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# taz.de -- Typologie der Benedikt-Kritiker: Der Sturm der Gegenpäpste
> Mehr als 10.000 Menschen wollen Donnerstag auf der Straße gegen den Papst
> demonstrieren. Wer sind sie? Was kritisieren sie? Und womit werden sie
> werfen? Eine kleine Typologie der Papstgegner.
Bild: Blaue Farbbeutel-Spuren am unteren Bildrand: Der Papst, nicht bei allen w…
## Die Innerkirchlichen
Im katholischen Glauben gefestigt, doch über die Kirchenhierarchien im
Zweifel: Der Papst ist für die internen Kritiker sichtbarstes Symptom für
überholte Strukturen. Auch weil für sie die Zurückweisung von Homosexuellen
und Geschiedenen durch Benedikt XVI. nicht mit der gepredigten
Nächstenliebe in Einklang zu bringen ist. Ihr Wunsch: weniger Zölibat, mehr
Macht den Laien und Frauen im Kirchengeschäft. Und Papa Bene als Primus
inter Pares. Höchstens.
Protest: Marsch durch die Institution
Vertreter: Kirche von unten, Wir sind Kirche
## Die Queer-Fraktion
Sie bilden den zahlenmäßig stärksten Block: Vom CSD e. V. bis zur
"Vereinigung lesbischer und schwuler Polizeibediensteter" wird seit Wochen
zur Großdemo getrommelt. Ihr Antrieb: persönliche Betroffenheit. Dass der
Papst als Wiederholungstäter gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Kondome
und selbstbestimmte Liebe verdammt, sei nichts anderes als
"Menschenfeindlichkeit", so das Credo. Kaum eine Instanz mache es Schwulen,
Lesben und Transgender heute schwerer in der Welt. Komisch eigentlich:
stehe doch der Papst der "größten, transnationalen Schwulenorganisation der
Welt" vor.
Protest: Kiss-ins, Dildos Schwenken, GegenpäpstInnen
Vertreter: Lesben-, Schwulen- und Transgruppen aller Couleur
## Die Parlamentarier
Heimlicher Höhepunkt der Deutschlandreise des Pontifex: die Rede im
Bundestag, als erster Religionsführer überhaupt. Nicht bei allen
Parlamentariern wird Joseph Ratzinger dabei auf offene Ohren stoßen. Etwa
die Hälfte der 76 Linksfraktion-Mitglieder kündigt an, fernbleiben und
lieber demonstrieren zu wollen. Bei Grünen und SPD könnten es bis zu einem
Drittel sein. Auch Berliner Landespolitiker schließen sich dem Protest an.
Ihre Kritik: Ein Papstauftritt im Bundestag ist unvereinbar mit der
Neutralität des Staates. Noch dazu bei den menschenrechtlich zweifelhaften
Positionen des Amtierenden. Und ohne Rückfragerecht des Parlaments. Selbst
Berlin-Oberhaupt Wowereit kritisierte, dass die Kirche Lehren vertrete,
"die weit in die zurückliegenden Jahrtausende gehören, aber nicht in die
Neuzeit". Leere Ränge wirds im Bundestag dennoch nicht geben: Die
Fraktionen wollen vakante Sitze mit Ex-MdBs auffüllen.
Protest: Sit-out
Berliner Vertreter: Klaus Lederer (Linke), André Rostalski (SPD Schwusos
Landeschef) u. a.
## Die Radikalen
"What the fuck?!", kommentiert die linksradikale Szene den Papstbesuch. Als
Feindbild ist Ratzinger für sie ideal: "erzreaktionär", "sexistisch",
"autoritär". Im Grunde aber nur Vertreter eines größeren, systemischen
Übels: kein Staat, kein Vaterland - kein Gott! Flogen 1996 beim Papstbesuch
von Johannes Paul II. noch Tomaten, umgeht Benedikt XVI. dies galant: Ein
Bad in der Menge falle leider aus Zeitgründen aus, heißt es. Die Radikalos
wollen trotzdem den Papst aufsuchen: mit einer Kundgebung morgens am
Flughafen Tegel, abends vor der Nuntiatur am Südstern - und tagsüber "mit
kreativen Aktionen" in der Stadt.
Protest: Eier und Wasserbomben
Vertreter: Antifa-Projekte von Fels bis zur Köpi
## Die Fiskalen
Beim Papstbesuch vor Kurzem in Spanien eine echte Macht, hier eher in der
Minderheit: die Steuergeldzähler. Diese addieren schon heute, was das
päpstliche Besuchsprogramm an Kosten verursacht: Straßensperrungen,
Polizeigroßeinsätze, pipapo. Macht nach übereinstimmender Zählung von
Kirche und Kritikern rund 30 Millionen Euro. Auch wenn einen Teil die
Kirche trägt: All dies für das Oberhaupt eines absolutistischen Winzstaates
in Italien - wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit?
Protest: Taschenrechner
Vertreter: überall dabei
## Die Humanisten
Tummelplatz der Atheisten. Gott ist tot, da brauchts keinen Papst.
Freiheit, Selbstbestimmung, Menschenrechte für alle - mit Ratzinger, der
die "Diktatur des Relativismus" predigt, nicht zu machen. Zum Beispiel,
wenn die Kirche in ihren Sozialeinrichtungen Betriebsräte behindere und
Abweichlern (geschieden, homosexuell, nicht katholisch) mit Kündigung
drohe. Oder wenn Ratzinger Holocaustleugner aus der Fundi-Riege
(Pius-Brüder!) wieder in die Runde der Schäfchen zurückhole. Auch beliebt:
der historische Fingerzeig. Inquisition und ausbleibende Kritik von Papst
Pius XII. an den deutschen NS-Gräueln.
Protest: Kraft der Argumente
Vertreter: Humanistische Verbände, Bund der Konfessionslosen und Atheisten,
Naturfreunde, Amnesty International
## Die Anwohner
Politisch unverdächtig, aber Prototyp des "Not in my Backyard"-Protestlers.
Angesiedelt rund ums Olympiastadion (Papst-Großmesse) und den Südstern
(Papst-Nachtstätte) ist diese Gruppe zum Hausarrest verdammt: Solange der
Papst in der Nähe ist, müssen die Anwohner Fenster geschlossen halten,
dürfen nur mit Ausweis ins und außer Haus. Sicherheitsstufe 1 für Benedikt
XVI.! Das sorgt für stickige Luft und schlechte Stimmung.
Protest: Grummeln
Vertreter: Westend- und Südstern-Anrainer
## Die Gesichtslosen
Betroffene von Missbrauchsfällen in der Kirche rufen zu einem "Block der
Gesichtslosen" in der Großdemo auf. Weiße Masken gegen eine immer noch
schleppende Aufarbeitung, gegen "Ducken und Wegschauen", gegen halbherzige
Entschuldigungen. Bereits um 12 Uhr wollen rund 500 frühere Heimkinder vorm
Brandenburger Tor schweigen und beten: "Für alle, die nicht das Wort
ergreifen können, weil sie lebenslang durch den Missbrauch geschädigt
sind."
Protest: stilles Mahnen
Vertreter: Bundesinitiative Kinder im Heim, Augen Auf, Wildwasser,
Tauwetter
## Die Feministinnen
Abtreibungen tabu, Kondome moralisch verwerflich? Debatten von gestern,
winkt der Block der Frauenrechtler ab. Nur der Papst hat offenbar noch
nicht mitbekommen, dass die Selbstbestimmung über den eigenen Körper eine
universelle Angelegenheit ist. Immerhin: Bei der Gelegenheit kann auch noch
mal dem Staat auf die Finger geklopft werden. Schließlich sind
Verhütungsmittel immer noch zu teuer und die "Pille danach" nicht
rezeptfrei.
Protest: Kondome (aufblasbar!)
Vertreter: pro familia, terre des femmes
## Die Promis
Nicht eindeutig einzuordnen, aber dabei: Regisseur Rosa von Praunheim,
Comiczeichner Ralf König, Kabarettistin Gabi Decker. Und der Berliner
Ensemble-Chef Claus Peymann lässt am Donnerstag den "Stellvertreter" von
Hochhuth aufführen - natürlich mit Einladung an "Seine Heiligkeit".
Protest: Gesicht hinhalten
Vertreter: siehe oben
20 Sep 2011
## AUTOREN
Konrad Litschko
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