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# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Im Lichte einer neuen Zeit
> Nach 100 Jahren geht die Ära der Glühbirne zu Ende. Das Licht wird
> künftig kälter sein und auch fremder. Sie wird uns fehlen, die Glühbirne.
> Ein Nachruf.
Bild: Glühbirne? Was war das noch gleich?
Donnerstag ist es so weit; ein Zeitalter geht zu Ende. Höchste Zeit für
einen Nachruf. Vielleicht so: Teure Verlöschende! Du warst das Licht dieser
Erde! Es wird ein anderes Leben sein ohne Dich. Kälter wird es sein und
fremder. Und vielleicht werden auch wir kälter und fremder werden im giftig
verstrahlenden Quecksilber-Schein nach dir. Wer könnte Dich ersetzen?
Dein Leben hing immer an einem dünnen Faden, ja es war dieser Faden selbst.
Zuerst war er aus Platin, später aus Osmium, dann aus Tantal, schließlich
aus Wolfram. Wie oft ist er gerissen, und dann wurde es finster um uns.
Aber Du warst nie nur eine, Du warst viele, und so gewannst Du Dir und uns
Unsterblichkeit. Licht der Erde! Mögen Deine Mörder sich ihre Strafe selbst
bestimmen!
Du wirst uns fehlen, Du Sonnenhafte. Jeden Morgen und jeden Abend werden
wir an Dich denken. Ein Winter ohne Dich - er ist nicht vorstellbar. Dein
sanftes Licht wird noch lange um uns sein. Vielleicht werden wir diesen
Kontinent verlassen und dahin gehen, wo Du noch erlaubt bist.
Aber selbst in Australien wollen sie Dich nicht mehr. Keine
Energiesparlampe mit ihrer bläulichen Aura von Schlaflosigkeit und
Depression komme über unsere Schwelle. Vielleicht ist es wahr, und jedes
Zeitalter hat die Lampen, die es verdient.
Energiesparbirnen leuchten längst in unzähligen Köpfen. Sollte das ein
Gewinn sein? Und ist es überraschend, dass gerade sie so langlebig sind?
Wie viele werden nun nicht mehr am Abend im Schein einer Lampe sitzen, denn
Deine giftigen Nachfolger strahlen bis zu zwölf Mal stärker als ein
Computerbildschirm. Wahrscheinlich werden wir zur Kerze zurückkehren.
## Ende einer Kulturepoche
Das Jahr 2011 wird als Jahr des Arabischen Frühlings und der
Atomkatastrophe von Fukushima in die Geschichte eingehen. Für Europa wird
es im Gedächtnis bleiben als das Jahr, in dem die Europäische Union die
Glühlampe abschaffte.
Nie mehr werden wir in Museen Bilder ansehen wie früher, denn zur
Beleuchtung von Gemälden taugen die neuen Lampen nicht. Ganze Farbspektren
fehlen ihnen. Uns etwa nicht?, mögen manche fragen.
Die Glühlampe, wie wir sie noch immer kennen, ist genau 100 Jahre alt: Seit
1911 stellte General Electric sie mit den Wolframglühfäden her. Bis eben
durfte man die Wendung bis heute ganz naiv verwenden, aber am 31. August
2011 nicht mehr, denn ab morgen haben wir die 60-Watt-Glühbirne nicht mehr.
Ab morgen darf sie nicht mehr hergestellt und vertrieben werden. Welche
Taktlosigkeit, den Geburtstag einer Hundertjährigen so zu feiern. Und es
geht nicht einmal um sie allein. Das Zeitalter der Elektrifizierung der
Erde, die Erschaffung der modernen Welt selbst hängt an der Glühbirne.
Natürlich führte die Glühbirne auch zu verhängnisvollen Lichtfantasien.
Etwa zu Lenins Definition: Kommunismus ist Sowjetmacht plus
Elektrifizierung des ganzen Landes, hat er gesagt. Noch den hintersten
Winkel der Erde wollten sie ausleuchten, ohne zu spüren, wie grausam diese
Durch- und Ausleuchtungsfantasien waren. Unter der Herrschaft der Glühbirne
versteckt sich keiner mehr!
## Dichterische Explosion
Steckten uns allen nicht schon längst Energiesparlampen im Hirn, wäre uns
sicher auch eingefallen, was noch vor genau einhundert Jahren geschehen
ist. Plötzlich explodierte die deutsche Dichtung, eben noch
nachtwächterlich-sentimental gestimmt. Man nennt das auch Expressionismus.
Die neue Dichtung, lichtempfindlich seit je, registrierte die neuen
Beleuchtungsverhältnisse genau: "Und wie ein Meer von Flammen ragt die
Stadt, Wo noch der West wie rotes Eisen glänzt". Das Gedicht heißt
"Verfluchung der Städte" und ist ein klarer Fall von Glühlampendichtung,
wie es zugleich Fabrikschlotedichtung ist.
Gegen die Städte, diese großen Selbstleuchtenden, kommt kein Stern, kein
Mond mehr an - der Dichter nennt Letzteren einen Greis. Der Diagnostiker
der neuen Beleuchtungsverhältnisse heißt Georg Heym.
Er und seine Mitdichter registrieren genau, was bis heute gilt: Es wird
heller und kälter zugleich. Die Sprache vollzog dieses Hellerwerden bei
gleichzeitigem Temperatursturz mit und definiert noch für uns, was
literarisch Anspruch auf Geltung erheben darf. Die Gegner Georg Heyms und
seiner Mitdichter nannten, was sie schrieben, bald Asphaltliteratur - sie
hätten auch Glühlampenliteratur sagen können.
## Aus der Fassung genommen
Ja, natürlich habe auch ich es mit den neuen Energiesparlampen versucht.
Die Kälte aushalten, Zeitgenosse sein! Auch haben die Energiesparer dieser
Erde gesagt, nur die nördlichen Länder würden den warmen Ton des Lichts so
lieben, es handele sich demnach nur um eine "kulturelle Eigenart".
Um eine Rückständigkeit, meinen sie also. Und dann habe ich die
Energiesparlampen alle wieder aus ihren Fassungen genommen. Warum
eigentlich sollen einem ganze Spektren fehlen? Und warum nicht kulturell
eigenartig sein?
Ich zum Beispiel halte es für kulturell eigenartig, dass niemand bemerkt,
dass der literarische Expressionismus gerade 100 Jahre alt geworden ist.
Natürlich, das Datum ist ein wenig unscharf, genau wie bei der
Wolframfaden-Glühbirne. Erfunden wurde sie schon 1910 - genau wie der
Sturm, diese Zeitschrift, ohne die der literarische Expressionismus, dieses
Kollektivphänomen der Nichtkollektivierbaren, nicht denkbar gewesen wäre.
"Die Verfluchung der Städte" aber ist von 1911. Im Januar 1912 war Georg
Heym schon tot, Gottfried Benns Gedichtskandal "Morgue" stand unmittelbar
bevor.
Es spricht vieles dafür, genau diese Woche vor einhundert Jahren - zwischen
den letzten Augusttagen und den ersten Septembertagen 1911 - zum
Zentraldatum des deutschen Expressionismus zu ernennen. Ort: das Café des
Westens, Lebensmittelpunkt der neuen, lichtempfindlichen Chronisten des
Temperatursturzes.
In einem Berliner Café hatte auch die Glühlampenrevolution in Deutschland
begonnen. Das Café Bauer gilt 1884 als erstes birnenbeleuchtetes Haus
Deutschlands. Alle wesentlichen Fragen sind zuletzt Beleuchtungsfragen.
31 Aug 2011
## AUTOREN
Kerstin Decker
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