# taz.de -- FDP nach der Berlin-Wahl: Die Sache mit dem Komma | |
> Die Liberalen sind von der 18-Prozent-Partei zum 1,8-Problemfall | |
> geschrumpft. Der Parteivorsitzende ruft parteiinterne Kritiker und | |
> Europaskeptiker zur Ordnung. | |
Bild: "Auf einem Tiefpunkt angekommen": FDP-Parteichef Philipp Rösler während… | |
BERLIN taz | Die Krise der FDP ist so groß, dass selbst ihr Vorsitzender in | |
Superlativen über sie spricht. "Für mich war der gestrige Wahlabend der | |
bisher schwierigste, seit ich Mitglied der FDP bin", sagt Philipp Rösler am | |
Montag. Gemeinsam mit dem zerknirschten Berliner Spitzenkandidaten | |
Christoph Meyer tritt er in Berlin vor die Presse. "Wir sind auf einem | |
Tiefpunkt der Wahlergebnisse angekommen", erklärt Rösler. Rettung soll nun | |
die Besinnung auf den "Markenkern" der FDP bringen, allen voran ihre | |
"Wirtschaftskompetenz". Wählen sollen die Partei künftig die "Neuen | |
Bürgerlichen". Doch auch dieser jüngste Versuch, die Partei aus ihrer Krise | |
zu reden, hat wenig Aussicht auf Erfolg. | |
Seit Mai dieses Jahres ist Philipp Rösler Bundesvorsitzender der FDP. Bei | |
seiner Wahl rief er den Delegierten jenen so verheißungs- wie | |
verhängnisvollen Satz entgegen: "Ab heute wird die FDP liefern." Neun | |
Minuten Applaus erntete er damals von seinen Anhängern. Erst vier Monate | |
ist das her, am Wahlabend in Berlin rührt sich kaum eine Hand. Rösler kommt | |
gar nicht erst, er redet lieber bei Günther Jauch. | |
Statt seiner muss am Montag Generalsekretär Christian Lindner die | |
desaströsen 1,8 Prozent für die FDP erklären: Man müsse das Resultat "in | |
Demut" annehmen und sich nun besinnen, sagt er dem Deutschlandfunk, das | |
Ergebnis sei "ein Tiefpunkt und Weckruf zugleich". | |
"Tiefpunkt und Weckruf" am Montag; "Brot-und-Butter-Themen" nach der | |
Mecklenburg-Wahl vor zwei Wochen, "Ab heute wird geliefert" vor vier | |
Monaten - die einstige 18-Prozent-Partei ist zum krassen 1,8-Problemfall | |
geworden. Die Slogans wechseln, die Krise aber spitzt sich stetig zu. | |
Das jüngste Zauberwort, das die Lage der Partei verbessern soll, ist das | |
von der Konzentration auf die "Neuen Bürgerlichen". Also auf jene | |
Freiberufler, Unternehmer und jungen Familien, die der FDP bei der | |
Bundestagswahl 2009 das beste Ergebnis ihrer Geschichte beschert haben. | |
Diese will die FDP nun mit der Fokussierung auf ihren "Markenkern" | |
zurückgewinnen. | |
## Markenkern "Wirtschaftskompetenz" | |
Beim Markenkern geht es Rösler bezeichnenderweise nicht um Steuersenkungen, | |
sondern um "Wirtschaftskompetenz". Und darum, nicht antieuropäische | |
Stimmungen in der Bevölkerung zu bedienen. "Jeder, der eine andere Partei | |
möchte, wird auf den erbitterten Widerstand des Parteivorsitzenden | |
treffen", sagt er. Den Mitgliederentscheid, der ein Nein zum | |
Eurorettungsschirm ESM erzwingen will, bezeichnet Rösler als wenig | |
aussichtsreich - der Bundesvorstand wolle dem Antrag einen eigenen, | |
"proeuropäischen" entgegenstellen. Erst am Wochenende hatte der | |
Landesverband Nordrhein-Westfalen sich zum ESM bekannt. | |
Rösler hat verstanden. Mit seinem Kurs gegen Griechenland hat der | |
38-Jährige vergeblich versucht, kurz vor der Wahl noch Stimmen zu fangen. | |
Und an der Parteibasis hat er damit politische Erwartungen geweckt, die er | |
derart geschwächt in dieser Koalition gar nicht erfüllen kann. Die | |
Hoffnung, in Berlin damit noch die Kurve zu kriegen, ist seit Sonntag | |
perdu, und in Athen triumphiert die Tageszeitung Ta Nea: "Ohrfeige für | |
Euro-Skeptiker-Partner der Kanzlerin". | |
Tatsächlich ist die drängendste Frage, wie und ob es weitergeht mit einer | |
Koalition, in der der Junior im kaum noch messbaren Bereich operiert. Die | |
Beteiligten geben sich deshalb Mühe, die Reihen wieder zu schließen. Am | |
Montag tritt fast zeitgleich mit Rösler die Kanzlerin vor die Presse und | |
sagt auf die Frage nach der Stabilität ihrer Regierung einen ihrer | |
bemerkenswerten Fleißsätze: "Wenn wir ordentlich unser Arbeit machen und | |
Resultate erbringen, die man von uns erwartet, dann werden wir alle auch | |
wieder bessere Ergebnisse haben." | |
Wolfgang Kubicki, einflussreicher und meinungsstarker FDP-Fraktionschef in | |
Schleswig-Holstein, sagt der taz: "Die Berliner FDP wird sich nach diesem | |
Wahlergebnis in der außerparlamentarischen Opposition erneuern. Ansonsten | |
gilt: Flucht aus der Verantwortung war noch nie eine Lösung." | |
## Keine personellen Konsequenzen | |
Und der Altliberale Gerhart Baum fordert, die FDP müsse nun klären, "was | |
eigentlich ihr Eurokurs ist: der Berliner oder die Entscheidung des | |
Landesverbandes NRW vom Wochenende, also die Zustimmung zu einem | |
dauerhaften Rettungsschirm". Die Partei müsse alle Unsicherheiten und | |
Irritationen beseitigen und Europa zum zentralen Thema des Bundesparteitags | |
im November machen. "Der Parteitag muss die europafeindliche | |
Mitgliederbefragung eindeutig ablehnen." Ob die Regierung in der Eurofrage | |
zu einer Gemeinsamkeit findet, "sollte sich rasch klären", mahnt Baum. Er | |
kritisiert aber auch die Haltung der CSU. | |
Das Debakel von Berlin wird, wenn es nach den Koalitionspartnern geht, | |
keine personellen Konsequenzen haben. Die Spitzen von Union und FDP sind | |
offensichtlich entschlossen, bis zum Ende der Legislaturperiode in zwei | |
Jahren durchzuhalten. Ob das gelingt, ist fraglich. Spätestens wenn die | |
Liberalen bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai 2012 erneut an | |
der Fünfprozenthürde scheitern sollten, werden sich Partei- und | |
Fraktionsführung verantworten müssen. | |
Aber was käme dann? Und vor allem: wer? Immer schneller dreht sich das | |
Personalkarussell der Liberalen, immer Jüngere übernehmen Verantwortung, | |
mittlerweile führen Mittdreißiger Partei und Fraktion. Weiterer Nachwuchs | |
dürfte sich kaum noch finden. Deshalb heißt es nun, möglichst geräuschlos | |
regieren. In der Koalition wird Vizekanzler Rösler zeigen müssen, dass er | |
das Sagen hat. Denn nicht nur in der Europapolitik haben beide Partner ihre | |
liebe Not, die parteiinternen Kritiker zu besänftigen. Auch bei den Themen | |
Steuer, Pflege und innere Sicherheit knirscht es schon im Getriebe. Was | |
Union und FDP derzeit am ehesten eint, ist der Wille, noch zwei Jahre | |
miteinander durchzuhalten. | |
19 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
M. Lohre | |
A. Maier | |
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