefroren, | |
sei aber verfügbar gewesen. | |
## Hobbyjäger aus ganz Deutschland | |
Die Gänsejagd in Ostfriesland hat lange Tradition. Arme Küstenbewohner | |
durften sich im Winter was in den Kochtopf schießen. Heute kommen | |
Hobbyjäger aus ganz Deutschland, um in Petkum auf Einladung der Pächter | |
Gänse zu erlegen. | |
Ob die jagdbares Wild von geschützten Tieren unterscheiden können, ist eine | |
alte Frage im Streit zwischen den Parteien. Dumm für die Gänse. Flögen sie | |
einfach einen Kilometer weiter nordwestlich, könnten sie im Nationalpark | |
leben. Würden nicht gegrillt. Abgeschossen in Petkum, landet das Geflügel | |
im Ofen. | |
"Die Tiere brauchen Ruhe, um sich Fett für den Weiterflug in ihre | |
Brutgebiete in Sibirien oder Kanada anzufressen", erklärt Manfred Knake vom | |
regionalen Naturschutzverein Wattenrat. Er möchte die Jagd in | |
Schutzgebieten grundsätzlich verbieten. | |
## Hat er oder hat er nicht? | |
Selbst mancher Jäger stimmt dem zu. "Die Jagd in Schutzgebieten ist nicht | |
weidmännisch", meint Jürgen Oppermann vom Ökologischen Jägerverein | |
Niedersachsen und Bremen. Denn: "Gänse fliegen oder rasten im Pulk. Jagen | |
darf man aber nur Einzeltiere. Die Jäger schießen mit Schrot und verletzen | |
durch die Streuwirkung andere Vögel." | |
Tatsächlich schleppen sich wie eine demoralisierte Versehrtentruppe viele | |
Blessgänse und Graugänse die Emsmündung entlang. Stolpernd, hinkend, Flügel | |
schleifend, sind sie unfähig, ihren Flug in die Brutgebiete fortzusetzen. | |
"Die gebrochenen Flügel und verstümmelten Füße sind nicht in jedem Fall den | |
Schrotkugeln anzulasten. Aber viele Gänse sind eben doch Jagdopfer", sagt | |
wiederum Eilert Voß. Hat er also oder hat er nicht? | |
Er soll, so sagen die Jäger, ihre Jagd durch Schwenken eines roten | |
Regenschirmes gestört haben. Danach habe er durch Nebelhornblasen das | |
Jagdwild verscheucht. "Ich musste mich zu erkennen geben. Die Jäger | |
schossen versteckt von hinter dem Deich. Die konnten gar nicht sehen, auf | |
was oder wen sie schießen", beteuert Voß. | |
## Die Jagd geht weiter | |
Die einstweilige Verfügung sollte ihm Druck machen: Man drohte Voß mit | |
einer erheblichen Geldstrafe, sollte er während einer Jagd noch einmal den | |
Platz am Deich aufsuchen, den er schon seit vierzig Jahren fast jeden Tag | |
aufsucht. So lange nämlich war er ehrenamtlicher Vogelzähler für die | |
Landesregierung und den Landkreis. Schließlich verzichteten die Behörden | |
auf seine Daten. Trotzdem: Voß bleibt unerbittlich. | |
Und auch Take Hülsebus steht wie ein Mann. "Wir jagen weiter", sagt er. | |
Dann fügt er leise hinzu: "Die jungen Leute holen sich ihre Gans heute doch | |
aus dem Supermarkt. Wenn sie überhaupt wissen, wie man die zubereitet." | |
20 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
## TAGS | |
Vogel | |
Jagd | |
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