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# taz.de -- Proteste der Psychotherapeuten: Therapiert von Azubis
> Schon während ihrer Ausbildung behandeln viele Psychotherapeuten
> selbstständig Patienten - aber ohne Bezahlung. In Berlin protestieren sie
> jetzt dagegen.
Bild: Sich um psychisch Kranke kümmern, ohne Geld dafür zu bekommen.
BERLIN taz | Psychotherapeuten fahren teure Sportwagen, müssen kaum
arbeiten, und wenn sie arbeiten, dann quatschen sie nur. Über dieses
Vorurteil kann Alexander Schmidt, 31, nur müde lächeln. Müde, weil er es
schon so oft gehört hat. Aber auch müde, weil er am VortagBis wieder bis
spät in die Nacht hinein gearbeitet hat. Schmidt, der eigentlich anders
heißt, ist Psychotherapeut in Ausbildung, kurz PiA. An der psychiatrischen
Klinik, an der er seine Praxisphase absolviert, muss er rund 35 Stunden pro
Woche arbeiten.
"Ich muss Einzel- und Gruppengespräche leiten, habe eigene Patienten und
muss dazu noch die Gespräche allein vor- und nachbereiten", sagt er. Da er
aber dafür kein Geld bekommt, arbeitet er noch nebenher: Vom
Forschungsprojekt an derselben Klinik über Babysitten bis hin zur Aushilfe
im Supermarkt hat er schon alle möglichen Nebenjobs gemacht - so arbeitet
er mitunter 60 bis 70 Stunden in der Woche. "An manchen Tagen frage ich
mich, ob ich nicht selbst Hilfe bräuchte", sagt Schmidt.
Rund 8.000 Psychologen mit abgeschlossenem Studium absolvieren im Moment
eine Ausbildung zum Psychotherapeuten, mehr als 80 Prozent von ihnen sind
weiblich. Die Ausbildung an sich ist relativ neu, erst 1999 wurde sie durch
ein Gesetz geregelt. Bis man sich Psychotherapeut nennen darf, dauert es
mindestens drei Jahre, oft eher fünf Jahre.
In der Praxisphase sind davon laut Gesetz 1.800 Stunden Arbeit an Kliniken
und Praxen vorgesehen. Dort sollen die PiAs eigentlich die verschiedenen
Krankheitsbilder kennenlernen und sich an der Behandlung beteiligen. Die
Realität sieht aber anders aus: "Viele Praktikanten werden als vollwertige
Arbeitskräfte missbraucht", sagt Julia Walendzik, PiA-Sprecherin der
Berliner Psychotherapeutenkammer.
## Bis zu 50.000 Euro Ausbildung
Und sie werden miserabel bezahlt: Laut einem Forschungsgutachten aus dem
Jahr 2009 verdienen die PiAs im Schnitt rund 500 Euro pro Monat. Die Hälfte
aller Auszubildenden geht allerdings wie Schmidt komplett leer aus. An die
Praxisphase schließt sich noch die theoretische Ausbildung an, und die
kostet bis zu 50.000 Euro.
Unter dem Motto "Psychotherapeuten in Ausbeutung" versuchten die Berliner
PiAs am Mittwoch auf diese Problematik aufmerksam zu machen. Sie trafen
sich vor der Charité, die ihren PiAs teilweise gar nichts zahlt, und zogen
vor das Gesundheitsministerium.
Sie kritisieren, dass sich manche Kliniken nicht einmal um eine gute
Ausbildung bemühten. Die Einschätzung teilt Robin Siegel, PiA-Sprecher des
Berufsverbands Deutscher Psychologen. "Oftmals fehlen Einarbeitung und
Anleitung, und einzelne PiAs bekommen eine zu hohe Verantwortung." Die
Bundesregierung allerdings will an der Therapeutenausbildung festhalten,
wie sie ist. "Eine Gesetzesänderung ist nicht geplant", sagte ein Sprecher
des Gesundheitsministeriums am Mittwoch der taz.
Auch die Verbände stellen die Form der Ausbildung nicht grundsätzlich
infrage. Lediglich die Bezahlung müsse verbessert werden, sagt Siegel. Die
Verbände sind sich allerdings uneins, was angemessen ist. Ihre Forderungen
reichen von 600 Euro bis hin zu 3.000 Euro Monatsgehalt.
Obwohl fertige Psychotherapeuten inklusive Studium eine bis zu zehnjährige
Berufsausbildung hinter sich haben, können sie nicht mit einer besonders
guten Bezahlung rechnen: In Kliniken sind viele Stellen nicht besser
bezahlt als die für Psychologen ohne Therapeutenausbildung. Wer eine eigene
Praxis eröffnen möchte, muss für die Kassenzulassung nochmals mehrere
zehntausend Euro auf den Tisch legen. Schmidt sagt auch deshalb: "Wer
glaubt, als Psychotherapeut würde man schnell reich werden, sollte dringend
selbst auf die Couch."
8 Sep 2011
## AUTOREN
Franz Nestler
## TAGS
Psychotherapie
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