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# taz.de -- Besetzer kommen in die Jahre: Das "Wir gegen den Rest der Welt"-Gef…
> Die Hausbesetzerbewegung wird 30 Jahre alt. In der Reihe "Geschichte wird
> gemacht!" setzen sich AktivistInnen mit ihrer Vergangenheit und Gegenwart
> auseinander. Eine erste Erkenntnis: Besetzer- und AnwohnerInnen müssen am
> selben Strang ziehen.
Bild: Die Hausbesetzerbewegung - hier eine Szene aus Berlin-Mitte aus dem Jahr …
"Die einzige Tür, die zu war, war bei den meisten Häusern die Außentür",
erzählt Anna*. "Die war oft sogar verbarrikadiert, damit die Polizei mehr
Zeit brauchte, um reinzukommen." Anna schildert ihre Erinnerungen an die
frühe Westberliner Hausbesetzerzeit in einem Erzählcafé. Es findet im
Rahmen der Veranstaltungsreihe "Geschichte wird gemacht!" zu 30 Jahren
Hausbesetzerbewegung im Jugendwiderstandsmuseum Rigaer Straße statt. 1981,
da war sie 20 Jahre alt, besetzte Anna mit anderen ein Haus in der Luckauer
Straße nahe dem Kreuzberger Oranienplatz. Die Räumung dieses Hauses im Jahr
1984 markierte in der Wahrnehmung vieler das Ende der Besetzungsära.
Ebenfalls im Rahmen der Reihe, die die VeranstalterInnen auch als "Woche
der Widerspenstigen" bezeichnen, zeigt das Widerstandsmuseum eine
Plakatausstellung über "30 Jahre Häuserkampf". Denn die
Besetzungsgeschichte ist ja nicht zu Ende: Neben den Plakaten aus den 80ern
und 90ern, die etwa gegen die Räumung des inzwischen als Wohnkollektiv
etablierten Tommy-Weisbecker-Haus protestierten, hängen aktuelle
Pressemitteilungen zur Besetzung der Schlesischen Straße 25.
Seit Jahresbeginn hat eine Arbeitsgruppe unentgeltlich am Programm von
"Geschichte wird gemacht!" gefeilt. Ihr Ziel: den Austausch zwischen jenen
zu fördern, die seit drei Jahrzehnten ihrer Unzufriedenheit mit der
Berliner Wohnraumpolitik Luft machen. Noch bis zum Sonntag geschieht das an
unterschiedlichen Orten, die auf unterschiedliche Art und Weise mit der
Geschichte der Widerspenstigen verwoben sind - in Form von
Filmvorführungen, Erzählcafés, Diskussionen und Führungen durch ehemals
besetzte Häuser.
## Massive Räumungswelle
In diesem September ist es 30 Jahre her, dass der Senat eine massive
Räumungswelle der Häuser ankündigte, die als Reaktion auf
Immobilienspekulation und Leerstand besetzt worden waren. "Diese Ereignisse
liegen drei Jahrzehnte zurück. Aber was dazu geführt hat, ist auch heute
aktuell, wie man zuletzt an der Mietenstopp-Demo gesehen hat", sagt einer
der Organisatoren bei der Eröffnung der Reihe. Um die Aktualität der
Forderung nach bezahlbarem und selbst verwaltetem Wohnraum hervorzuheben,
wurden Ausstellungsstücke aus dem Lager des 2005 besetzten Bethanien-Hauses
und dem "Papiertiger Archiv und Bibliothek der der sozialen Bewegung"
zusammengetragen, Zeitzeugen kontaktiert, in Vergessenheit geratene
Hausprojekte angeschrieben. In deren liebevoll gestalteten Höfen werden nun
Erfahrungen von einer Hausbesetzergeneration an die nächste weitergegeben.
"Wir Besetzer haben mit Mieterinitiativen und Kiezläden zusammengearbeitet.
Der Kontakt mit den Anwohnern war uns wichtig, weil wir uns unter anderem
für billige Mieten als Grundrecht einsetzten", erklärt Anna den damaligen
Slogan "Wohnraum für Alle!" "Wesentlicher Grund für die Hausbesetzungen war
auch, in Gemeinschaften leben zu wollen", ergänzt Ulrich, der in den 80ern
an mehreren Besetzungen beteiligt war. "Große Wohnflächen standen uns ja
nirgends zur Verfügung."
Ulrich sagt, die Hausbesetzer hätten einen Prozess verlangsamt, der
Stadtteile wie Kreuzberg zerstörte: Altbauten wurden aufgekauft, um
abgerissen oder entkernt zu werden. Meist standen sie lange Zeit leer,
während drum herum die Mieten stiegen. Dabei wehrten sich die Hausbesetzer
der 80er, so gut sie konnten, gegen ihre Kriminalisierung. "Angesichts der
Dauerhetzkampagne der Springerpresse war das nicht leicht", berichtet
Ulrich. "Wir hatten phasenweise nur Schuhe an, mit denen man schnell rennen
konnte", sagt Anna. "Die Bedrohung verstärkte das ,Wir gegen den Rest der
Welt'-Gefühl."
Ein anderer Exbesetzer, Arthur, erklärt, dass es inzwischen unmöglich ist,
ein leer stehendes Gebäude länger als ein paar Stunden zu halten. "Dafür
ist die "Berliner Linie" von 1981 verantwortlich, die besagt, dass eine
Räumung innerhalb von 24 Stunden erfolgen soll. Dennoch machen die Besetzer
jedes Mal Pläne, wie man das Gebäude nutzen kann: als autonomes
Kulturzentrum, als Beratungsstelle, als Umsonstladen. Sie wollen Freiräume
schaffen, in denen Selbstorganisation und -verwaltung möglich ist, und
"kapitalistische Besitzverhältnisse infrage stellen", wie Arthur sagt. Er
glaubt, dass in Berlin auch weiter Häuser besetzt werden, denn "die
Hausbesetzung ist eine gute Möglichkeit, um Forderungen und
Utopievorstellungen plastisch zu kommunizieren".
Ulrich glaubt, dass die Mietsituation heute noch drastischer ist als zu
seiner Zeit als Hausbesetzer. "Der Häuserbewegung von heute fehlt der
Kontakt zu den Mieterinitiativen", sagt er. Aber vielleicht ist dieser
Kontakt wieder im Entstehen: Auf einem Straßenfest in der Reichenberger
Straße werden von den Kiezbewohnern "Angriffe auf die Mietstruktur" auf
einem Stadtplan zusammengetragen. Gemeint sind nicht etwa Besetzungen,
sondern Mieterhöhungen durch Modernisierung oder Umwandlung in
Ferienwohnungen.
*alle Namen geändert
15 Sep 2011
## AUTOREN
Alissa Starodub
## TAGS
Räumung
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