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# taz.de -- Debatte Islam: Muslime für die Homoehe
> Zu Deutschlands chronischer Krankheit namens Islamdebatte sollte eines
> mal gesagt werden: Ja, es gibt liberale Muslime. Und das sind keine
> schnöden Opportunisten.
Wieder einmal hat Patrick Bahners Abwechslung in den Verlauf von
Deutschlands chronischer Krankheit namens Islamdebatte gebracht. Und dieses
Mal begnügte er sich nicht damit, die Islamfeindlichkeit der
Mehrheitsgesellschaft zu analysieren, nein, Mitte August intervenierte er
in eine Diskussion, von der wohl wenige seiner Kollegen überhaupt Notiz
genommen hatten, nämlich in eine bislang rein innerislamische Diskussion
über den liberalen Islam.
Seit Monaten schon diskutieren zumeist junge, akademisch ausgebildete
Muslime in den entsprechenden Nischenmedien, auf Facebook oder in Blogs
darüber, ob es eine religiöse Richtung mit der Bezeichnung "liberaler
Islam" sinnvollerweise geben könne. Diese Frage ist akut geworden, seitdem
sich im Sommer 2010 ein Liberal-Islamischer Bund (LIB e. V.) gegründet hat,
der offensiv für einen theologischen Pluralismus eintritt. In seinen
Statuten befürwortet der LIB außerdem weibliche Imame, ermutigt seine
Mitglieder zur "freien und selbstbestimmten Lebensgestaltung" und billigt
damit, so lässt sich unschwer zwischen den Zeilen lesen, nichteheliche und
homosexuelle Partnerschaften.
Wo es um Sex geht, werden die Frommen sämtlicher Religionen schnell
ungnädig, und so rümpfen auch manche Muslime die Nase über die
homofreundlichen Liberalen. Völlig zu Recht hat Lamya Kaddor, erste
Vorsitzende des LIB, in der Süddeutschen Zeitung kürzlich von einer
Abwehrhaltung der "jungen Konservativen" gesprochen.
Daraufhin fühlte sich wiederum Bahners aufgerufen, gleichsam diese
konservative (muslimische) Gegenseite zu verteidigen. Der liberale Islam
bezeichne "keine sachliche Position, sondern eine Funktionsstelle", nämlich
die der "Muslime, die als Vermittlungstheologen nach dem Geschmack von
Annette Schavan zur Verfügung stehen". Sein Hauptverdacht scheint damit zu
lauten, dass es sich beim liberalen Islam in Deutschland um eine
theologisch leere Blase handele, die sich mit der Absicht formiert habe,
Politik- und insbesondere Schavan-kompatibel zu sein.
Dies ist ein guter Moment, um dem Leser mitzuteilen, dass auch ich zu
diesen vermeintlichen "Vermittlungstheologen" zähle; und obwohl ich nur ein
reguläres Vereinsmitglied bin ohne jede Befugnis, für die Gruppe zu
sprechen, möchte ich Bahners gern versichern, dass seine Sorge um unsere
Inhaltsleere unbegründet ist.
## Liberaler Wissenskanon
Ja, gewiss, von einem explizit pluralistischen Verein wird man keine
To-do-Listen für islamisch korrektes Händeschütteln und Naseschnauben gemäß
jeder der vier anerkannten Rechtsschulen ausgehändigt bekommen! Stattdessen
betonen die Grundsätze des Verbands die Eigenverantwortung jedes Gläubigen
und den Vorrang des Sinns einer religiösen Praxis vor der bloßen Form.
Die jahrelangen feministischen und interreligiösen Initiativen des
Gründungsmitglieds Rabeya Müller dürften ebenso wohlbekannt sein wie die
historisch-kontextuelle Koranlesart der Religionspädagogin Kaddor. Der
Islamwissenschaftler und zweite Vorsitzende des Vereins, Luay Radhan, hat
kürzlich ausführlich die Bedeutung freier Glaubensausübung dargestellt, und
ich selbst habe mich letztes Jahr an einer Skizze liberalen Islams als
einer Gläubigkeit jenseits gestrenger Orthopraxie versucht.
Ist nach all diesen diskursiven Bemühungen also wirklich unverständlich,
was liberaler Islam sein soll - und warum manche Menschen dieses
Religionsverständnis in ihrem Heimatland institutionalisiert sehen wollen?
Einmal umgekehrt gefragt: Wieso soll es im 21. Jahrhundert nicht auch in
Deutschland, wie bereits in anderen Jahrhunderten und anderen Ländern,
Muslime geben, die kontextuell, historisch oder philologisch an die
heiligen Texte herangehen? Wieso sollen sich Teile des Islams sich nicht
ähnlich entwickeln wie die liberalen und reformerischen Zweige des
Judentums, und wieso sollen Muslime so unbeirrbar wie die Vertreter des
Vatikans an Homophobie und dem Lippenbekenntnis zur vorehelichen Keuschheit
festhalten? Müssen Muslime wirklich, um als solche anerkannt zu werden,
stets den orthodoxen Muslim geben und dabei am besten noch großzügig mit
arabischen Floskeln um sich werfen wie irgendein Murat bei Karl May?
## Offensiv mit Vielfalt umgehen
Selbstverständlich hat Bahners recht, dass der deutsche Staat "eine
freisinnige Koranauslegung nicht gegenüber einer bewahrenden bevorzugen"
darf. Das erwartet aber auch keiner. Wir sind nicht "die besseren" Muslime.
Wir sind einfach noch mal eine in manchen Hinsichten andere Spielart, die
sich mit demselben Recht zusammenschließen darf wie die "bewahrenden"
Muslime oder die "bewahrenden" und "freisinnigen" Katholiken und
Protestanten eben auch. Genauso legitim ist auch das Interesse muslimischer
Eltern mitzubestimmen, womit bekenntnisgebundener Unterricht über "den"
Islam gefüllt werden soll.
Nun tendiert eine Minderheit, die sich bereits zahlreichen Anfeindungen
ausgesetzt sieht, zum symbolischen Schulterschluss, um nicht noch mehr
"Schwäche" zu zeigen. Doch ist es das gemeinsame Eintreten gegen
Ausgrenzung wert, innere Differenzen zu unterdrücken, bis zur
Unkenntlichkeit zu verklausulieren, alles nur "unter sich" zu diskutieren,
damit ja kein Außenstehender etwas mitkriegt?
Zugegeben, gerade die Medien haben in den letzten Jahren einen Gutteil zum
Anwachsen der Islamfeindlichkeit beigetragen (wenn sie nicht sogar der
Hauptmotor waren). Dennoch glaube ich, dass, paradoxerweise, jetzt der
richtige Zeitpunkt ist, ein geradezu irrationales Vertrauen in die
bürgerliche Öffentlichkeit zu setzen (soweit sie nicht von Springer
aufgekauft ist).
Sich einfach in sie hineinzubegeben, komme was wolle, authentisch und mit
offenem Visier auch über innermuslimische Meinungsverschiedenheiten zu
sprechen - nicht nur in Nischenmedien, sondern in der uns allen gemeinsamen
deutschen Öffentlichkeit. Nur so kann sich schließlich bewahrheiten, dass
der Islam ein Teil Deutschlands ist und generell: dass Vielfalt keine
Schwäche ist.
24 Aug 2011
## AUTOREN
Hilal Sezgin
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