# taz.de -- Die Geschichte des Reichskriegsschatzes: Das Gold vom Juliusturm | |
> "Von Gold waren die Decken...": Herr Bannasch von der Heimatkundlichen | |
> Vereinigung Spandau erzählt vom Schatz des Juliusturms in der Zitadelle | |
> Spandau in Berlin. | |
Bild: Karl-Heinz Bannasch: "Also der Juliusturm ist der älteste profane Bau de… | |
Halt ans Feuer das Fafnirherz. Munden mag ich mir den Muskel lassen, nach | |
dem Trunk vom Totenblut (Edda) | |
Karl-Heinz Bannasch, erster Vorsitzender d. "Heimatkundlichen Vereinigung | |
Spandau, 1954 e. V." ist Mitorganisator d. Führungen u. Vorträge auf d. | |
Zitadelle Spandau u. er macht auch selbst Führungen. Sein | |
Interessenschwerpunkt sind die Brandenburger Juden im Spätmittelalter (ihre | |
Verfolgung u. Vertreibung Anfang d. 16. Jh. unter d. Vorwand d. | |
Hostienschändung, d. Zerstörung d. Jüdischen Friedhofes in Spandau u. d. | |
Verwendung d. jüdischen Grabsteine zum Festungsbau). Herr Bannasch wurde | |
1956 in Spandau geboren, besuchte dort d. Gesamtschule und arbeitete danach | |
- bis zu seinem Ausscheiden - als Beamter im öffentlichen Dienst. Seit 2007 | |
ist er ehrenamtlich auf d. Zitadelle Spandau tätig. Herr Bannasch ist | |
verheiratet und kinderlos. Seine Eltern sind bereits tot, sie arbeiteten | |
als Krankenpfleger u. Krankenschwester. | |
Angesichts des Goldrausches und der sich überschlagenden Goldpreise drängt | |
sich die Frage auf, was eigentlich ist ein Schatz? Seiner Herkunft nach ist | |
er vor allem immer eins: Beute. Seine Bestimmung und Funktion ist die | |
Vermehrung der Macht seines Besitzers. | |
Unternehmen und Staaten horten Gold (in der Fed, der Notenbank in New York, | |
25 Meter unter der Erde, soll in Hochsicherheitstresoren mindestens ein | |
Drittel der 3.400 Tonnen des Goldvorrates der Deutschen Bundesbank lagern). | |
Aber auch die Privatperson kann sich ihre Privatmacht kaufen. Sie legt in | |
Krisenzeiten ihr Geld vermehrt in Gold an, weil sie es für einen bleibenden | |
Wert hält. Sie nimmt aber ihr Gold in der Regel nicht mit nach Hause, meist | |
bekommt sie es nicht mal zu sehen. Ein Goldschatz lässt sich nicht | |
besitzen, zu groß sind die Risiken eines gewaltsamen Verlustes. Solch ein | |
Schatz müsste verborgen werden, aber kein Versteck ist sicher, keine | |
Bewachung umsichtig genug. | |
Deshalb muss er in den unterirdischen Gold-Lagerstätten der Banktresore | |
weggesperrt und scharf bewacht werden. Dort aber, in der Finsternis, | |
erlischt sein Glanz. Der Schatz ist nur noch totes Kapital, versehen mit | |
einem veränderbaren, fiktiven Wert. Es wirft keinerlei Ertrag ab, seine | |
Verwahrung und Bewachung aber verschlingt Geld. Nichts fließt mehr. Der | |
Schatz ist die Versteinerungsform des Geldes (Karl Marx). Und das Fatale am | |
Schatz ist, dass man nur reich ist, solange man ihn behält, ihn hortet. Man | |
kann ihn eigentlich gar nicht zu Geld machen, denn dann ist er weg und man | |
steht wieder vor dem Nichts! | |
In Berlin, in der Zitadelle Spandau, kann man einer jener tragischen | |
Schatzgeschichten nachspüren, der des legendären Reichskriegsschatzes. | |
Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 endete mit der französischen | |
Kapitulation und der Gefangennahme von 100.000 französischen Soldaten, | |
nebst Kaiser Napoleon III. Der Krieg kostete 120.000 junge Männer das Leben | |
(40 000 Deutschen und 80 000 Franzosen). Er führte zum Untergang des | |
französischen Kaiserreiches, zur Gründung des deutschen Kaiserreiches, zu | |
den blutigen Barrikadenkämpfen der Pariser Kommune, und er kostete | |
Frankreich 5 Milliarden Franc an Reparationszahlungen (nebst 3 Millionen | |
Stundungszinsen), die Deutschland zu einem wirtschaftlich prosperierenden | |
Land machten. Diese 5 Milliarden Franc bestanden zu 97% aus Gold und | |
Goldmünzen. Der Transfer von Paris nach Berlin wurde im Auftrag der beiden | |
Regierungen zwischen dem Bankhaus Rothschild in Paris und dem Bankhaus | |
Bleichröder in Berlin abgewickelt. Das Gold wurde unter schwerer | |
militärischer Bewachung in Zügen nach Berlin transportiert, wo es sogleich | |
Verwendung fand. Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreiches* wurde | |
nämlich eine grundlegende Währungsreform vorgenommen und die Deutsche Mark | |
(1871-2002) als zukünftige Einheitswährung eingeführt. Zuerst als Goldmark, | |
geprägt aus dem Französischen Reparationsgold. Aus einem kleinen Teil der | |
Reparationszahlungen wurde der Reichskriegsschatz gebildet. Er bestand aus | |
120 Millio- nen Goldmark in neuen Münzen, die ebenfalls von der Berliner | |
Münzprägestätte umgeprägt und mit dem Porträt des Kaisers Wilhelm I. | |
versehen worden waren. Dieser Schatz wurde ausschließlich zum Zweck der | |
Mobilmachung angelegt und lagerte von 1874 bis 1919 im Juliusturm der | |
Zitadelle Spandau. Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die Überführung und | |
Lagerung in den unterirdischen Gewölben der Reichsbank, bis zur endgültigen | |
Rückübertragung an Frankreich. | |
Anfang August sind wir in Spandau (ehemals Garnisons- und Festungsstadt, | |
Stadt der Exerzierplätze und Pulvermühlen, Zentrum der preußischen | |
Rüstungsproduktion) mit Herrn Bannasch verabredet, er will uns vom Schatz | |
des Juliusturmes erzählen. | |
Die Zitadelle, nordöstlich der Spandauer Altstadt, wird fast vollkommen von | |
Bäumen verdeckt. Dahinter liegt sie im Wasser, robust, spartanisch und | |
vollkommen aus rotem Backstein errichtet, bis auf die alten Steinfundamente | |
von Juliusturm und Palas. Sie ist eine Festung der Hochrenaissance, mit | |
venezianischem Holzunterbau und 4 Bastionen, fertiggestellt Ende des 16. | |
Jh. Im 19. Jh. war sie mehrfach von franz. Truppen besetzt. Bis 1879 diente | |
sie auch als Gefängnis, u. a. saßen hier ein: der Turnvater Jahn, die | |
Gefangenen der 48er Revolution und massenhaft französische Kriegsgefangene. | |
Dass auch Speer und Heß hier inhaftiert waren, ist ein weit verbreiteter | |
Irrtum. Sie saßen im Kriegsverbrechergefängnis in der Wilhelmstraße, das | |
nach dem Tod von Heß abgerissen wurde. | |
Wir haben eine Sondergenehmigung und dürfen ausnahmsweise über den einzigen | |
Zugang, die ehemalige Zugbrücke, durch das Torgebäude in die Festungsanlage | |
einfahren. Vor uns passierte bereits eine Stretchlimousine Brücke und | |
Wachpersonal. Es gibt irgendein Musik-Event, im Hof sind Bühne und | |
Sitzreihen für die Zuschauer aufgebaut. Herr Bannasch und sein Heimatverein | |
residieren abseits, in einem Gebäude an der Bastion Königin, mit Blick aufs | |
Lapidarium. Wir nehmen im Büro Platz. Herr Bannasch wirkt etwas nervös und | |
beginnt zu erzählen: | |
"Also der Juliusturm ist der älteste profane Bau der Mark Brandenburg, plus | |
Berlin, er ist so um 1200 als Burgfried errichtet worden. Heute ist er über | |
30 Meter groß. Seine Mauern sind zwischen 3 und 7 Metern dick. Sein | |
Fundament ist im 20. Jh. ,nachgegründet' worden, d. h., man hat Beton | |
reingepumpt, damit er nicht absackt. So, wie sich der Turm heute darstellt, | |
ist er natürlich damals nicht gewesen. Unten gab's keine Eingänge, | |
logischerweise, sonst wäre er ja kein Verteidigungsturm gewesen." Er | |
blättert in Unterlagen, zeigt eine Konstruktionszeichnung des Turmes. "Da | |
sehen Sie die Wendeltreppe, die ist 1965 eingebaut worden. | |
Also die Zitadelle ist ja nur einmal bekriegt worden. Eigentlich, das muss | |
man noch sagen, war die Zitadelle strategisch uninteressant, sehn Sie, wenn | |
hier Brandenburg ist, hier Berlin, hier Spandau, da marschiert doch der | |
Feind nicht auf Spandau zu! Er macht einen Bogen von 40 Kilometern an | |
Spandau vorbei. Wenn man es genau nimmt, war die Zitadelle bei ihrer | |
Fertigstellung schon militärisch überholt. | |
Hier hat nur eine einzige Schlacht stattgefunden, im April 1813. | |
Napoleonische Truppen, und auch polnische, hatten die Zitadelle besetzt. | |
Deshalb wurde sie von der preußischen Artillerie beschossen. Dabei haben | |
sie auch das Munitionslager getroffen. Durch die Druckwelle der Explosion | |
wurde der Turm beschädigt, und zwar so, dass er einen Neigungswinkel | |
bekommen hat. Er steht leicht schief. Das sehen Sie aber nur, wenn sie von | |
der Spree kommen. Und man darf nicht nach oben sehen, denn Schinkel hat | |
durch einen Trick, durch einen neuen Zinnenkranz, den Neigungswinkel | |
optisch ausgeglichen. Man musste ja von oben die Entfernung zum Feind | |
richtig vermessen können für die Geschütze. | |
Aber wie gesagt, das war das einzige Mal. Bei anderen Gelegenheiten ist die | |
Zitadelle immer kampflos übergeben worden, auch 1945. Kennen sie den Film | |
von Konrad Wolf? ,Ich war 19', da werden auch die Übergabeverhandlungen | |
zwischen den Russen und den Deutschen gezeigt, er war nämlich in dieser | |
russischen Einheit, zusammen mit dem Offizier Wladimir Gall, der | |
Parlamentär war. | |
Die Übergabe durch die Deutschen hat dann auch stattgefunden und es ist | |
vereinbart worden, dass die Zitadelle nie wieder militärischen Zwecken | |
dienen darf. Dafür haben die Russen darauf verzichtet, sie militärisch zu | |
schleifen. | |
Was man an dieser Stelle vielleicht auch noch sagen muss und was unserer | |
Geschichte eigentlich nicht zu Gesichte steht, ist Folgendes: In der | |
Nazizeit wurde die Zitadelle zum militärischen Sperrgebiet erklärt, weil | |
hier ein Reichs-Gasschutzlaboratorium errichtet wurde. Da gibt es bisher | |
auch kaum was drüber. Es wurde nicht nur am Gasschutz geforscht, sondern | |
auch mit Kampf- und Nervengasen, Sarin, ja, auch Tabun usw. Dem Vernehmen | |
nach lief Folgendes ab: Wenn Versuche vorgenommen wurden, hat man sich | |
Häftlinge aus dem KZ-Oranienburg geholt. Für die normalen Laborangestellten | |
hat dann die Arbeit für ein paar Tage geruht, sie wurden für die Zeit | |
beurlaubt und die SS hat dann hier die Menschenversuche gemacht. Ein | |
Wissenschaftler hat geschrieben, dass wohl keiner der Häftlinge diese | |
Versuche überlebt hat. Nein, eine Gedenktafel gibt es nicht. Am Kriegsende | |
hat die SS alles hastig vergraben, teilweise in den Brunnen geworfen. | |
Deswegen mussten ab den 70ern 15 Jahre lang hier die Böden saniert werden | |
und lange Zeit konnten große Teile der Zitadelle nicht besichtigt werden. | |
Jetzt noch mal zu 1813, da gibt es noch eine kleine Geschichte, weil Sie ja | |
am Thema Geld arbeiten: Also 1813, die Preußen und die Russen haben hier | |
alles beschossen. Große Teile der Altstadt und der Zitadelle, besonders der | |
Bereich hier, sind dabei zerstört worden. Die Berlinerinnen und Berliner | |
haben Ausflüge gemacht, um sich das Schlachtgetümmel anzuschauen - daher | |
der Name Schlachtenbummler - und hinterher kamen sie, um die Schäden | |
anzugucken. Und was haben die Spandauer gemacht? Die haben Eintritt | |
genommen! Und mit diesem Geld sind erhebliche Teile der Altstadt wieder | |
instand gesetzt worden. | |
Das sind alles interessante Details. Wissen Sie, wir Historiker ärgern uns | |
maßlos über vieles, was heute so abläuft. Stellen Sie sich mal vor, Sie | |
würden so ein Gespräch in 150 Jahren führen, über unsere heutige Zeit. Die | |
Leute haben ja kaum Briefe hinterlassen, haben nur E-Mails geschrieben, die | |
alle längst gelöscht sind, oder denken Sie an die ununterbrochen simsende | |
Kanzlerin. Die regiert so! Und nichts wird überliefert. Und was schon | |
allein durchs Telefon verloren gegangen ist? Wäre in früheren Jahrhunderten | |
nicht alles mit der Hand aufgeschrieben und protokolliert worden, dann | |
könnte ich solche Geschichten gar nicht erzählen, weil sie nicht auf mich | |
überkommen wären. | |
So, jetzt kommen wir zum Reichskriegsschatz, der ja aus der | |
Kriegsentschädigung genommen wurde, die Frankreich nach dem | |
Deutsch-Französischen Krieg an Deutschland zahlen musste und der 1874 auf | |
der Zitadelle eingelagert wurde. Im Juliusturm. Man hat eine Festung | |
ausgewählt, damit nichts wegkommt. Und der sollte für den Fall der | |
Mobilmachung sein. Aber es hat interessanterweise im Ersten Weltkrieg | |
keinen Befehl darüber gegeben, den Reichskriegsschatz zu verwenden. Warum | |
ist dieses Geld, obwohl Deutschland dicht vor der Pleite stand, nicht | |
verwendet worden, sodass es noch da lag, als der Krieg verloren war und die | |
Franzosen 1919 herkamen und ihren Schatz wieder abholten?! Allerdings soll | |
ein Teil für den Bau des Reichstages verwendet worden sein, das ist | |
ziemlich verbrieft?" Er zögert etwas und blättert. "Meine späteren | |
Recherchen ergaben: Die 24 Millionen, die der Bau des Reichstag* kostete, | |
wurden aus den 5 Milliarden der französischen Reparationszahlungen | |
bestritten, ebenso wurden Teile der 5 Milliarden für den | |
Reichsinvalidenfonds verwendet, für die Kriegsmarine, für den | |
Festungsbaufond usw. Aus dem Reichskriegsschatz hingegen wurde lediglich | |
1900 das deutsche Eingreifen beim Boxeraufstand in China finanziert (das | |
aus Plündern, Brandschatzen und Morden bestand). | |
In seinem Buch ,Berlin in Wort und Bild' (Berlin 1895) schreibt der | |
Journalist Paul Lindenberg u. a. über die Lagerung und Kontrolle des | |
Reichskriegsschatzes und die Mitglieder der | |
Reichsschuldentilgungs-Kommission: "denen sich die geheimnisvolle Thür | |
gefügig zeigt, wenn sie gleichzeitig die in ihrem Besitz befindlichen - | |
übrigens sehr zierlichen Schlüssel - in das Schloß stecken." Neben diesem | |
Reichskriegsschatz, der ein Goldgewicht von 48.000 kg hat, befinden sich im | |
Juliusturm auch noch drei andere große Reichsfonds: für die | |
Invalidenversorgung, für den Festungsbau und die Errichtung des | |
Reichstagsgebäudes, die in ähnlicher Weise revidiert werden, nur dass es | |
sich um Wertpapiere handelt, welche auf das Genaueste mit den Angaben der | |
Inventarbücher verglichen werden." | |
Herr Bannasch steht auf und öffnet einen der grauen Metallschränke, deutet | |
auf die Bücherrücken und erklärt: "Sehen Sie, das ist unsere | |
Handbibliothek, also da gibt es einige sich widersprechende Zahlen und | |
Schilderungen. Und wenn ich hier z. B. in eins unserer Standardwerke | |
reinsehe, unter Reichskriegsschatz? Verstehen Sie, was ich meine? Also es | |
ist einfach so: Über den Reichskriegsschatz gibt es noch keine | |
abschließende wissenschaftliche Arbeit. Gibt es einfach nicht! Ich habe mal | |
gehört, dass jemand damit angefangen hat, aber an die ganzen Unterlagen | |
nicht rankam, die liegen nämlich im Völkerbund-Archiv in der Schweiz. | |
Aber ich habe trotzdem etwas für Sie. Erinnerungen. Die waren in einer | |
Zeitung nachgedruckt, im Spandauer Volksblatt, 1987 und die haben es aus | |
der Gartenlaube von 1910. Die Ausschnitte habe ich selbst mal gesammelt, | |
weil ich was darüber machen wollte, weil sich hier wieder Reichsgeschichte | |
mit der örtlichen Geschichte vermengt. Das ist nämlich ein Ansatz von mir, | |
denn ich bin mit Leib und Seele Landeskundler. Dass die ,große Geschichte' | |
ja immer irgendwo im Kleinen verankert sein muss, das wird oft nicht | |
wahrgenommen. Auch oft von Professoren nicht. Es handelt sich um | |
Erinnerungen von Dr. Hermann Pachnicke, der hier in Spandau geboren wurde | |
und aufgewachsen ist. Ein echter Spandauer. Er war ein linksliberaler | |
Reichstagsabgeordneter, eine herausragende Persönlichkeit. Und er war | |
Vorsitzender der Reichstagsdeputation, die einmal im Jahr in den Juliusturm | |
gekommen ist, um den Reichskriegsschatz auf seine Vollständigkeit hin zu | |
überprüfen. Die drei Tonnen schwere Tresortür, die man noch heute bewundern | |
kann, existierte zu dieser Zeit allerdings noch nicht, sie wurde erst nach | |
einem Einbruchsversuch 1910 eingebaut. Aber der Schatz wurde Tag und Nacht | |
von Militär bewacht. Der stand ja sozusagen dem Parlament zu, und das | |
Parlament hat es sich nicht nehmen lassen, ihn zu kontrollieren. Und eine | |
dieser Kontrollen beschreibt der Dr. Pachnicke." Er zeigt uns die Blätter. | |
Überlassen wir dem Vertreter der Reichsschuldenkommission, Herrn Dr. | |
Hermann Pachnicke, das Wort: "Von Gold waren die Decken, die Wände und der | |
Boden der Halle. Von Gold waren die Tische und sonstigen Geräte, die den | |
Raum erfüllten, und überall lagen glänzende Goldmünzen aufgeschichtet! | |
Ähnlich raunen es sich die großen und kleinen Kinder im Harz zu: Nahe dem | |
Brocken liegt die Höhle, wo die Zwerge in ihren prächtigen Gemächern | |
wohnen, wo Gold liegt, wie Sand am Meere. So schwelgt die Volksphantasie in | |
der Schilderung des Goldschatzes und der Wonnen, eines durch keine Sorge um | |
das tägliche Brot getrübten Daseins. Der Bedürftigkeit bedeutet Gold das | |
Glück. Man träumt sich hinweg aus der Niederung in die Höhe, aus der Hütte | |
in den Palast. Man ahnt, daß Reichtum Macht ist und Herrschaft über andere | |
verleiht. Was das Leben versagt, will man in Gedanken genießen, eine Welt, | |
die schöner und beseligender ist als die Wirklichkeit. | |
(…) Es gibt in Deutschland einen Ort, der einen Schatz birgt, wie ihn der | |
Volksgeist, der die Sagen spinnt, nicht glänzender errichten könnte. Da | |
liegt das rote Gold in gemünzten Stücken von 10 und 20 Mark, zusammen 120 | |
Millionen. Wenige haben die Schätze geschaut, denn nur einmal im Jahr | |
öffnet sich die Pforte, die zu ihnen führt. Doch es ist kein Zauberberg, | |
sondern ein fester Turm - der Juliusturm von Spandau - und es bedarf keines | |
Ringens und keiner Wunderblume, um ihn zu erschließen, sondern sechs | |
kräftiger Schlüssel, die ein Kurator und ein Rendant zur Stelle bringen. | |
Der Öffnung wohnt ein Mitglied der Reichsschuldenkommission bei, und als | |
solches konnte diesmal - Mitte Oktober dieses Jahres - ich den Turm | |
betreten. | |
Die erste eiserne Thür geht auf. Ein Stilleben aus dem Thierreich bietet | |
sich dem überraschten Auge. Ganze Schwärme von Marienwürmchen nisten dort | |
in einer Spalte und fahren, plötzlich durch das grelle Tageslicht | |
aufgestöbert, wirr auseinander, um sich einen neuen, schützenden Winkel zu | |
suchen. Jetzt dreht sich die zweite Thür in ihren Angeln. Sie besteht nicht | |
aus Eisenplatten, sondern aus Eisenstäben, welche, während sich das | |
Geschäft der Revision vollzieht, dem Lichte und der Luft Zutritt lassen. | |
Endlich knarrt die dritte Thür und wir sind im Inneren des Turmes. Da | |
stehen sie, die schmucklosen Holzkisten mit ihrem goldenen Inhalt, neben- | |
und übereinander aufgestapelt. 15 Stapel mit je 30 Kisten unten und 22 | |
Stapel zu je 30, sechs Stapel zu je 15 im oberen Geschoß, zu welchem eine | |
hölzerne Wendeltreppe hinauf führt. Die Kisten mögen je1 Fuß in der Länge | |
und einen halben in der Breite messen. Ihr Gewicht beträgt je etwa 87 | |
Pfund. Jede dieser Kisten enthält 100 000 Mark, teils in Zehn-, teils in | |
Zwanzig-Markstücken, welche sich auf zehn Leinenbeutel gleichmäßig | |
verteilen. 1200 Behälter, mit je 100 000 Mark - das ergibt die Summe von | |
120 Millionen, welche durch das Gesetz vom 11. November 1871 aus der | |
französischen Kriegsentschädigung für die Zwecke einer künftigen | |
Mobilmachung zurückgelegt worden sind. | |
Man zählt die Kisten und prüft die Siegel. Das Mitglied der | |
Reichsschuldenkommission bezeichnet einige Behälter, die probeweise gewogen | |
und gestürzt werden sollen. Ein Unterbeamter und ein Arbeiter holen die so | |
bezeichneten herbei und setzen sie auf eine Decimalwaage. Das Istgewicht | |
stimmt mit dem auf einem Zettel an der Außenseite vermerkten Sollgewicht | |
noch immer überein. Soweit sich eine Differenz herausstellte, beträgt sie | |
nur wenige Gramm und ist durch den verschiedenen Feuchtigkeitsgehalt der | |
Luft bedingt. | |
Nun geht man daran, eine der gewogenen Kisten zu öffnen. Die Eisenbleche, | |
welche sie umschließen, werden mit einem Stemmeisen gelöst. Die nicht eben | |
dünnen und kurzen Nägel mittels einer Zange entfernt. Der Deckel öffnet | |
sich, die schweren Leinenbeutel sind in unserer Hand. Wir stellen sie auf | |
eine zweite Waage, zu welcher besondere, der Münzenschwere angepaßte und | |
geeichte Gewichte angefertigt sind. Auch hier ergibt sich keine Differenz. | |
Gleichwohl begnügt man sich noch nicht mit dieser Probe, sondern löst das | |
Siegel von einem wiederum beliebig ausgewählten Beutel und schüttet den | |
Inhalt auf die Waagschale. Da liegen sie nun, die gleißenden Metallscheiben | |
mit ihrem verführerischen Reiz und lachen die Umstehenden an, als wollten | |
sie sagen: Greift nur zu! Die Umstehenden lachen auch und berechnen | |
scherzend, wie weit wohl die 10 000 reichen würden. Die Goldstücke werden | |
in den Sack zurück geschüttet und derselbe hat sich in seinem nochmals | |
festgestellten Gesamtgewicht nicht um eine Unze vermindert. | |
Die Holzkiste wird wieder vernagelt, dann versiegelt und zusammen mit den | |
übrigen von den beiden Arbeitern genau an die selbe Stelle zurück getragen, | |
von welcher sie geholt worden war. Ein Protokoll verzeichnet, was alles | |
vorgenommen wurde, und schließt wie stets, so auch diesmal mit der | |
beruhigenden Versicherung, daß zu Bedenken keinerlei Anlaß vorgelegen habe. | |
Die bescheidenen Stearinkerzen, welche mit dem durch die Eisenstäbe | |
hereinfallenden Tageslicht gewetteifert hatten, das Dunkel des Turmes zu | |
erhellen, werden ausgelöscht, die drei Eisenthüren werden gehörig | |
verschlossen und die Revision ist beendet. | |
Doch halt! Zur höheren Sicherheit muß noch ein Gang gemacht werden, hinab | |
in den Keller nämlich, der an den Juliusturm angrenzt. Wer weiß, vielleicht | |
könnten von hier aus Unterminierungsversuche gemacht werden! Die Mauern des | |
Turmes sind zwar mehr als drei Meter dick; aber schlechten Menschen ist | |
alles zuzutrauen. Darum durchschreiten wir gebückt den Keller, bis an die | |
dem Turm zunächst gelegene Wand, überzeugen uns vorschriftsmäßig, daß sie | |
nicht zerstoßen, zerschunden oder durchlöchert ist, und kehren, erfüllt von | |
dem erhebenden Bewußtsein, unsere Pflicht, bis zum Tüpfelchen auf dem ,i' | |
gethan zu haben, ins Freie zurück, wo uns von dem durch Kastanienbäume | |
geschmückten Übungsplatz frische Luft entgegenweht. | |
Die gleiche Untersuchung der Kellerwand wird täglich von einem Offizier | |
vorgenommen, und einmal im Jahre, in der Regel im Frühjahr, erscheinen zum | |
Überfluß zwei von den Revisionsbeamten, diesmal ohne Begleitung eines | |
Mitgliedes der Reichsschuldenkommission, um sich ebenfalls von der | |
Unversehrtheit jener Wand zu überzeugen. Überdies bewacht Tag und Nacht ein | |
Militärposten, der alle zwei Stunden, im Winter jede Stunde, abgelöst wird, | |
die Stelle, wo der deutsche Reichskriegsschatz ruht. Durch solche | |
Sicherheitsvorkehrungen dürften alle lasterhaften Regungen im Keime | |
erstickt werden. | |
Ob es zweckmäßig ist, 120 Millionen ungenützt liegen zu lassen, und 4,5 | |
Millionen jährlich an Zinsen zu verlieren? | |
Die Gegenwart, mit ihrem voll entwickelten Kreditwesen wird anders darüber | |
denken, als die Vergangenheit gedacht hat. Deutschland ist jedenfalls der | |
einzige Großstaat, welcher eine derartige Schatzsumme besitzt. Bei einer | |
umfangreichen Mobilmachung wird sie in einigen Tagen erschöpft sein, denn | |
die Kosten, die im Jahr 1870 allein für Preußen täglich 6 Millionen Mark | |
betrugen, sind seitdem mit der Vermehrung der Präsenzstärke des Heeres und | |
der Kriegsschiffe ganz erheblich gewachsen. | |
Wie viel hätten wir heute, wenn während der 30 Jahre von diesen 120 | |
Millionen Zins auf Zins gekommen wäre?" | |
Herr Bannasch faltet die Blätter wieder zusammen, verwahrt sie und | |
resümiert: "Eins muss man ganz klar sagen, wenn der Reichskriegsschatz | |
nicht gewesen wäre, hätte es vielleicht die große Blase des Gründerkraches | |
nicht gegeben. Eben weil so viel Geld auf den Markt gekommen ist, billiges | |
Geld." | |
Der Großteil der Reparationszahlungen wurde zur Ablösung der Kriegsanleihen | |
benutzt, sorgte für umfangreiche Investitionen und zum rasanten Aufschwung | |
der Gründerjahre in Deutschland. Die immer irrwitzigeren | |
Börsenspekulationen führten 1873 zum Platzen der Gründerzeitblase. | |
Begleitet wurden die folgenden Jahre des Abschwungs von einer zunehmend | |
antisemitischen Stimmung in Deutschland. | |
*Anm. Die Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE wurde erst mitten im Ersten | |
Weltkrieg angebracht, quasi als Weihnachtsgeschenk des Kaisers an die SPD, | |
dafür, dass sie geschlossen für die Kriegskredite gestimmt hatte. Die | |
Bronzebuchstaben, aus zwei erbeuteten und eingeschmolzenen französischen | |
Kanonen gegossen, wurden von der renommierten jüdischen Kunstgießerei Loevy | |
hergestellt und angebracht. | |
29 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |