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# taz.de -- 50 Jahre TürkInnen in Deutschland: Viertelbio-Deutsch-Bastarde
> Schluss mit der Sprachverwirrung: Wer hier lebt und einen deutschen Pass
> hat, ist Deutscher. Oder? Ein Glossar über den einheimischen Tellerrand
> hinaus.
Bild: Was heißt hier türkisch?
Nein, Deutscher sei der unfreundliche Kunde eben nicht gewesen, "Ostlu",
sagt der Kioskbesitzer: einer aus dem Osten also, aus der ehemaligen DDR -
und damit kein richtiger Deutscher nach Auffassung des aus der Türkei
stammenden Kioskchefs. Der Mann widerspricht umgehend: Aus der Türkei
stamme er gar nicht. Von dort käme sein Vater, seine Mutter sei aber
bereits hier geboren: als Kind türkischer Gastarbeiter.
Gastarbeiter? Gibt's die noch? Nein: Die Mär von einem zeitlichen
befristeten Arbeitsaufenthalt ausländischer Gastarbeiter und ihrer Rückkehr
nach wenigen Jahren wurde von Deutschen und Einwanderern ja aufgegeben.
Migrant heißen sie nun, also eigentlich Wanderer - vor dem Immigranten, dem
Einwanderer, ziert sich die deutsche Öffentlichkeit noch.
Und was heißt hier türkisch? Was heißt - Deutsche und Einwanderer? Sind
Einwanderer, die den deutschen Pass haben, etwa nicht Deutsche? Etwa sieben
Millionen Ausländer leben in Deutschland, Menschen ohne deutsche
Staatsangehörigkeit mit dauerhaftem Wohnsitz hier also. Die Zahl der
Menschen mit Migrationshintergrund wird dagegen auf etwa ein Viertel der
Bevölkerung geschätzt - wobei die deutsche Statistik noch das Enkelkind
eines im Ausland geborenen Großelternteils als Migranten zählt.
Nicht nur damit hängt es vermutlich zusammen, dass in die USA oder nach
Kanada ausgewanderte Türken sich leichter damit tun, sich als Amerikaner
oder Kanadier zu bezeichnen, als es den Deutschtürken fällt, sich Deutsche
zu nennen. Dort wird stärker das Bekenntnis zur demokratischen Verfassung
und ihren Werten als Voraussetzung betrachtet. In Deutschland wird selbst
die noch als Bekenntnis zum "Deutschtum" betrachtet: Die deutsche
Leitkultur liest sich wie Kultur, nicht wie Zivilisation, also Verfassung,
Demokratie und Menschenrechte.
Viele Deutschtürken selbst mit rotem (EU-)Pass bezeichnen sich deshalb
selber gern noch als Türken, Ausländer oder Yabanci, was Fremder und
Ausländer heißt. Yabanci kann aber auch jemanden meinen, der kein Türke
oder türkischstämmiger Deutscher, auch kein Biodeutscher, sondern etwas
ganz Anderes ist.
Ihr Sohn habe in der Schule keine deutschen Freunde mehr, klagte mir einst
eine türkische Freundin. Als ich diesen fragte, wie viele Ausländer in
seiner Klasse seien, sagt er: 14 - von 29. Erst im Gespräch stellte sich
heraus: Es waren 15 Türken und 14 SchülerInnen sonst wie nichtdeutscher
Herkunft: Russen, Polen, Vietnamesen - Ausländer eben. Ach so.
Menschen nichtdeutscher Herkunft oder nicht deutscher Herkunftssprache,
abgekürzt ndH, tummeln sich scheinbar vor allem an Schulen: als
SchülerInnen oder deren Eltern, gerne in Verbindung mit dem Adjektiv
bildungsfern. Den Migrationshintergrund findet man vor allem in Stellen-
und Projektausschreibungen sowie Texten von SozialpädagogInnen und
PolitikerInnen.
Göcmen heißt das türkische Wort für Migrant, als türk kökenli bezeichnet
man jemanden, der türkischer Herkunft ist. Mit dem Wort türkischstämmig
kann man sich im Deutschen aber schwer in die Nesseln setzen: Ist das
Gegenüber etwa kurdischer oder tscherkessischer Herkunft, will es
vielleicht lieber als türkeistämmig bezeichnet werden - ein Wort, das es
eigentlich nicht gibt. Doch vielleicht ist genau das die Lösung: Neue Worte
müssen her, wie etwa das Almanci, mit dem Türkeitürken Deutschtürken
benennen. Deutschenähnlich bedeutet es ungefähr, deutschenartig, und meint
jemanden, der in Deutschland wohnt, aber kein echter Deutscher ist.
Womit wir wieder bei den richtigen Deutschen wären: Biodeutsche oder
Altdeutsche werden heute von manchen diejenigen genannt, bei denen kein
Migrationshintergrund ersichtlich ist. Bei genauerem Hinsehen zeigt der
sich häufig dennoch und liegt oft auch nur eine Generation weiter zurück
als derjenige der GastarbeiterenkelInnen.
Wie aber entrinnt man diesem Sprachdilemma? Ganz simpel: gar nicht. Alle
diese Bezeichnungen basieren auf einer Vorstellung von ethnischer Reinheit
und Unvermischtheit, die vielleicht in der Theorie gedacht werden kann,
aber in der Realität nicht vorkommt. Die Welt ist viel größer und bunter,
und wir sind längst alle "hybride Bastarde", wie der Berliner
Kulturwissenschaftler Kien Nghi Ha so lebensklug wie wissenschaftlich
sattelfest festgestellt hat.
31 Aug 2011
## AUTOREN
Alke Wierth
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