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# taz.de -- Schiebereien im türkischen Fußball: Feindliche Übernahme
> Rund um den Manipulationsskandal in der türkischen Liga blühen
> Verschwörungstheorien. Der Kampf zwischen Religiösen und Kemalisten hat
> den Fußball längst erreicht.
Bild: Den Präsidenten am Leib, auf dem Kopf und im Herzen: Fans von Fenerbahce…
Es könnte eigentlich ganz einfach sein. Die türkische Polizei stößt bei
Ermittlungen in einem ganz anderen Verfahren auf Telefongespräche, in denen
Fußballergebnisse abgesprochen werden. Nach dem erst im April neu
erlassenen Gesetz ist jede Form der Spielmanipulation verboten und selbst
der Versuch strafbar. Die Staatsanwaltschaft leitet ein
Ermittlungsverfahren ein und befragt die Verdächtigen. Doch einfach ist in
der Türkei so gut wie gar nichts.
In einer groß angelegten Aktion werden am 3. Juli 18 Personen verhaftet,
darunter der Präsident des Traditionsvereins und gerade gekürten Meisters
Fenerbahce, Aziz Yildirim.
Schon im Vorhinein scheinen die Medien von der Aktion gewusst zu haben, sie
stehen mit Kameras bereit, als Yildirim aus seinem Büro abgeführt wird.
Ironischerweise hatte sich Yildirim als Vorstand der Klubvereinigung der
Süper Lig für das neue Gesetz eingesetzt, das ihm nun zum Verhängnis zu
werden scheint.
Das Verfahren findet vor einem sogenannten Gericht mit besonderen
Vollmachten statt. Normalerweise werden dort Prozesse gegen
Terrorverdächtige oder Putschisten geführt. Aziz Yildirim wird vorgeworfen,
eine bewaffnete kriminelle Organisation gegründet zu haben.
Erst durch den Vorwurf der Bewaffnung wird das Sondergericht zuständig. Der
Staatsanwalt fordert 87 Jahre Haft für den Präsidenten. Dass die Fans von
Fenerbahce von einer politischen Verschwörung gegen den Klub ausgehen, ist
vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich.
## Geheimes Sondergericht
Die Angeklagten verlieren vor einem solchen Sondergericht viele ihrer
Verteidigungsrechte. Der Prozess ist geheim, die Beschuldigten und ihre
Anwälte kennen weder die Anklageschrift noch die vorliegenden Beweise. Umso
verwunderlicher ist es, dass Tonbandmitschnitte, das Polizeifoto von
Yildirim und sogar seine Aussage an die Öffentlichkeit gelangen.
Der mit dem Fall betraute Staatsanwalt, Zekeriye Öz, ist zudem kein
Unbekannter. Er ermittelte auch schon gegen mutmaßliche Mitglieder des
nationalistischen Geheimbundes Ergenekon, dem Putschpläne vorgeworfen
werden.
In diesem Zusammenhang wurden nicht nur ranghohe Militärs, sondern auch
oppositionelle Journalisten und Intellektuelle inhaftiert. Mit einem
ähnlichen Vorgehen der Behörden in der Fußballcausa wurde der Grundstein
für alle Arten von Verschwörungstheorien gelegt.
Diese drehen sich im Wesentlichen um den Kampf zwischen den Vertretern des
religiösen Lagers, vertreten durch die Regierungspartei AKP, und den
nationalistisch-säkularen Anhängern der Ideen des Republikgründers Mustafa
Kemal Atatürk.
## AKP auf Erfolgskurs
Seit mehr als zehn Jahren erringt die AKP einen Wahlsieg nach dem anderen
und ist inzwischen die mit Abstand stärkste Partei. Die Folge sind zwei
scheinbar widersprüchliche Tendenzen: Einerseits nähert sich das Land der
EU an und reformiert die autoritäre Verfassung; andererseits wird auf
kultureller Ebene ein strikt konservativer, religiös geprägter Kurs
gefahren, der Ausschank von Alkohol erschwert, religiöse Einrichtungen
begünstigt. Der Fußball und seine Strukturen wurden in diesem Kampf eher
der säkularen Seite zugeordnet.
Doch auch das hat sich in den letzten Jahren geändert. Galt Fenerbahce
lange als Hochburg der Kemalisten, sickerten in den vergangenen Jahren
zunehmend Vertreter der Religiösen ein wie der Sohn des Istanbuler
AKP-Bürgermeisters Kadir Topbas. Auch Premierminister Erdogan selbst ist
ein bekennender "Fenerli".
So sehen viele Fenerbahce-Fans die derzeitige Aktion als einen finalen
Übernahmeversuch durch die Religiösen, denen Präsident Yildirim mit seinen
engen Kontakten zum kemalistischen Militär ein Dorn im Auge ist. Yildirim
entstammt einer Familie von Großindustriellen, die mit ihren Unternehmen
Nato-Basen bauten und bei Waffendeals ihre Finger im Spiel hatten.
## Undurchsichtige Dokumente
Auch das Verhalten der Presse hat die Spekulationen angeheizt. Ohne weitere
Recherche wurden undurchsichtige Dokumente aus den Polizeiakten der
Öffentlichkeit präsentiert. Ekrem Dumanli, Kolumnist der konservativen
Tageszeitung Zaman, meint dazu in einem Kommentar: "Es ist mehr als
unerfreulich, dass gerade jene, die Yildirim in der Vergangenheit hofiert
haben, jetzt alles über ihn veröffentlichen, ohne es zu überprüfen."
Die Fener-Fans sind aus diesen Gründen wütend und sprechen von
Vorverurteilung. Bei einem Freundschaftsspiel gegen Schachtar Donezk vor
wenigen Wochen stürmten sie den Rasen und jagten sämtliche Medienvertreter
aus dem Stadion.
Klar scheint, dass es Spielabsprachen gab. Wenig überrascht zeigte sich
auch eine internationale Expertenrunde von den Vorkommnissen. Bei einer
Konferenz über internationalen Fußballbetrug in Istanbul meinte der
britische Fanforscher und Liverpool-Anhänger Rogan Taylor: "Die Türkei ist
Teil der großen Fifa-Familie der Korruption. Jedes Land bekommt die Form
der Korruption, die es verdient. Was hier jetzt passiert, ist eine große
Chance aufzuräumen."
Die Polizei spricht von 19 manipulierten Spielen in der abgelaufenen
Saison. Betroffen sind die beiden höchsten Spielklassen und der Cup. Von
den vier großen Mannschaften des Landes blieb bisher nur Galatasaray
verschont, gegen Fenerbahce, Besiktas und Trabzonspor laufen Ermittlungen,
ebenso gegen 15 weitere Vereine. Neben dem Fener-Präsidenten erwartet auch
den Klubchef des Vizemeisters Trabzonspor, Sadri Sener, ein
Gerichtsverfahren. Insgesamt wurden bisher 91 Personen befragt, 31 davon
sitzen in Haft.
## Aufgebrachte Fans
Sehr unterschiedlich ist die Reaktion der Fans auf den Skandal. Die meisten
"Fenerli" stehen voll und ganz hinter ihrem Klub und weigern sich, die
Vorwürfe auch nur zu diskutieren. Beinahe wöchentlich kommen sie zu
Demonstrationen in Istanbul zusammen. Viele tragen dabei Masken mit dem
Gesicht ihres Präsidenten. Vorbei sind die Zeiten, als Fangruppen Yildirim
vorwarfen, mit Kritik nicht umgehen zu können und unliebsame Gruppen aus
dem Stadion werfen zu wollen.
Heute stehen sie vereint hinter ihm und sprechen über die AKP als die
"Religiösen, die den Verein übernehmen wollen", über Politik und Atatürk -
über alles Mögliche, nur nicht über Fußball. Deutlich anders ist die
Situation bei Cupsieger Besiktas. Dort forderte der auch für sein
politisches Engagements bekannte Fanklub Carsi die Rückgabe des angeblich
erschwindelten Pokals an den Verband (TFF). Die Vereinsführung kam dem
nach.
Der türkische Verband entschied Mitte August, vorerst einmal abzuwarten und
lediglich den Meisterschaftsstart um knapp einen Monat auf den 10.
September zu verschieben. Und das, obwohl "bei einigen Vereinen
Spielmanipulation oder Versuch der Spielmanipulation festgestellt" wurde,
wie es in einer Pressemitteilung heißt. Begründet wurde die Zurückhaltung
mit der Geheimhaltung im Verfahren, die es den Beschuldigten unmöglich
mache, sich zu verteidigen.
Außerdem sei aus den von der Staatsanwaltschaft übermittelten Dokumenten
kein klarer Beweis für Manipulationen ersichtlich. Es wurden aber
Disziplinarverfahren gegen 53 Personen eingeleitet, nun wartet die TTF auf
weitere Schritte der Behörden.
## Kein Schuldeingeständnis
Der Vorstand von Fenerbahce ersuchte die TFF am 26. August um Versetzung in
die zweithöchste Spielklasse, um - den sofortigen Wiederaufstieg
vorausgesetzt - in der Saison 2012/13 wieder ganz oben mitspielen zu
können. Dies lehnte der Verband ab, da Fenerbahce den Abstieg nicht formell
beantragen wollte, was einem Schuldeingeständnis gleichgekommen wäre.
Der Europäischen Fußballunion Uefa wurde diese Zurückhaltung angesichts der
Gruppenauslosung für ihre Bewerbung 2011/12 schließlich zu viel. Am 22.
August entsandte sie Vertreter der Disziplinarkommission in die Türkei und
verkündete zwei Tage später den Ausschluss Fenerbahces aus der Champions
League 2011/2012.
Statt Fenerbahce spielt nun Trabzonspor in der Eliteliga. Und auch wenn der
Istanbuler Klub mit seiner Klage gegen den Ausschluss vor dem
Internationalen Sportgerichtshof abgeblitzt ist, könnte die Uefa noch
einmal von der Affäre eingeholt werden. Mit Besiktas und Trabzonspor stehen
die beiden aussichtsreichsten türkischen Vertreter im Europapokal immer
noch unter Manipulationsverdacht.
Mitarbeit: Klaus Federmair, Öncel Secgin
Der Text ist Teil eines Dossiers über den türkischen Manipulationsskandal
aus dem österreichischen Fußballmagazin ballesterer. Die neue Ausgabe mit
dem Titel "Belgrad - Stadt der Helden und Totengräber" gibt es ab Mittwoch
im deutschen Bahnhofsbuchhandel
13 Sep 2011
## AUTOREN
Markus Wachter
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