# taz.de -- Wege aus der Dauerkrise: "Wir brauchen mehr Europa" | |
> Carsten Sieling, Bremer Bundestagsabgeordneter und Haushaltspolitiker, | |
> plädiert für die Transaktionssteuer - und fordert dass die | |
> Nationalstaaten Kompetenzen an die EU und ein europäisches | |
> Finanzministerium abtreten. | |
Bild: Schirmchen aufspannen hilft nicht viel - so lange der Finanzsektor aufgeb… | |
taz: Herr Sieling, es wirkt fast, als wüssten Bundespolitik und die | |
Kanzlerin nicht, wie mit der kombinierten Schulden- und Finanzkrise | |
umzugehen ist. | |
Carsten Sieling: Es ist wirklich so. Die ursprüngliche Reaktion der G 20 | |
nach dem Crash 2008 war doch, man müsse jeden Akteur, jedes Produkt auf dem | |
Finanzmarkt regulieren. Daraus ist nicht viel geworden. | |
Und wer jagt da die Politik alle paar Jahre übern Hof? | |
In den letzten 20 Jahren hat sich der Finanzsektor aufgebläht und | |
verselbständigt gegenüber dem, was man Realwirtschaft nennt. Das führt zu | |
einer Realkrise nach der anderen. | |
Seit langem wird vor Griechenlands Überschuldung gewarnt… | |
Diese Krise haben wir schon im Frühjahr 2011 kommen sehen - aber die | |
Kanzlerin machte sich Sorgen um die NRW-Wahl und vertagte alles andere. | |
Damals hätte man handeln müssen. Wenn man hinterherläuft, wird es teurer. | |
Und was ließe sich in dieser Lage wirklich tun? | |
Es ist eine völlig neue Situation: Wir stehen vor einem großen | |
Integrationsschub in der EU und die nationalen Handlungsmöglichkeiten | |
erweisen sich als begrenzt. Man müsste den Sektor der Finanzwirtschaft | |
unter Kontrolle bekommen … | |
Das hat nichts mehr zu tun mit der Überschuldung der Staaten. | |
Die wird gern als Ursache in den Vordergrund gestellt, in Wirklichkeit ist | |
sie ein abgeleitetes Problem: Die Blase muss verkleinert werden, | |
Investitionen in realwirtschaftliche Projekte müssen besser gestellt werden | |
als solche in Finanzspekulationen. Darum ist die Einführung einer | |
Finanztransaktionssteuer wichtig. | |
Sie gehören auch dem Soffin an, dem Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung. | |
Ist die Arbeit da erledigt? | |
Der Ausschuss hat noch viel zu tun, aber es kommen derzeit keine neuen | |
Institute mit Rettungsbitten. | |
Wie teuer war der Spaß? | |
Das wird wohl erst in Jahrzehnten endgültig beantwortet werden. Zwar sind | |
von den 500 Milliarden Euro, die anfangs zur Verfügung standen, derzeit nur | |
etwa 50 Milliarden gebunden. Aber die Banken-Abwicklungsanstalten tauchen | |
in dieser Rechnung nicht auf - und allein die der Hypo Real Estate ist 173 | |
Milliarden schwer. Da schlummern noch erhebliche Risiken. | |
Bremens Schuldenproblem scheint im Vergleich zu Griechenland klein. | |
Wir haben eine Fiskal-Union in Deutschland, alle stehen füreinander ein. | |
Auch real gibt es Unterschiede: Bremen ist Exportweltmeister, Griechenland | |
hat Strukturprobleme. In Griechenland liegen die Schulden bei 142, in | |
Bremen deutlich unter 100 Prozent im Verhältnis zum Brutto-Inlandsprodukt. | |
Brauchen wir für Europa so ein bündisches Prinzip? | |
Ja. | |
Die Nationalstaaten müssten Kompetenzen abgeben? | |
Eindeutig. Ich bin dafür, dass wir ein europäisches Finanzministerium | |
bekommen. Das Europa-Parlament muss gestärkt werden, wir haben ein | |
Demokratie-Problem in der EU. Bisher wird der Präsident der Kommission | |
gewählt, der Finanzkommissar nicht. Aber er bestimmt mehr, als mancher | |
nationale Finanzminister. Die nächste Bundesregierung wird die Aufgabe | |
haben, die europäische Integration nach innen voranzutreiben. | |
Bei der SPD sind viele nicht gut auf Europa zu sprechen! | |
Die gibt es überall. Aber unter den Parteien im Bundestag sind wir mit den | |
Grünen die europäischste. Ich sehe bei uns die Mehrheit dafür wachsen, dass | |
Europa in Teilen eine eigene Steuerhoheit bekommt. | |
Welche Steuern? | |
Kommissionspräsident Manuel Barroso hat die Finanztransaktionssteuer | |
vorgeschlagen. Die wird nur an Finanzplätzen wie London, Frankfurt und | |
Luxemburg anfallen. Die kann man schlecht als nationale Steuer behandeln. | |
Bremen soll seinen Haushalt bis 2020 in Ordnung bringen. Ist das nicht | |
illusorisch? | |
Ich halte das für ein realistisches Ziel. Die erste Voraussetzung ist, dass | |
es konjunkturell nicht zum Einbruch kommt. Und zweitens darf sich die | |
schwarz-gelbe Koalition nicht mit ihren Steuersenkungsplänen durchsetzen. | |
Jeder Euro Steuersenkung kostet den Bund nur 42,5 Cent - Land und Kommune | |
zahlen den Rest. Der Bund hat also die geringere Last. Zugespitzt gesagt: | |
CDU und FDP wollen politisch profitieren - und Bremen soll bezahlen. | |
26 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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