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# taz.de -- Präsidentschaftswahlen in Guatemala: Blut an den Händen
> Guatemala hat gerade mit der Aufarbeitung seiner Geschichte begonnen. Die
> aussichtsreiche Kandidatur eines ehemaligen Kriegsverbrechers läuft dem
> zuwider.
Bild: Gibt sich volkstümlich: Präsidentschaftskandidat Otto Peréz Molina.
GUATEMALA-STADT taz | Es ist absurd: Fünfzehn Jahre nach Ende des
Bürgerkriegs beginnt Guatemala gerade damit, seine dunkle Vergangenheit
juristisch aufzuarbeiten. Vor ein paar Wochen wurden die ersten
Kriegsverbrecher verurteilt. Und gleichzeitig ist am kommenden Sonntag,
wenn ein neuer Präsident gewählt wird, ein Mann haushoher Favorit, dem
ebenfalls Kriegsverbrechen zugeschrieben werden: General im Ruhestand Otto
Pérez Molina, 61. In den Jahren 1982/ 83, den blutigsten des 36 Jahre
währenden Bürgerkriegs, war er als Major in der Provinz Quiché tätig. Dort
wurden damals besonders viele Massaker an der indianischen Bevölkerung
verübt, namentlich rund um das Dorf Nebaj, wo Pérez Molina stationiert war.
"Wer behauptet denn, dass es in Guatemala einen Völkermord gab?", fragt er
heute ganz unschuldig und unterschlägt, dass es die offizielle
Wahrheitskommission der UNO war, die zu ebendiesem Schluss gekommen ist:
Die Armee, der Pérez Molina von seinem 16. bis zu seinem 50. Lebensjahr
diente, hat an der Bevölkerungsmehrheit der Maya einen Genozid begangen.
Doch der Kandidat will sich an Massaker nicht erinnern. Es sei ganz anders
gewesen: "Die Leute haben sich über unsere Anwesenheit gefreut."
Wie zum Beweis für seine Sicht der Dinge hat er seine Wahlkampfzentrale im
historischen Zentrum von Guatemala-Stadt wie ein kleines Folkloremuseum
herrichten lassen. Die Zimmer sind mit den Trachten verschiedener
Maya-Ethnien geschmückt. Man habe sie dem Chef bei seinen
Wahlkampfauftritten geschenkt, behauptet ein Angestellter. Manchmal geht
Pérez Molina gar so weit, sich bei einem öffentlichen Auftritt eine dieser
bunten Joppen übers weiße Lacoste-Hemd zu ziehen.
## "Ohne Zivilbevölkerung kann Guerilla nicht überleben"
Fernsehbilder aus den frühen 80er Jahren, aufgenommen in der Provinz
Quiché, zeigen einen ganz anderen Pérez Molina: mit wallendem schwarzem
Haar und Vollbart, wie er den Aufbau eines sogenannten Modelldorfs
überwacht, in dem die in Streusiedlungen wohnenden Indígenas zur besseren
Kontrolle zusammengefasst wurden. Menschenrechtsorganisationen sprachen
damals von Konzentrationslagern. "Natürlich sind sie nicht freiwillig
gekommen", erzählte Pérez Molina damals dem Reporter. "Sie wollten fliehen,
aber wir haben sie geschnappt und hergebracht." Denn es sei nun einmal so:
"Die Zivilbevölkerung ist für die Guerilla das, was für den Fisch das
Wasser ist. Ohne Zivilbevölkerung kann die Guerilla nicht überleben."
Es war genau diese Gleichsetzung von Zivilbevölkerung und Aufständischen,
die als Rechtfertigung für die mehr als 600 Massaker diente, stellt der
Bericht der Wahrheitskommission fest. Soldaten aus der Einheit von Pérez
Molina, die damals für den Fernsehbeitrag befragt wurden, nahmen vor der
Kamera kein Blatt vor den Mund: "Natürlich haben wir die meisten Leute
gefoltert und getötet. Was soll man denn sonst mit ihnen machen?"
Vom einstigen Bluthund ist im Wahlkampf nichts übrig geblieben. Pérez
Molina ist die mit Abstand eleganteste Erscheinung unter den zehn
Kandidaten, ein richtiger Staatsmann. Sein eisgraues Haar ist stets frisch
geschnitten. Auf jede Frage hat er eine freundliche Antwort, die meist aus
nichtssagenden Allgemeinplätzen besteht.
## Er setzt auf Wechsel
Besonders wichtig ist ihm das Wort cambio - Wechsel. Seit Barack Obamas
change darf dieses Wort in Lateinamerika in keinem Wahlkampf fehlen, und
natürlich wollen die meisten Guatemalteken, dass sich alles ändert. Über 60
Prozent der rund 13 Millionen Einwohner des Landes leben in Armut, die
Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren ist chronisch unterernährt. Die
Kriminalitätsrate ist eine der höchsten der Welt: über 50 Morde pro 100.000
Einwohner im Jahr, fünfzigmal so viele wie in Deutschland. Da sei es doch
gut, wenn der Präsident militärische Erfahrung habe, sagt Pérez Molina. Er
wolle so etwas werden wie ein comandante general.
Bei der Wahl vor vier Jahren polterte er noch richtig. Er schrie nach der
Todesstrafe und ballte die rechte Faust, das Symbol der von ihm 2001
gegründeten Patriotischen Partei. Mit der Strategie des lautstarken
Hardliners für Recht und Ordnung hat er bei der Präsidentschaftswahl 2007
in der zweiten Runde knapp gegen den sanften Sozialdemokraten Álvaro Colom
verloren. Das hat er sich zu Herzen genommen. Seine Rolle von damals haben
heute alle anderen Kandidaten mit Ausnahme der chancenlosen
Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú übernommen. Pérez Molina
dagegen tritt nun als der gemäßigte Versöhner auf.
Er hat sich das freundliche Bild viel kosten lassen. Nach guatemaltekischem
Recht darf kein Kandidat mehr als 6 Millionen US-Dollar in seinen Wahlkampf
investieren. Pérez Molina hat laut "Acción Ciudadana" (Bürgerliche Aktion),
der guatemaltekischen Sektion von Transparency International, fast das
Doppelte ausgegeben: für kleine Geschenke bei seinen Auftritten, für
haushohe Plakatwände, für Spots in Radio und Fernsehen und für Wahlwerbung
in den Zeitungen. Die großen Medien behandeln ihn pfleglich, und so bleibt
es einzelnen Intellektuellen vorbehalten, an den anderen Pérez Molina zu
erinnern.
Der guatemaltekisch-US-amerikanische Schriftsteller Francisco Goldman etwa
weiß, dass die grausige Militärkarriere des Generals nicht mit dem
Friedensvertrag von 1996 endete. Goldman hat sieben Jahre lang über den
Mord an Weihbischof Juan Gerardi recherchiert und ein dickes Buch
veröffentlicht. Gerardi hatte im April 1998 einen Bericht über
Menschenrechtsverletzungen im Bürgerkrieg veröffentlicht und war zwei Tage
danach in der Garage seines Pfarrhauses in Guatemala-Stadt erschlagen
worden.
## Die Justiz ist machtlos
Goldman fand einen Augenzeugen, der beobachtet hat, wie Pérez Molina den
Mord zusammen mit zwei anderen Militärs von einem naheliegenden Kiosk aus
überwacht hat. Der Zeuge floh nach Mexiko ins Exil. Der Name Pérez Molina
wurde im Prozess um den Mord an Gerardi nie erwähnt.
"Es gibt keine Anklage gegen ihn", sagt die Menschenrechtsanwältin Carmen
Aida Ibarra. "Unser Justizsystem ist auf solche Prozesse noch nicht
vorbereitet." Sie meint damit Verfahren gegen die wirklich hohen
Funktionsträger. Schon die Verurteilung von vier einfachen Soldaten Anfang
August wegen eines Massakers an gut 200 Indígenas im Dezember 1982 in dem
Dorf Dos Erres war für Guatemala eine Sensation. Die vier wurden zu je
6.060 Jahren Haft verurteilt.
Das Urteil sei vor allem der Hartnäckigkeit der Generalstaatsanwältin
Claudia Paz zu verdanken, sagt Ibarra. Der amtierende Präsident Colom hat
die als unbestechlich geltende Juristin berufen. Pérez Molina kann sie,
wenn er Präsident wird, wieder absetzen. "Ich glaube nicht, dass er das tun
wird", sagt Ibarra. "Er ist intelligent und weiß, dass er auf seine
internationale Reputation achten muss." Wahrscheinlicher sei, dass er der
Generalstaatsanwältin so viele Prügel zwischen die Beine werfen lasse, dass
sie frustriert zurücktreten werde.
## Kandidat bleibt gelassen
Ein anderer Fall, in den Pérez Molina verwickelt war, hätte seine
Kandidatur verhindern können: Im Dezember vergangenen Jahres forderte der
Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof Guatemala auf, das Verfahren
um den Tod des Guerilleros Efraín Bámaca neu aufzurollen. Bámaca war 1992
nach einem Gefecht mit der Armee verschwunden. Nach den Erkenntnissen des
Menschenrechtsgerichtshofs wurde er vom militärischen Geheimdienst
verschleppt und in einer Kaserne getötet. Pérez Molina war damals Chef des
militärischen Geheimdiensts. Wäre ein Verfahren gegen ihn eröffnet worden,
hätte er nach der Verfassung nicht Präsidentschaftskandidat werden dürfen.
Heute darauf angesprochen, bleibt der Kandidat gelassen und verweist auf
ein Urteil des guatemaltekischen Verfassungsgerichts. Das hatte
entschieden: Der Fall Bámaca wurde von der Justiz behandelt, das Verfahren
eingestellt, und so soll es auch bleiben, trotz der dringenden Aufforderung
des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs. Nichts, rein gar nichts
juristisch Verwertbares liegt gegen Otto Pérez Molina vor.
"Ich habe ein ruhiges Gewissen", sagt er und lächelt.
8 Sep 2011
## AUTOREN
Cecibel Romero
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