# taz.de -- Vorwürfe gegen Pflegedienst: Der gute Ruf steht auf dem Spiel | |
> Detamed-Chefin wehrt sich gegen Betrugsvorwürfe. Neuköllner | |
> Bezirksstadtrat hatte Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen angezeigt. | |
Bild: Dem Bezirk soll dem Stadtrat zufolge ein Schaden in Millionenhöhe durch … | |
Dass Nare Yesilyurt auch am Wochenende in ihrem Betrieb ist, ist nicht | |
ungewöhnlich. Und auch nicht der Grund, warum die Neuköllner Unternehmerin | |
sauer ist. Die Chefin des interkulturellen Pflegedienstes Detamed hat am | |
Freitag aus den Medien erfahren, dass der Neuköllner Bezirksstadtrat für | |
Soziales, Michael Büge (CDU), gegen ihre Firma Anzeige erstattet haben | |
soll. Der Vorwurf: Unregelmäßigkeiten bei den Abrechnungen. | |
Schaden in Millionenhöhe soll dem Bezirk laut Stadtrat Büge durch falsche | |
Abrechnungen mehrerer Pflegedienste entstanden sein. Das Bezirksamt | |
übernimmt Pflegekosten, wenn die von der Pflegeversicherung bewilligten | |
Summen für den tatsächlichen Bedarf nicht ausreichen und Mehrkosten von den | |
PatientInnen nicht selbst bezahlt werden können. Gegen einen weiteren | |
Pflegedienst hatte der Bezirk in der vergangenen Woche bereits Anzeige | |
erstattet. | |
Dass jetzt auch ihr Unternehmen unter Betrugsverdacht gestellt wird, hält | |
die Detamed-Chefin für "Rufmord". Während der Bezirk Ende letzter Woche | |
Ermittlungen gegen ihr Unternehmen anstieß, habe sie am Donnerstag bei | |
Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linkspartei) ihre Firma vorgestellt, die | |
wegen ihrer Familienfreundlichkeit und der Förderung von MigrantInnen | |
bereits mehrfach ausgezeichnet wurde. 2008 erhielt Detamed für seine | |
Bemühungen um Beschäftigung und Ausbildung von MigrantInnen einen Preis des | |
Berliner Landesintegrationsbeirats. 2010 wurde Yesilyurt zu einer der | |
Berliner Unternehmerinnen des Jahres gekürt und im gleichen Jahr als | |
Teilnehmerin zum Integrationsgipfel der Bundesregierung geladen. "Und | |
kürzlich war ein Kamerateam hier, das einen Film über erfolgreiche | |
Unternehmer nichtdeutscher Herkunft dreht", erzählt sie. "Denen ist unser | |
Betrieb als gutes Beispiel vom Bundeskanzleramt empfohlen worden." | |
Dass es schwarze Schafe im Pflegebereich gebe, sei nicht auszuschließen, | |
sagt die Chefin von 230 MitarbeiterInnen: "Wir erleben manchmal, dass | |
Patienten uns vorschlagen, statt der bewilligten weniger Pflegebesuche zu | |
machen und ihnen dafür Geld auszuzahlen. Manche Betriebe machen so etwas | |
wohl. Aber das betrifft nicht Detamed." | |
Dass Stadtrat Büge von "mafiösen Strukturen" bei Pflegediensten spricht, | |
empört sie: "Das Bezirksamt sollte seine eigenen Arbeitsstrukturen prüfen", | |
so die Unternehmerin. Sie präsentiert Beispiele für ihre Briefwechsel mit | |
dem Neuköllner Sozialamt: Da geht es etwa um einen Patienten, der bereits | |
seit Jahresbeginn von Detamed betreut wird - entsprechend dem für ihn | |
ärztlich empfohlenen Pflegebedarf. Das Amt habe es acht Monate lang nicht | |
geschafft, eine Begutachtung des Pflegebedürftigen vorzunehmen, um eigene | |
Kostenzuschüsse festzulegen: "Wir pflegen den Patienten also seit acht | |
Monaten auf unsere Kosten", erklärt Yesilyurt. In einem anderen Fall kürzte | |
das Bezirksamt zunächst bewilligte - also erbrachte - Leistungen | |
rückwirkend. Yesilyurts Beschwerde darüber wurde erst nach drei Monaten | |
beantwortet - Begründung: "Ihr Schreiben gelangte versehentlich | |
unbeantwortet in die Archivierung und geriet dadurch in Vergessenheit." Die | |
Kostenübernahme lehnte das Amt dennoch ab. | |
Genau die Akten der Fälle, in denen sie sich über zu langsame Bearbeitung | |
von Anträgen oder rückwirkende Leistungskürzungen beschwert habe, hätten | |
Mitarbeiter des Bezirksamts bei einem Betriebsbesuch kürzlich kopiert, | |
erzählt Yesilyurt. "Dass dabei Hinweise auf Abrechnungsbetrug festgestellt | |
wurden, davon ist aber keine Rede gewesen", sagt die Unternehmerin, "ich | |
weiß nicht, was mir jetzt vorgeworfen wird." | |
1999 gründete die heute 43-Jährige den Pflegedienst, der sich auf | |
interkulturelle Pflege und Beschäftigungsförderung von Frauen und | |
MigrantInnen spezialisiert hat. 60 Prozent ihrer MitarbeiterInnen sind | |
Alleinerziehende, denen das Unternehmen familienfreundliche Arbeitszeiten | |
bietet. 29 Auszubildende hat Detamed derzeit, "darunter viele Frauen mit | |
Kindern", betont Yesilyurt, die die Probleme berufstätiger Mütter aus | |
eigener Erfahrung kennt. Demnächst solle sie ihr Unternehmen deshalb in | |
einer Podiumsdiskussion mit Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen | |
(CDU) präsentieren: "Ich stehe als preisgekrönte Unternehmerin in der | |
Öffentlichkeit. Ich ruiniere doch nicht den guten Ruf meines Unternehmens, | |
indem ich Abrechnungen fälsche!" Nare Yesilyurt hat ihren Anwalt bereits | |
ermächtigt, eine Unterlassungserklärung von Stadtrat Büge zu verlangen. | |
11 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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