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# taz.de -- Die Geschichte des Reichskriegsschatzes: Das Gold vom Juliusturm
> "Von Gold waren die Decken...": Herr Bannasch von der Heimatkundlichen
> Vereinigung Spandau erzählt vom Schatz des Juliusturms in der Zitadelle
> Spandau in Berlin.
Bild: Karl-Heinz Bannasch: "Also der Juliusturm ist der älteste profane Bau de…
Halt ans Feuer das Fafnirherz. Munden mag ich mir den Muskel lassen, nach
dem Trunk vom Totenblut (Edda)
Karl-Heinz Bannasch, erster Vorsitzender d. "Heimatkundlichen Vereinigung
Spandau, 1954 e. V." ist Mitorganisator d. Führungen u. Vorträge auf d.
Zitadelle Spandau u. er macht auch selbst Führungen. Sein
Interessenschwerpunkt sind die Brandenburger Juden im Spätmittelalter (ihre
Verfolgung u. Vertreibung Anfang d. 16. Jh. unter d. Vorwand d.
Hostienschändung, d. Zerstörung d. Jüdischen Friedhofes in Spandau u. d.
Verwendung d. jüdischen Grabsteine zum Festungsbau). Herr Bannasch wurde
1956 in Spandau geboren, besuchte dort d. Gesamtschule und arbeitete danach
- bis zu seinem Ausscheiden - als Beamter im öffentlichen Dienst. Seit 2007
ist er ehrenamtlich auf d. Zitadelle Spandau tätig. Herr Bannasch ist
verheiratet und kinderlos. Seine Eltern sind bereits tot, sie arbeiteten
als Krankenpfleger u. Krankenschwester.
Angesichts des Goldrausches und der sich überschlagenden Goldpreise drängt
sich die Frage auf, was eigentlich ist ein Schatz? Seiner Herkunft nach ist
er vor allem immer eins: Beute. Seine Bestimmung und Funktion ist die
Vermehrung der Macht seines Besitzers.
Unternehmen und Staaten horten Gold (in der Fed, der Notenbank in New York,
25 Meter unter der Erde, soll in Hochsicherheitstresoren mindestens ein
Drittel der 3.400 Tonnen des Goldvorrates der Deutschen Bundesbank lagern).
Aber auch die Privatperson kann sich ihre Privatmacht kaufen. Sie legt in
Krisenzeiten ihr Geld vermehrt in Gold an, weil sie es für einen bleibenden
Wert hält. Sie nimmt aber ihr Gold in der Regel nicht mit nach Hause, meist
bekommt sie es nicht mal zu sehen. Ein Goldschatz lässt sich nicht
besitzen, zu groß sind die Risiken eines gewaltsamen Verlustes. Solch ein
Schatz müsste verborgen werden, aber kein Versteck ist sicher, keine
Bewachung umsichtig genug.
Deshalb muss er in den unterirdischen Gold-Lagerstätten der Banktresore
weggesperrt und scharf bewacht werden. Dort aber, in der Finsternis,
erlischt sein Glanz. Der Schatz ist nur noch totes Kapital, versehen mit
einem veränderbaren, fiktiven Wert. Es wirft keinerlei Ertrag ab, seine
Verwahrung und Bewachung aber verschlingt Geld. Nichts fließt mehr. Der
Schatz ist die Versteinerungsform des Geldes (Karl Marx). Und das Fatale am
Schatz ist, dass man nur reich ist, solange man ihn behält, ihn hortet. Man
kann ihn eigentlich gar nicht zu Geld machen, denn dann ist er weg und man
steht wieder vor dem Nichts!
In Berlin, in der Zitadelle Spandau, kann man einer jener tragischen
Schatzgeschichten nachspüren, der des legendären Reichskriegsschatzes.
Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 endete mit der französischen
Kapitulation und der Gefangennahme von 100.000 französischen Soldaten,
nebst Kaiser Napoleon III. Der Krieg kostete 120.000 junge Männer das Leben
(40 000 Deutschen und 80 000 Franzosen). Er führte zum Untergang des
französischen Kaiserreiches, zur Gründung des deutschen Kaiserreiches, zu
den blutigen Barrikadenkämpfen der Pariser Kommune, und er kostete
Frankreich 5 Milliarden Franc an Reparationszahlungen (nebst 3 Millionen
Stundungszinsen), die Deutschland zu einem wirtschaftlich prosperierenden
Land machten. Diese 5 Milliarden Franc bestanden zu 97% aus Gold und
Goldmünzen. Der Transfer von Paris nach Berlin wurde im Auftrag der beiden
Regierungen zwischen dem Bankhaus Rothschild in Paris und dem Bankhaus
Bleichröder in Berlin abgewickelt. Das Gold wurde unter schwerer
militärischer Bewachung in Zügen nach Berlin transportiert, wo es sogleich
Verwendung fand. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches* wurde
nämlich eine grundlegende Währungsreform vorgenommen und die Deutsche Mark
(1871-2002) als zukünftige Einheitswährung eingeführt. Zuerst als Goldmark,
geprägt aus dem Französischen Reparationsgold. Aus einem kleinen Teil der
Reparationszahlungen wurde der Reichskriegsschatz gebildet. Er bestand aus
120 Millio- nen Goldmark in neuen Münzen, die ebenfalls von der Berliner
Münzprägestätte umgeprägt und mit dem Porträt des Kaisers Wilhelm I.
versehen worden waren. Dieser Schatz wurde ausschließlich zum Zweck der
Mobilmachung angelegt und lagerte von 1874 bis 1919 im Juliusturm der
Zitadelle Spandau. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die Überführung und
Lagerung in den unterirdischen Gewölben der Reichsbank, bis zur endgültigen
Rückübertragung an Frankreich.
Anfang August sind wir in Spandau (ehemals Garnisons- und Festungsstadt,
Stadt der Exerzierplätze und Pulvermühlen, Zentrum der preußischen
Rüstungsproduktion) mit Herrn Bannasch verabredet, er will uns vom Schatz
des Juliusturmes erzählen.
Die Zitadelle, nordöstlich der Spandauer Altstadt, wird fast vollkommen von
Bäumen verdeckt. Dahinter liegt sie im Wasser, robust, spartanisch und
vollkommen aus rotem Backstein errichtet, bis auf die alten Steinfundamente
von Juliusturm und Palas. Sie ist eine Festung der Hochrenaissance, mit
venezianischem Holzunterbau und 4 Bastionen, fertiggestellt Ende des 16.
Jh. Im 19. Jh. war sie mehrfach von franz. Truppen besetzt. Bis 1879 diente
sie auch als Gefängnis, u. a. saßen hier ein: der Turnvater Jahn, die
Gefangenen der 48er Revolution und massenhaft französische Kriegsgefangene.
Dass auch Speer und Heß hier inhaftiert waren, ist ein weit verbreiteter
Irrtum. Sie saßen im Kriegsverbrechergefängnis in der Wilhelmstraße, das
nach dem Tod von Heß abgerissen wurde.
Wir haben eine Sondergenehmigung und dürfen ausnahmsweise über den einzigen
Zugang, die ehemalige Zugbrücke, durch das Torgebäude in die Festungsanlage
einfahren. Vor uns passierte bereits eine Stretchlimousine Brücke und
Wachpersonal. Es gibt irgendein Musik-Event, im Hof sind Bühne und
Sitzreihen für die Zuschauer aufgebaut. Herr Bannasch und sein Heimatverein
residieren abseits, in einem Gebäude an der Bastion Königin, mit Blick aufs
Lapidarium. Wir nehmen im Büro Platz. Herr Bannasch wirkt etwas nervös und
beginnt zu erzählen:
"Also der Juliusturm ist der älteste profane Bau der Mark Brandenburg, plus
Berlin, er ist so um 1200 als Burgfried errichtet worden. Heute ist er über
30 Meter groß. Seine Mauern sind zwischen 3 und 7 Metern dick. Sein
Fundament ist im 20. Jh. ,nachgegründet' worden, d. h., man hat Beton
reingepumpt, damit er nicht absackt. So, wie sich der Turm heute darstellt,
ist er natürlich damals nicht gewesen. Unten gab's keine Eingänge,
logischerweise, sonst wäre er ja kein Verteidigungsturm gewesen." Er
blättert in Unterlagen, zeigt eine Konstruktionszeichnung des Turmes. "Da
sehen Sie die Wendeltreppe, die ist 1965 eingebaut worden.
Also die Zitadelle ist ja nur einmal bekriegt worden. Eigentlich, das muss
man noch sagen, war die Zitadelle strategisch uninteressant, sehn Sie, wenn
hier Brandenburg ist, hier Berlin, hier Spandau, da marschiert doch der
Feind nicht auf Spandau zu! Er macht einen Bogen von 40 Kilometern an
Spandau vorbei. Wenn man es genau nimmt, war die Zitadelle bei ihrer
Fertigstellung schon militärisch überholt.
Hier hat nur eine einzige Schlacht stattgefunden, im April 1813.
Napoleonische Truppen, und auch polnische, hatten die Zitadelle besetzt.
Deshalb wurde sie von der preußischen Artillerie beschossen. Dabei haben
sie auch das Munitionslager getroffen. Durch die Druckwelle der Explosion
wurde der Turm beschädigt, und zwar so, dass er einen Neigungswinkel
bekommen hat. Er steht leicht schief. Das sehen Sie aber nur, wenn sie von
der Spree kommen. Und man darf nicht nach oben sehen, denn Schinkel hat
durch einen Trick, durch einen neuen Zinnenkranz, den Neigungswinkel
optisch ausgeglichen. Man musste ja von oben die Entfernung zum Feind
richtig vermessen können für die Geschütze.
Aber wie gesagt, das war das einzige Mal. Bei anderen Gelegenheiten ist die
Zitadelle immer kampflos übergeben worden, auch 1945. Kennen sie den Film
von Konrad Wolf? ,Ich war 19', da werden auch die Übergabeverhandlungen
zwischen den Russen und den Deutschen gezeigt, er war nämlich in dieser
russischen Einheit, zusammen mit dem Offizier Wladimir Gall, der
Parlamentär war.
Die Übergabe durch die Deutschen hat dann auch stattgefunden und es ist
vereinbart worden, dass die Zitadelle nie wieder militärischen Zwecken
dienen darf. Dafür haben die Russen darauf verzichtet, sie militärisch zu
schleifen.
Was man an dieser Stelle vielleicht auch noch sagen muss und was unserer
Geschichte eigentlich nicht zu Gesichte steht, ist Folgendes: In der
Nazizeit wurde die Zitadelle zum militärischen Sperrgebiet erklärt, weil
hier ein Reichs-Gasschutzlaboratorium errichtet wurde. Da gibt es bisher
auch kaum was drüber. Es wurde nicht nur am Gasschutz geforscht, sondern
auch mit Kampf- und Nervengasen, Sarin, ja, auch Tabun usw. Dem Vernehmen
nach lief Folgendes ab: Wenn Versuche vorgenommen wurden, hat man sich
Häftlinge aus dem KZ-Oranienburg geholt. Für die normalen Laborangestellten
hat dann die Arbeit für ein paar Tage geruht, sie wurden für die Zeit
beurlaubt und die SS hat dann hier die Menschenversuche gemacht. Ein
Wissenschaftler hat geschrieben, dass wohl keiner der Häftlinge diese
Versuche überlebt hat. Nein, eine Gedenktafel gibt es nicht. Am Kriegsende
hat die SS alles hastig vergraben, teilweise in den Brunnen geworfen.
Deswegen mussten ab den 70ern 15 Jahre lang hier die Böden saniert werden
und lange Zeit konnten große Teile der Zitadelle nicht besichtigt werden.
Jetzt noch mal zu 1813, da gibt es noch eine kleine Geschichte, weil Sie ja
am Thema Geld arbeiten: Also 1813, die Preußen und die Russen haben hier
alles beschossen. Große Teile der Altstadt und der Zitadelle, besonders der
Bereich hier, sind dabei zerstört worden. Die Berlinerinnen und Berliner
haben Ausflüge gemacht, um sich das Schlachtgetümmel anzuschauen - daher
der Name Schlachtenbummler - und hinterher kamen sie, um die Schäden
anzugucken. Und was haben die Spandauer gemacht? Die haben Eintritt
genommen! Und mit diesem Geld sind erhebliche Teile der Altstadt wieder
instand gesetzt worden.
Das sind alles interessante Details. Wissen Sie, wir Historiker ärgern uns
maßlos über vieles, was heute so abläuft. Stellen Sie sich mal vor, Sie
würden so ein Gespräch in 150 Jahren führen, über unsere heutige Zeit. Die
Leute haben ja kaum Briefe hinterlassen, haben nur E-Mails geschrieben, die
alle längst gelöscht sind, oder denken Sie an die ununterbrochen simsende
Kanzlerin. Die regiert so! Und nichts wird überliefert. Und was schon
allein durchs Telefon verloren gegangen ist? Wäre in früheren Jahrhunderten
nicht alles mit der Hand aufgeschrieben und protokolliert worden, dann
könnte ich solche Geschichten gar nicht erzählen, weil sie nicht auf mich
überkommen wären.
So, jetzt kommen wir zum Reichskriegsschatz, der ja aus der
Kriegsentschädigung genommen wurde, die Frankreich nach dem
Deutsch-Französischen Krieg an Deutschland zahlen musste und der 1874 auf
der Zitadelle eingelagert wurde. Im Juliusturm. Man hat eine Festung
ausgewählt, damit nichts wegkommt. Und der sollte für den Fall der
Mobilmachung sein. Aber es hat interessanterweise im Ersten Weltkrieg
keinen Befehl darüber gegeben, den Reichskriegsschatz zu verwenden. Warum
ist dieses Geld, obwohl Deutschland dicht vor der Pleite stand, nicht
verwendet worden, sodass es noch da lag, als der Krieg verloren war und die
Franzosen 1919 herkamen und ihren Schatz wieder abholten?! Allerdings soll
ein Teil für den Bau des Reichstages verwendet worden sein, das ist
ziemlich verbrieft?" Er zögert etwas und blättert. "Meine späteren
Recherchen ergaben: Die 24 Millionen, die der Bau des Reichstag* kostete,
wurden aus den 5 Milliarden der französischen Reparationszahlungen
bestritten, ebenso wurden Teile der 5 Milliarden für den
Reichsinvalidenfonds verwendet, für die Kriegsmarine, für den
Festungsbaufond usw. Aus dem Reichskriegsschatz hingegen wurde lediglich
1900 das deutsche Eingreifen beim Boxeraufstand in China finanziert (das
aus Plündern, Brandschatzen und Morden bestand).
In seinem Buch ,Berlin in Wort und Bild' (Berlin 1895) schreibt der
Journalist Paul Lindenberg u. a. über die Lagerung und Kontrolle des
Reichskriegsschatzes und die Mitglieder der
Reichsschuldentilgungs-Kommission: "denen sich die geheimnisvolle Thür
gefügig zeigt, wenn sie gleichzeitig die in ihrem Besitz befindlichen -
übrigens sehr zierlichen Schlüssel - in das Schloß stecken." Neben diesem
Reichskriegsschatz, der ein Goldgewicht von 48.000 kg hat, befinden sich im
Juliusturm auch noch drei andere große Reichsfonds: für die
Invalidenversorgung, für den Festungsbau und die Errichtung des
Reichstagsgebäudes, die in ähnlicher Weise revidiert werden, nur dass es
sich um Wertpapiere handelt, welche auf das Genaueste mit den Angaben der
Inventarbücher verglichen werden."
Herr Bannasch steht auf und öffnet einen der grauen Metallschränke, deutet
auf die Bücherrücken und erklärt: "Sehen Sie, das ist unsere
Handbibliothek, also da gibt es einige sich widersprechende Zahlen und
Schilderungen. Und wenn ich hier z. B. in eins unserer Standardwerke
reinsehe, unter Reichskriegsschatz? Verstehen Sie, was ich meine? Also es
ist einfach so: Über den Reichskriegsschatz gibt es noch keine
abschließende wissenschaftliche Arbeit. Gibt es einfach nicht! Ich habe mal
gehört, dass jemand damit angefangen hat, aber an die ganzen Unterlagen
nicht rankam, die liegen nämlich im Völkerbund-Archiv in der Schweiz.
Aber ich habe trotzdem etwas für Sie. Erinnerungen. Die waren in einer
Zeitung nachgedruckt, im Spandauer Volksblatt, 1987 und die haben es aus
der Gartenlaube von 1910. Die Ausschnitte habe ich selbst mal gesammelt,
weil ich was darüber machen wollte, weil sich hier wieder Reichsgeschichte
mit der örtlichen Geschichte vermengt. Das ist nämlich ein Ansatz von mir,
denn ich bin mit Leib und Seele Landeskundler. Dass die ,große Geschichte'
ja immer irgendwo im Kleinen verankert sein muss, das wird oft nicht
wahrgenommen. Auch oft von Professoren nicht. Es handelt sich um
Erinnerungen von Dr. Hermann Pachnicke, der hier in Spandau geboren wurde
und aufgewachsen ist. Ein echter Spandauer. Er war ein linksliberaler
Reichstagsabgeordneter, eine herausragende Persönlichkeit. Und er war
Vorsitzender der Reichstagsdeputation, die einmal im Jahr in den Juliusturm
gekommen ist, um den Reichskriegsschatz auf seine Vollständigkeit hin zu
überprüfen. Die drei Tonnen schwere Tresortür, die man noch heute bewundern
kann, existierte zu dieser Zeit allerdings noch nicht, sie wurde erst nach
einem Einbruchsversuch 1910 eingebaut. Aber der Schatz wurde Tag und Nacht
von Militär bewacht. Der stand ja sozusagen dem Parlament zu, und das
Parlament hat es sich nicht nehmen lassen, ihn zu kontrollieren. Und eine
dieser Kontrollen beschreibt der Dr. Pachnicke." Er zeigt uns die Blätter.
Überlassen wir dem Vertreter der Reichsschuldenkommission, Herrn Dr.
Hermann Pachnicke, das Wort: "Von Gold waren die Decken, die Wände und der
Boden der Halle. Von Gold waren die Tische und sonstigen Geräte, die den
Raum erfüllten, und überall lagen glänzende Goldmünzen aufgeschichtet!
Ähnlich raunen es sich die großen und kleinen Kinder im Harz zu: Nahe dem
Brocken liegt die Höhle, wo die Zwerge in ihren prächtigen Gemächern
wohnen, wo Gold liegt, wie Sand am Meere. So schwelgt die Volksphantasie in
der Schilderung des Goldschatzes und der Wonnen, eines durch keine Sorge um
das tägliche Brot getrübten Daseins. Der Bedürftigkeit bedeutet Gold das
Glück. Man träumt sich hinweg aus der Niederung in die Höhe, aus der Hütte
in den Palast. Man ahnt, daß Reichtum Macht ist und Herrschaft über andere
verleiht. Was das Leben versagt, will man in Gedanken genießen, eine Welt,
die schöner und beseligender ist als die Wirklichkeit.
(…) Es gibt in Deutschland einen Ort, der einen Schatz birgt, wie ihn der
Volksgeist, der die Sagen spinnt, nicht glänzender errichten könnte. Da
liegt das rote Gold in gemünzten Stücken von 10 und 20 Mark, zusammen 120
Millionen. Wenige haben die Schätze geschaut, denn nur einmal im Jahr
öffnet sich die Pforte, die zu ihnen führt. Doch es ist kein Zauberberg,
sondern ein fester Turm - der Juliusturm von Spandau - und es bedarf keines
Ringens und keiner Wunderblume, um ihn zu erschließen, sondern sechs
kräftiger Schlüssel, die ein Kurator und ein Rendant zur Stelle bringen.
Der Öffnung wohnt ein Mitglied der Reichsschuldenkommission bei, und als
solches konnte diesmal - Mitte Oktober dieses Jahres - ich den Turm
betreten.
Die erste eiserne Thür geht auf. Ein Stilleben aus dem Thierreich bietet
sich dem überraschten Auge. Ganze Schwärme von Marienwürmchen nisten dort
in einer Spalte und fahren, plötzlich durch das grelle Tageslicht
aufgestöbert, wirr auseinander, um sich einen neuen, schützenden Winkel zu
suchen. Jetzt dreht sich die zweite Thür in ihren Angeln. Sie besteht nicht
aus Eisenplatten, sondern aus Eisenstäben, welche, während sich das
Geschäft der Revision vollzieht, dem Lichte und der Luft Zutritt lassen.
Endlich knarrt die dritte Thür und wir sind im Inneren des Turmes. Da
stehen sie, die schmucklosen Holzkisten mit ihrem goldenen Inhalt, neben-
und übereinander aufgestapelt. 15 Stapel mit je 30 Kisten unten und 22
Stapel zu je 30, sechs Stapel zu je 15 im oberen Geschoß, zu welchem eine
hölzerne Wendeltreppe hinauf führt. Die Kisten mögen je1 Fuß in der Länge
und einen halben in der Breite messen. Ihr Gewicht beträgt je etwa 87
Pfund. Jede dieser Kisten enthält 100 000 Mark, teils in Zehn-, teils in
Zwanzig-Markstücken, welche sich auf zehn Leinenbeutel gleichmäßig
verteilen. 1200 Behälter, mit je 100 000 Mark - das ergibt die Summe von
120 Millionen, welche durch das Gesetz vom 11. November 1871 aus der
französischen Kriegsentschädigung für die Zwecke einer künftigen
Mobilmachung zurückgelegt worden sind.
Man zählt die Kisten und prüft die Siegel. Das Mitglied der
Reichsschuldenkommission bezeichnet einige Behälter, die probeweise gewogen
und gestürzt werden sollen. Ein Unterbeamter und ein Arbeiter holen die so
bezeichneten herbei und setzen sie auf eine Decimalwaage. Das Istgewicht
stimmt mit dem auf einem Zettel an der Außenseite vermerkten Sollgewicht
noch immer überein. Soweit sich eine Differenz herausstellte, beträgt sie
nur wenige Gramm und ist durch den verschiedenen Feuchtigkeitsgehalt der
Luft bedingt.
Nun geht man daran, eine der gewogenen Kisten zu öffnen. Die Eisenbleche,
welche sie umschließen, werden mit einem Stemmeisen gelöst. Die nicht eben
dünnen und kurzen Nägel mittels einer Zange entfernt. Der Deckel öffnet
sich, die schweren Leinenbeutel sind in unserer Hand. Wir stellen sie auf
eine zweite Waage, zu welcher besondere, der Münzenschwere angepaßte und
geeichte Gewichte angefertigt sind. Auch hier ergibt sich keine Differenz.
Gleichwohl begnügt man sich noch nicht mit dieser Probe, sondern löst das
Siegel von einem wiederum beliebig ausgewählten Beutel und schüttet den
Inhalt auf die Waagschale. Da liegen sie nun, die gleißenden Metallscheiben
mit ihrem verführerischen Reiz und lachen die Umstehenden an, als wollten
sie sagen: Greift nur zu! Die Umstehenden lachen auch und berechnen
scherzend, wie weit wohl die 10 000 reichen würden. Die Goldstücke werden
in den Sack zurück geschüttet und derselbe hat sich in seinem nochmals
festgestellten Gesamtgewicht nicht um eine Unze vermindert.
Die Holzkiste wird wieder vernagelt, dann versiegelt und zusammen mit den
übrigen von den beiden Arbeitern genau an die selbe Stelle zurück getragen,
von welcher sie geholt worden war. Ein Protokoll verzeichnet, was alles
vorgenommen wurde, und schließt wie stets, so auch diesmal mit der
beruhigenden Versicherung, daß zu Bedenken keinerlei Anlaß vorgelegen habe.
Die bescheidenen Stearinkerzen, welche mit dem durch die Eisenstäbe
hereinfallenden Tageslicht gewetteifert hatten, das Dunkel des Turmes zu
erhellen, werden ausgelöscht, die drei Eisenthüren werden gehörig
verschlossen und die Revision ist beendet.
Doch halt! Zur höheren Sicherheit muß noch ein Gang gemacht werden, hinab
in den Keller nämlich, der an den Juliusturm angrenzt. Wer weiß, vielleicht
könnten von hier aus Unterminierungsversuche gemacht werden! Die Mauern des
Turmes sind zwar mehr als drei Meter dick; aber schlechten Menschen ist
alles zuzutrauen. Darum durchschreiten wir gebückt den Keller, bis an die
dem Turm zunächst gelegene Wand, überzeugen uns vorschriftsmäßig, daß sie
nicht zerstoßen, zerschunden oder durchlöchert ist, und kehren, erfüllt von
dem erhebenden Bewußtsein, unsere Pflicht, bis zum Tüpfelchen auf dem ,i'
gethan zu haben, ins Freie zurück, wo uns von dem durch Kastanienbäume
geschmückten Übungsplatz frische Luft entgegenweht.
Die gleiche Untersuchung der Kellerwand wird täglich von einem Offizier
vorgenommen, und einmal im Jahre, in der Regel im Frühjahr, erscheinen zum
Überfluß zwei von den Revisionsbeamten, diesmal ohne Begleitung eines
Mitgliedes der Reichsschuldenkommission, um sich ebenfalls von der
Unversehrtheit jener Wand zu überzeugen. Überdies bewacht Tag und Nacht ein
Militärposten, der alle zwei Stunden, im Winter jede Stunde, abgelöst wird,
die Stelle, wo der deutsche Reichskriegsschatz ruht. Durch solche
Sicherheitsvorkehrungen dürften alle lasterhaften Regungen im Keime
erstickt werden.
Ob es zweckmäßig ist, 120 Millionen ungenützt liegen zu lassen, und 4,5
Millionen jährlich an Zinsen zu verlieren?
Die Gegenwart, mit ihrem voll entwickelten Kreditwesen wird anders darüber
denken, als die Vergangenheit gedacht hat. Deutschland ist jedenfalls der
einzige Großstaat, welcher eine derartige Schatzsumme besitzt. Bei einer
umfangreichen Mobilmachung wird sie in einigen Tagen erschöpft sein, denn
die Kosten, die im Jahr 1870 allein für Preußen täglich 6 Millionen Mark
betrugen, sind seitdem mit der Vermehrung der Präsenzstärke des Heeres und
der Kriegsschiffe ganz erheblich gewachsen.
Wie viel hätten wir heute, wenn während der 30 Jahre von diesen 120
Millionen Zins auf Zins gekommen wäre?"
Herr Bannasch faltet die Blätter wieder zusammen, verwahrt sie und
resümiert: "Eins muss man ganz klar sagen, wenn der Reichskriegsschatz
nicht gewesen wäre, hätte es vielleicht die große Blase des Gründerkraches
nicht gegeben. Eben weil so viel Geld auf den Markt gekommen ist, billiges
Geld."
Der Großteil der Reparationszahlungen wurde zur Ablösung der Kriegsanleihen
benutzt, sorgte für umfangreiche Investitionen und zum rasanten Aufschwung
der Gründerjahre in Deutschland. Die immer irrwitzigeren
Börsenspekulationen führten 1873 zum Platzen der Gründerzeitblase.
Begleitet wurden die folgenden Jahre des Abschwungs von einer zunehmend
antisemitischen Stimmung in Deutschland.
*Anm. Die Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE wurde erst mitten im Ersten
Weltkrieg angebracht, quasi als Weihnachtsgeschenk des Kaisers an die SPD,
dafür, dass sie geschlossen für die Kriegskredite gestimmt hatte. Die
Bronzebuchstaben, aus zwei erbeuteten und eingeschmolzenen französischen
Kanonen gegossen, wurden von der renommierten jüdischen Kunstgießerei Loevy
hergestellt und angebracht.
29 Aug 2011
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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