# taz.de -- Tim Renner über die Musikindustrie: "Ein Album ist keine Kunstform" | |
> Stars wie Bob Dylan und Bryan Adams wollen die Rechte an alten, | |
> profitablen Songs zurück. Das Ende der Plattenindustrie? Ein Gespräch mit | |
> Musikmanager Tim Renner. | |
Bild: Gebt das Lied frei! Bob Dylan will die Rechte an alten Songs zurück. | |
taz: Herr Renner, berühmte Künstler fordern von den US-Plattenfirmen die | |
Rechte an alten Songs zurück. Gehen die Firmen mitsamt ihren deutschen | |
Ablegern jetzt pleite? | |
Tim Renner: Pleitegehen werden sie nicht, es spüren aber schon. Vieles von | |
dem, was in Amerika verkauft wird, geht auch in Deutschland über die | |
Theken. Wenn ein Teil des Programms wegfällt, betrifft das natürlich auch | |
die deutschen Tochterunternehmen. Zudem verdienen die Plattenfirmen gerade | |
mit den nun betroffenen alten Songs am meisten. Die sind schon vollständig | |
durchfinanziert und damit hochprofitabel. Infolge der Krise der | |
Musikwirtschaft hat man neue Produktionen mit anderen Künstlern | |
runtergefahren, das ist auf die Dauer gefährlich. Früher machte man | |
mindestens drei Alben mit einem Künstler, dann wusste man erst, ob er sich | |
durchsetzt oder nicht. Heute ist das meist anders, denn seit die | |
Plattenfirmen an der Börse sind, müssen schnellere Erfolge erzielt werden. | |
Die Plattenfirmen wirkten von dem Vorstoß der Musiker überrascht. Dabei | |
gibt es die Gesetzesänderung, auf die sie sich beziehen, seit 1976. | |
Ich war siebzehneinhalb Jahre in der Musikindustrie und habe nichts von | |
dieser Copyrightänderung gewusst. Als ich Chef von Universal Deutschland | |
war, habe ich an all den großen Meetings, auch in den USA, teilgenommen, | |
und da war keine Rede davon. | |
Halten Sie das Anliegen der Musiker für gerecht? Haben die Plattenfirmen | |
schon genug an ihnen verdient? | |
Die Plattenfirmen trifft es zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Sie stehen | |
unter Druck, weil sie den Anschluss an den digitalen Markt verpasst haben. | |
Aus historisch-juristischer Sicht muss ich aber sagen: Die Künstler haben | |
recht. Die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren unglaublich | |
rentabel für die großen Labels: Dank der CD haben sie Nettorenditen von 20 | |
Prozent gehabt. Den Künstlern blieben dagegen oft nur 10 Prozent. Aber wenn | |
es jetzt den Plattenfirmen schlechter geht, trifft das auch die Förderung | |
neuer Künstler, da die Bereitschaft, Risikokapital auszugeben, mit | |
rückläufiger Profitabilität natürlich sinkt. | |
Woher kommen die hohen Umsatzeinbußen der Plattenindustrie? | |
Die Musikindustrie hat die Hoheit über das Timing verloren, akzeptiert | |
diesen Fakt aber nicht als Realität: Um höher in die Charts einzusteigen, | |
werden Songs schon im Radio und Fernsehen gespielt, lange bevor es sie als | |
Platte oder legalen Download zu kaufen gibt. Man staut den Bedarf der | |
Konsumenten bewusst auf, diese bedienen sich dann aber, mangels | |
Alternative, bei den illegalen Mitschnitten aus dem Netz. Die | |
Profitabilität der Musikindustrie leidet zusätzlich darunter, dass sich | |
ihre Kunden im Netz nur die Songs kaufen, die sie wirklich mögen. In der | |
guten alten Zeit von CD und Vinyl war das anders: Auch wenn man nur zwei | |
oder drei Songs auf einem Album mochte, musste man gleich das ganze kaufen | |
und für alle Songs zahlen. | |
Wieso haben die Musikfirmen den digitalen Markt immer noch nicht erobert? | |
Um den digitalen Markt zu erobern, muss man in Sachen Aktualität, Qualität | |
und Vollständigkeit mindestens so gut sein wie die Konkurrenz. Egal ob man | |
das fair findet oder nicht, besteht der Wettbewerb aber aus den illegalen | |
Angeboten. Wie will man diese übertreffen, wenn man nicht einmal bei den | |
Streaming Services wie YouTube oder Spotify zu einer Einigung kommt? Die | |
Gema geht offensichtlich davon aus, dass sie pro ausgelieferten Stream | |
vergütet werden muss. Spotify hingegen will wie Radio oder Fernsehen per | |
Umsatz bezahlen. Anders ist ein solches Angebot auch nicht tragbar oder | |
planbar. Die Umsätze haben beim Streaming nichts mit der Nutzungsintensität | |
zu tun, sondern hängen von Werbung und bezahlten Abos ab. | |
Kann man denn Alben aus künstlerischer Sicht einfach so zerstückelt | |
verkaufen? | |
Ja, das ist meiner Meinung nach möglich: Wenn ein geschlossenes Werk nicht | |
überzeugend genug ist, ist das das Problem des Künstlers. Ein Album ist ein | |
alter, technischer Standard, keine Kunstform: Auf Vinyl können etwa 32 bis | |
45 Minuten Musik gepresst werden, dann wird der Klang schlechter und | |
leiser. Puristen sagen sogar, nicht mehr als 35 Minuten. Daher kommt das | |
Albumformat. Künstler sollten alten Formaten nicht nachtrauern, sondern | |
neue Gegebenheiten für sich nutzen. | |
YouTube beteiligt jetzt den US-Verband der Musikverlage an seinen | |
Werbeumsätzen. Warum kann man sich dort einigen, aber in Deutschland nicht? | |
Die Gema, die hierzulande Künstler vertritt, unterliegt anders als andere | |
Urherberrechtsgesellschaften dem Vereinsrecht: Dieses ist sehr komplex und | |
trägt dazu bei, dass sich ein sehr großer Verein wie die Gema kaum erneuern | |
kann. Für eine Satzungsänderung muss zum Beispiel ein bestimmter Anteil an | |
Mitgliedern anwesend sein. Ich bin auch Gema-Mitglied und war da noch nie. | |
Leute wie ich sind schuld, weil keiner auf die Versammlungen Bock hat. Wenn | |
man da hingeht, muss man entweder Administration lieben oder viel, viel | |
Zeit haben, also seine Karriere schon hinter sich haben. Das sind schlechte | |
Bedingungen für Erneuerungen. Die Gema wird deshalb nicht von denen | |
geprägt, die das kreative Bild in der aktuellen Musikszene darstellen. | |
Im September veranstalten Sie in Berlin die Musikmesse "All2gethernow" mit. | |
Dort soll die Frage beantwortet werden, ob man als Musiker überhaupt noch | |
ein Label braucht. Und, braucht man noch eins? | |
Ganz häufig braucht man kein Label, die kleinen Künstler können auch ohne | |
eines anfangen. Heute kann man über das Internet gleich alles | |
veröffentlichen. Eine Sängerin, bei der das gut geklappt hat, ist Zoe | |
Leela. Sie hat am Anfang erst mal Platten verschenkt, um bekannter zu | |
werden. Die ganz großen Künstler brauchen meist auch kein Label und | |
beauftragen Plattenfirmen auf Zeit, ihre Aufträge durchzuführen. Dafür | |
geben sie einen kleinen Teil der Rechte ab, das ist für die Musiker viel | |
rentabler. Hauptsächlich die mittleren Musiker sind noch auf Plattenfirmen | |
angewiesen, da sie oft einen Investor brauchen, um sich professionalisieren | |
zu können, und um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern. | |
25 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Lucie Yertek | |
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