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# taz.de -- Wenn Anne Will am Mittwoch talkt: Reden und reden lassen
> "Anne Will" bleibt Anne Will und wird doch ganz anders. Nächsten Mittwoch
> startet sie auf ihrem neuen Sendeplatz. Dann kommt auch Edmund Stoiber.
Bild: Der ARD-Betriebsausflug: ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, NDR-Programmdi…
Irgendjemand muss in der ARD "Betriebsausflug" gerufen haben, jedenfalls
sind alle gekommen: ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, NDR-Intendant Lutz
Marmor, sein Fernsehdirektor Frank Beckmann, und in der Kulisse turnt auch
noch Jürgen Meier-Beer rum. Doch halt, es geht nicht um die
gesellschaftspolitische Veranstaltung namens Eurovision Song Contest, für
die Meier-Beer einst verantwortlich zeichnete. Sondern um Anne Will. Die
ist natürlich mittenmang und hat die Herren Programmverantwortlichen in
ihrem Studio in Berlin-Adlershof auch hübsch in ihren Sendungssesselchen um
sich herum drapiert.
Allein, das würde eine ziemlich lahme Talkrunde. Kein Norbert Lammert,
nirgends, der als Bundestagspräsident über die schmerzliche Lage des
Parlaments und dessen selbstverschuldete Uninteressantheit Auskunft gäbe
und noch mehr televisionäres Politgequatsche vehement ablehnt. Nein, hier
sind alle einer Meinung: Das mit den künftig fünf ARD-Polittalks pro Woche
geht schon in Ordnung, alles andere ist Querulantentum von Journalisten,
und "Anne Will" wird sowieso bombig, auch auf dem neuen Sendeplatz am
Mittwochspätabend.
Die neue Sendung begreife man schon als "neue Sendung", sagt denn auch Anne
Will, "wir behalten einiges bei und ändern anderes". Beibehalten für die
erste Ausgabe am kommenden Mittwoch wird zum Beispiel Edmund Stoiber. Das
Thema lautet "Wut im Bauch", allerdings geht es nicht um Stoibers
verkorkste Kanzlerkandidatur anno 2002 (hoffentlich weiß er das auch),
sondern um die Randale in London und Birmingham, brennende Autos in Berlin,
U-Bahn-Schläger allerorten - kurzum: die Zivilisation, in der wir leben.
Und dazu wird erst mal Tim Raue einvernommen, der Sternekoch, der in seiner
Jugend selbst Zuschläger in einer Gang war, so hat es die "Anne
Will"-Redaktion geplant. Das Neue daran: Will kann sich Zeit nehmen für
Raue, 15 bis 20 Minuten darf so ein Gespräch mit dem ersten Gast, der das
Sendungsthema grundiert, künftig schon dauern. Denn bei allen Nachteilen,
von Günther Jauch aus dem sonntäglichen Quotenparadies nach dem "Tatort"
vertrieben worden zu sein, hat der neue Platz für "Anne Will" schon jetzt
einen entscheidenden Vorteil - nämlich eine Viertelstunde mehr.
## Auf Raue folgt Sido
Auf Raue soll Rapper Sido folgen, als "Gegenspieler", so viel sei schon
hier verraten, dazu kommen noch der schon erwähnte bayerische Politrentner
S., der Publizist Christian Nürnberger. Und ganz zum Schluss, gewissermaßen
als Buttercremebällchen auf diesem zivilisatorischen Kosakenzipfel -
Veronika Ferres.
"Als ich das Konzept zum ersten Mal gelesen habe, war ich sofort
begeistert, und dass man den Menschen mehr Raum gibt, finde ich toll",
freut sich NDR-Programmdirektor Frank Beckmann, bei jedem anderen würde so
etwas schleimig wirken.
Doch diese Runde ist schließlich dazu da, sich im Lob zu überbieten, selbst
Anne Will guckt zwischendurch leicht irritiert-amüsiert in die Runde, als
wollte sie sagen: Habe ich das nötig? Also: Fünf mal Polittalk pro Woche in
der ARD ist keine Fehlentwicklung, sondern richtig klasse, wiederholt auch
Chefredakteur Baumann noch mal.
Viel Arbeit sehe er als im Konfliktfall zuständiger Themen- und
Gästekoordinator zwischen "Jauchplasbergmaischbergerwillbeckmann" auch
nicht auf sich zurollen. Schließlich habe er das bei den vier bestehenden
ARD-Polittalks schon immer gemacht, meint Baumann und will eigentlich
sagen: Nur hat das früher eben kein Schwein interessiert.
Dann schießt auch der Intendant noch einen klitzekleinen Pfeil ab und sagt,
ihm sei die ARD mit dem "5 Tage - 5 Könner"-Ansatz lieber als "3 Tage ein
Talker mit ein und demselben Konzept". Dabei hat Lutz Marmor natürlich
nicht aus Versehen den demnächst ja auch noch zur ARD heimgeholten
Vorabendtalker Thomas Gottschalk gemeint, sondern "Markus Lanz" und das
ZDF. Was wieder ein bisschen gemein ist, weil das Zweite mit "Maybrit
Illner" gerade mal einen Polittalk für Erwachsene hat und Lanz bloß den
Kerner II mimt.
Um Norbert Lammert das Wochenende vollends zu vermiesen, gibt die ARD dann
noch bekannt, dass es künftig nicht mal mehr Polittalk-Sommerpausen geben
wird und von Weihnachten abgesehen immer ein oder zwei Sendungen am Start
sind. Und dann ist Schluss.
Was bleibt, sind die Häppchen danach und die Kühle im vollklimatisierten
Studio an diesem heißen Tag und die Gewissheit, dass wir uns bald
wiedersehen, am übernächsten Montag, in einem Polittalkstudio in Berlin.
Mit NDR-Intendant Lutz Marmor, NDR-Programmdirektor Frank Beckmann,
ARD-Chefredakteur Thomas Baumann - und einem gewissen Günther Jauch.
26 Aug 2011
## AUTOREN
Steffen Grimberg
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