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# taz.de -- Machtwort aus Karlsruhe: Amtsrichter muss nachsitzen
> Endgültig: Die Razzia beim Hamburger Alternativsender "Freies Sender
> Kombinat" war verfassungswidrig und die Staatsanwaltschaft hat
> rechtswidrig gehandelt.
Bild: Razzia in der Roten Flora 2007: vier Jahre zuvor erwischte es das Radio F…
HAMBURG taz | Ein bedeutendes Urteil für die Rundfunk- und Pressefreiheit:
Die Hamburger Staatsanwaltschaft hat sich bei der Durchsuchung des
alternativen Senders "Freies Sender Kombinat" (FSK) am 25. November 2003
Kompetenzen angemaßt, die ihr nicht zustehen, und Maßnahmen durchgeführt,
die rechtswidrig sind und der Rundfunkfreiheit widersprechen. Das hat jetzt
das Amtsgericht Hamburg letztinstanzlich entschieden. "Ein später Sieg",
sagt FSK-Anwalt Carsten Gericke, "aber jetzt ist es endgültig."
Anlass der Aktion war - wie berichtet - der heimliche Mitschnitt eines
Telefonats des FSK-Reporters Werner Pomrehn mit dem Pressesprecher der
Hamburger Polizei, Ralf Kunz, der im Oktober 2003 gesendet wurde. Kunz
hatte sich zu einem Polizeieinsatz bei einer Demonstration geäußert. Die
Staatsanwaltschaft hatte daraufhin ein Verfahren wegen "Verletzung der
Vertraulichkeit des Wortes" eingeleitet.
Obwohl die Polizei einen Mitschnitt der Sendung hatte, beantragten die
Ankläger beim Ermittlungsrichter Olaf Lehmann einen Durchsuchungsbeschluss,
um den Tonträger sicherzustellen. Den bekamen sie auch.
30 Polizisten stürmten am Nachmittag des 25. November 2003 die
Redaktionsräume. Doch die Fahnder begnügten sich nicht mit der
Tonbandkassette, die Pomrehn übergab, sondern durchwühlten redaktionelle
Unterlagen, kopierten Mitarbeiterlisten, machten Fotos und fertigten
Grundflächenskizzen an.
Das FSK klagte gegen die Razzia und dagegen, dass die Ermittler ohne
richterlichen Beschluss Redaktionsmaterial durchsucht, kopiert und
beschlagnahmt hatten. Amtsrichter Lehmann gab den Ermittlern jedoch auch
für diese Aktion einen Persilschein. Das Landgericht folgte seiner
Auffassung, sodass das FSK vor das Bundesverfassungsgericht ziehen musste.
Im Dezember 2009 erklärten die Verfassungsrichter die Staatsschutzaktion
für verfassungswidrig. Vom Schutz der Rundfunkfreiheit sei auch die
"Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit umfasst", urteilten die Karlsruher
Richter. Diese verwehre es staatlichen Stellen grundsätzlich, "sich einen
Einblick in Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung der Nachrichten
oder Beiträge führen, die in der Presse gedruckt oder im Rundfunk gesendet
werden". Unter das Redaktionsgeheimnis fielen "auch organisationsbezogene
Unterlagen, aus denen sich Arbeitsabläufe, Projekte oder die Identität der
Mitarbeiter einer Redaktion ergeben".
Im konkreten Fall wäre die Tat zu gewichten gewesen, befand das
Verfassungsgericht: "Für die Schwere der Tat macht es einen erheblichen
Unterschied, welchen Grad der Vertraulichkeit der Sprecher erwarten
durfte." Polizeisprecher Kunz habe sich von vornherein an die
Öffentlichkeit gewandt. Damit sei die Aufzeichnung zwar grundsätzlich
strafbar - aber nicht in dem Maße, als wenn ein Gespräch zweier sich
unbelauscht fühlender Personen heimlich mitgeschnitten worden wäre.
Da die Durchsuchung jedoch auch durch das Bundesverfassungsgericht nicht
mehr ungeschehen gemacht werden konnte, setzte sich das Gericht vor allem
damit auseinander, wie mit den verfassungswidrigen Handlungen der
Staatsanwaltschaft während der Razzia umzugehen sei und verwies den Komplex
zurück an das Hamburger Amtsgericht - wieder in die Hände von Richter Olaf
Lehmann.
Noch im Sommer hatte die Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft ihr
Vorgehen verteidigt. "Die Mitnahme der Unterlagen war erforderlich, um den
vagen Tatverdacht gegen den Beschuldigten Pomrehn zu erhärten", sagte
Staatsanwalt Henning Todt ."Auch unter Berücksichtigung der vom
Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zur Rundfunkfreiheit war
die Mitnahme der Unterlagen und die Anfertigung von Kopien ein angemessenes
Mittel", schrieb der Ankläger. Die Eingriffe in Grundrechte seien "in einem
angemessenen Verhältnis zur Schwere der Straftat" und somit gerechtfertigt
gewesen. Gegen Pomrehn war Jahre später vom Oberlandesgericht eine
Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgesprochen worden.
Doch nun musste auch Amtsrichter Lehmann ein Einsehen haben und erklärte
das "Anfertigen von Lichtbildern und Grundflächenskizzen über die
Räumlichkeiten" sowie "die Anfertigung von Kopien" von Redaktionsmaterial
für rechtswidrig. Lehmann ordnete die Herausgabe beschlagnahmter Unterlagen
sowie die Löschung der Kopien an. Die Staatsanwaltschaft hat keine
Beschwerde eingelegt.
Die Staatsanwaltschaft habe bis zuletzt auf ihrer Position beharrt und die
Notwendigkeit eines investigativen Journalismus nicht anerkennen wollen,
sagt FSK-Reporter Werner Pomrehn. Dabei habe sie offensichtlich die
Tragweite des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts verkannt. "Wir
verstehen den Beschluss des Amtsgerichts als einen Erfolg nach Jahren der
Ausdauer."
9 Sep 2011
## AUTOREN
Kai von Appen
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