# taz.de -- Puppentheater: Die Puppen tanzen lassen | |
> Die Hans Wurst Nachfahren feiern ihr 30-jähriges Bestehen. Dazu | |
> beglückwünschen sich die Theatermacher aus Schöneberg mit einem besonders | |
> hässlichen Besucher. | |
Bild: Wer hat knotige Knie und schreckliche Zähne, ist aber dümmer als die Ma… | |
Die düsteren Streichersätze werden unruhig, um den Auftritt des heimlichen | |
Hauptdarstellers anzukündigen. Dann tritt das Monster auf, 1,40 Meter groß, | |
plüschig und zum Liebhaben hässlich wie seine Buchvorlage: mit grässlicher | |
Tatze und giftiger Warze. Ein paar Dutzend Kinder rufen: "Grüffeloooo!" | |
Die Geschichte geht des Monsters geht so: Die kleine Maus erfindet im Wald | |
das Monster Grüffelo, um sich vor der gefräßigen Eule, dem Fuchs und der | |
Schlange zu schützen - bis sie tatsächlich auf ebenjenes Monster trifft. | |
Drei Jahre habe es gebraucht, die Geschichte umzusetzen, erzählt Barbara | |
Kilian, Mitgründerin, Dramaturgin und Spielerin des Puppentheaters Hans | |
Wurst Nachfahren. Begleitet wird die Inszenierung von eigens komponierter | |
Musik, eingespielt vom Scharoun Ensemble der Berliner Philharmoniker. | |
Das kleine Theater am Schöneberger Winterfeldtplatz feiert gerade sein | |
30-jähriges Bestehen, die Adaption des Kinderbuchklassikers ist eine Art | |
Geschenk des Theaters an sich selbst. "Es ist ein Gesamtkunstwerk", sagt | |
Theatergründer Siegfried Heinzmann. | |
Im Frühjahr 1981 gegründet, spielte das Ensemble zunächst im Mehringhof. | |
Dort sind heute noch Werkstatträume des Theaters untergebracht, in denen | |
Theaterdirektor und Puppenbauer Heinzmann die Puppen bastelt und | |
modelliert. Die Leidenschaft dafür entstand in seiner württembergischen | |
Heimat: "Als Kind habe ich wunderbares Puppentheater gesehen", erzählt der | |
71-Jährige, der mit seiner brummigen Art und seinem Bart Ähnlichkeit mit | |
Räuber Hotzenplotz hat. Gerhards Marionettentheater hatte es ihm angetan, | |
bis im Dritten Reich ein Spielverbot verhängt wurde - Puppentheater waren | |
den Nazis zu politisch. | |
Politisches Theater machen - mit nicht weniger hehren Zielen öffneten die | |
Hans Wurst Nachfahren damals ihre Bühne: "Wir dachten, wenn wir jetzt | |
Kindertheater machen, dann sieht die Welt in 20 Jahren ganz anders aus", | |
sagt Heinzmann und lacht laut auf. Mit politischen Inszenierungen, auch mit | |
Erwachsenenbildung. "Alle haben gesagt: Ihr seid verrückt!" Nicht immer zu | |
Unrecht, gibt Heinzmann zu: "Wir haben Tschechow mit fünf Leuten vor vier | |
Zuschauern gespielt." | |
## Kein Schickimicki | |
Beim "Grüffelo" ist das Theater voll. 70 bis 150 Besucher, je nach Alter | |
und entsprechender körperlicher Proportion, finden hier Platz. Kinder rund | |
ums Einschulungsalter sitzen in der ersten Reihe, die jüngeren weiter oben | |
auf dem Schoß von Müttern und Vätern. Fünf Puppenspieler stehen auf der | |
Bühne und bewegen die Hand- und Stabpuppen, Barbara Kilian spielt die Maus, | |
die erst die Tiere im Wald und schließlich den Grüffelo narrt. Siegfried | |
Heinzmann steht neben der Zuschauertribüne. Er beobachtet das Publikum. | |
Meist sitzen Kinder mit ihren Eltern bei den Hans Wurst Nachfahren, es | |
kommen aber auch ganze Schulklassen. Im Abendprogramm spielen sie Stücke | |
für Erwachsene: "Wir haben Theaterpublikum", sagt Heinzmann, "normale | |
Menschen". Das ist ihm wichtig; Schickimicki, das ist klar, könnte er hier | |
nicht ertragen. "Das Szenepublikum verlässt dich irgendwann." | |
Doch was führt gerade Erwachsene in ein Puppentheater? Der 71-Jährige | |
entgegnet: Warum würden Erwachsene Comics lesen? "Weil sie gut gemacht | |
sind, Bedürfnisse ansprechen, als eine visuelle und inhaltliche Kunstform." | |
Er zieht den Vergleich zu Karikaturen, aber "wir behaupten nicht, dass man | |
mit Puppen alles machen kann". | |
Dürrenmatts "Play Strindberg" wurde hier aufgeführt, Edgar Wallace mit | |
schwarz-weißen Puppen, Shakespeares "Hamlet". Zur Premiere von Loriots | |
"Gesammelten Werken" schaute Vicco von Bülow höchstpersönlich vorbei - | |
"eine Riesenanerkennung" war das für Barbara Kilian. Anspruchsvolles | |
Theater zu inszenieren, berge immer auch ein Risiko, besonders in politisch | |
und wirtschaftlich schweren Zeiten wie diesen: "In einer Zeit der Ängste | |
wollen die Leute lachen", sagt die 59-Jährige. Es gehe beim Theatermachen | |
aber auch um Haltung, sagt sie entschlossen, "es ist das wichtigste, | |
überzeugt zu sein von dem, was man macht!" | |
Das Theater haben beide von der Pike auf gelernt. Heinzmann lernte | |
Schauspiel in Esslingen und Reutlingen, ehe er eine Bühnentagung in Berlin | |
besuchte und dachte: "Leck mich am Arsch!" 1970 wurde an der Schaubühne am | |
Halleschen Ufer ein Gewandmeister gesucht, er arbeitete als Bühnen- und | |
Kostümbildner. Beim Theaterregisseur Peter Stein, später künstlerischer | |
Leiter der Nachfolge-Schaubühne am Lehniner Platz, und dem Dramaturgen | |
Dieter Sturm habe er "Theater noch mal neu gelernt". Barbara Kilian ließ | |
sich in der Nähe von Mannheim erst zur Fremdsprachensekretärin ausbilden, | |
ehe sie ab 1976 an der Berliner Schule für Erwachsenenbildung Schauspiel, | |
Gesang und Pantomime lernte. Anfang der 80er-Jahre stieß sie auf Heinzmanns | |
Zeitungsannonce: "Er hat Leute gesucht, um Theater zu machen." | |
Seit 1993 sind die Hans Wurst Nachfahren in Schöneberg. Das Gebäude sei | |
damals bereits zum Abriss freigegeben gewesen, erzählt Heinzmann, dann sei | |
es "erstritten worden gegen die Baumafia". Mehr als 300 Vorstellungen | |
führen die Hans Wurst Nachfahren hier jedes Jahr auf. Das elfköpfige | |
Ensemble ist teilweise seit 20 Jahren zusammen. | |
Die Künstler sind freischaffend, fest angestellt sind beim Theater neben | |
den Leitern nur zwei Mitarbeiter. Heinzmann erzählt von Nullrunden seit 15 | |
Jahren, über Kulturfunktionäre kann er sich leidenschaftlich in Rage reden. | |
Vor drei Jahren hatte eine von der Senatskanzlei für kulturelle | |
Angelegenheiten eingesetzte Jury die Aufgabe, Subventionen kleiner Bühnen | |
zu kappen. Die Basisförderung, die private Theater unterstützt, stand auf | |
der Kippe. Über die Hans Wurst Nachfahren urteilte die Jury damals, das | |
Theater sei zu "traditionsverhaftet". Theaterchef Heinzmann empört das bis | |
heute: "Wir haben immer für das Publikum gespielt, nicht für Preise, | |
elitäre Klubs oder Jurys." Es sei "bitter, wenn man uns das vorwirft". | |
Gänzlich gestrichen wurden die Mittel letztlich nicht. Was bei Heinzmann | |
aber hängen blieb, war das damalige Urteil, das Theater sei von der | |
heutigen Lebenswelt der Kinder zu weit entfernt. | |
Davon ist beim "Grüffelo" nichts zu spüren. Der zweite Teil läuft, "Das | |
Grüffelokind". Das will seinem Vater die Geschichte von der gefährlichen | |
Maus nicht so recht glauben und macht sich auf eigene Faust auf die Suche. | |
Obwohl das Stück schon fast eine halbe Stunde läuft, sitzen selbst die | |
Kleinsten noch gebannt auf ihren Plätzen. | |
Die Bedürfnisse der Kinder seien heute die gleichen wie vor 30 Jahren, sagt | |
Siegfried Heinzmann: "Erfolg, Liebe und die soziale Gemeinschaft." Aktuell | |
erhält das Theater einen Zuschuss von 113.000 Euro pro Jahr, zu den | |
Eintrittsgeldern kommen Sponsoren und Spenden. Obwohl die finanzielle Lage | |
in den vergangenen drei Jahrzehnten oft angespannt war, ist den beiden | |
Theatermachern um die Zukunft nicht bange. "Es gibt durch alle Parteien | |
auch vernünftige Leute", sagt Heinzmann. | |
## Ängstliches Monster | |
Auf den Bänken wird es langsam unruhig, 40 Minuten sind um - eine stolze | |
Leistung für kleine Kinder. Das Grüffelokind erschreckt sich vor einem | |
Trick der Maus, die wieder cleverer war als das Monster. Das sucht Zuflucht | |
beim Vater, der sein Kind liebevoll in den Arm nimmt: Die Monster sind gar | |
nicht so grausam, wie sie aussehen. Ende. Keinen Moment zu früh. | |
Applaus. Kilian und ihre Mitspieler lächeln. Heinzmann steht immer noch | |
neben der kleinen Tribüne, beobachtet das Publikum und schaut weiter seinen | |
grimmigen Hotzenplotz-Blick. Der Applaus ebbt nicht ab, Kinder rennen nach | |
vorne, um die Maus zu streicheln und noch einen Blick auf den Grüffelo zu | |
werfen. Andere Kinder lachen und erzählen ihren Eltern, was sie eben | |
gesehen haben - obwohl die gleich hinter ihnen saßen. Da überkommt es auch | |
den Theatermacher: Unter seinem dichten Bart grinst er über beide Backen. | |
19 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Torsten Landsberg | |
Torsten Landsberg | |
## TAGS | |
Puppentheater | |
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