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# taz.de -- Pressefreiheit am Bosporus: Im Würgegriff der Religiösen
> Zum Besuch von Staatspräsident Gül beklagt Reporter ohne Grenzen erneut
> Repressionen gegen Journalisten in der Türkei. Zu Besuch bei Journalisten
> in Istanbul.
Bild: Protestveranstaltung der Organistaion "Reporter ohne Grenzen", bei der ei…
TÜRKEI taz | Vor der Redaktion der Tageszeitung Cumhuriyet stehen
Polizisten mit kugelsicheren Westen und Maschinengewehren im Anschlag. Sie
schauen, als könnte jederzeit das Schlimmste passieren - eine Befürchtung,
die sich am Dienstag mit der Bombenexplosion im Regierungsviertel der
Hauptstadt Ankara bewahrheiten sollte.
Das mehrstöckige Gebäude macht einen etwas verwahrlosten Eindruck. Der
Besucher geht an verrauchten Redaktionsräumen vorbei. Im Treppenhaus
begegnen ihm ältere Männer mit abweisenden Gesichtern und hängenden
Schultern. An den Wänden hängen vergilbte Zeitungsausschnitte aus
vermeintlich besseren Tagen, damals, als die Kemalisten noch die Geschicke
des Landes bestimmten.
Seit 2002 ist das anders. Seitdem regiert die islamisch-konservative AKP
die Türkei. Erst Mitte Juni hat die religiöse Partei unter
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Parlamentswahlen erneut haushoch
gewonnen. Bei der Cumhuriyet freut sich darüber niemand.
Für ihre Anhänger und Leser ist die älteste Tageszeitung der Republik eine
Art Le Monde der Türkei. Kritiker sehen in ihr eher eine Art türkische
Prawda, die immer noch unkritisch die Meinung der ehemals herrschenden CHP
vertritt. Die Cumhuriyet gilt heute als Flaggschiff der Antiislamisten,
Sprachrohr nationalistischer Linker und der einst allmächtigen Kemalisten.
## Gegen das islamistische Machtkartell
Für kritische Journalisten werde es immer schwieriger, gegen das neue
islamistische Machtkartell anzuschreiben, das in den letzten neun
Regierungsjahren entstanden ist, behauptet etwa Miyase Ilknur, leitende
Redakteurin bei der Cumhuriyet. "Ein zunehmend pressefeindliches Klima bei
Behörden und Justiz" sieht auch Reporter ohne Grenzen.
Die Journalistenvereinigung appellierte an Bundespräsident Christian Wulff
und Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Unterdrückung von Presse- und
Meinungsfreiheit gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül
anzusprechen, der seit Sonntag auf Staatsbesuch in Deutschland ist. Heute
fliegt Gül zurück nach Ankara.
Cumhuriyet-Redakteurin Ilknur beklagt außerdem eine schleichende
Islamisierung der vorher streng laizistischen Türkei. "Das Freitagsgebet
war vor zehn Jahren überhaupt kein Thema. Seitdem die AKP an der Regierung
ist, aber schon. Wenn heute eine Partei eine Pressekonferenz zu der Zeit
macht, dann wird sie extrem kritisiert. Wenn man nicht betet und fastet und
die Ehefrau kein Kopftuch trägt, dann ist es kaum noch möglich, dass man
Karriere im öffentlichen Bereich macht", sagt Ilknur.
Die Kettenraucherin geht gern auf den Balkon des Redaktionsgebäudes, schaut
auf den benachbarten Friedhof, atmet tief durch. Natürlich gebe sich die
AKP als demokratisch und staatstragend im Sinne des Republikgründers Kemal
Atatürk, sagt sie, doch die Islamisierung schreite unaufhörlich voran wie
ein schleichendes Gift, das auch die Arbeit von türkischen Journalisten
beeinflusse.
Auch Mehmet Demir, ehemaliger Moderator beim staatlichen Fernsehsender TRT,
sieht diese immer stärker werdende Rolle der Religion in der Türkei, die
sich laut Verfassung immer noch als säkular und laizistisch definiert. Seit
dem Erstarken der islamischen AKP beobachtet auch er eine Durchdringung
sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche durch streng religiöse Kräfte, vor
allem seitdem die Fetulah-Gülen-Bewegung mit der AKP kooperiert. Dazu
gehören unter dem Dach der World Media Group AG etwa die türkische Zeitung
Zaman und Fernsehsender wie Ebru und Samanyolu, mit denen die islamische
Gruppierung Millionen erreicht.
"Die Gülen-Bewegung steht nicht außen, sondern sie ist überall schon drin,
auch in den Medien. Früher hat sie einzelne Leute eingeschleust, aber heute
sitzen sie überall. Als islamistisches Gedankengut wie auch als
Wirtschaftskraft hat sie eine große Anziehungskraft", sagt Moderator Demir.
Das Erstarken der AKP und der Gülen-Bewegung habe auch damit zu tun, "dass
es keine kluge Opposition in der Türkei gibt." Er denke nicht, dass sie
"eine geheime Agenda wie etwa die Einführung der Scharia" verfolgen, sagt
Demir, "aber die Islamisten streben nach der Macht."
Mit seiner langen schwarzen Mähne wirkt er wie ein Indianer vom Bosporus.
Seit Jahren kämpft er für journalistische Standards, wie sie in westlichen
Demokratien selbstverständlich sein sollten. Doch dafür wurde er
empfindlich abgestraft. Wie fast alle Journalisten in der Türkei ist der
Fernsehmoderator fest angestellt, und das bietet ihm beim staatlichen
Fernsehsender TRT einen gewissen Kündigungsschutz. Doch als er vor acht
Jahren in der öffentlich-rechtlichen Anstalt eine eigene
Gewerkschaftsgruppe gründen wollte, wurde Demir "pazifiziert", wie es in
der Türkei heißt. Dem Moderator wurde einfach seine eigene Sendung
weggenommen. Zur Gründung der Gewerkschaftsgruppe ist es bis heute nicht
gekommen.
## Zwangsweise zur Ruhe gesetzt
"Sie können mich zwar wegen meiner Festanstellung nicht einfach
rausschmeißen, aber ich wurde von oben zwangsweise zur Ruhe gesetzt. Zensur
gab es bei TRT schon immer", erklärt Demir, der nun gerade noch einmal pro
Woche für zweieinhalb Minuten neue Kinofilme vorstellen darf. Als Mitglied
des Zentralvorstands der Mediengewerkschaft Kesk Haber-Sen vertritt Demir
Journalisten und Angestellte auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der
Organisationsgrad liege aber gerade einmal bei rund 30 bis 40 Prozent, und
Funktionäre wie er würden eingeschüchtert. Es gebe kein Streikrecht, und
Löhne würden von oben diktiert, sagt Demir.
Hinzu kommt der politische Druck. In der Türkei herrscht alles andere als
Pressefreiheit. Erst im März wurden die bekannten Journalisten Ahmet Sik
und Nedem Sener festgenommen, weil sie über die islamistische Szene,
insbesondere die Fetulah-Gülen-Bewegung und ihre Verquickung mit der
herrschenden AKP-Regierung in der Türkei, recherchiert hatten.
"Die Vorwürfe sind absurd, die monatelange Untersuchungshaft ist nicht zu
rechtfertigen", schreibt Reporter ohne Grenzen. Der 200. Tag der
Inhaftierung fiel mit dem Besuch von Staatspräsident Gül zusammen, weswegen
Reporter ohne Grenzen Wulff und Merkel auch dazu aufforderte, für deren
Freilassung einzutreten. Einschüchterung und Selbstzensur seien die fatale
Folge solcher Repressionen, so Reporter ohne Grenzen.
"Ein Klima der Angst" registriert auch Mehmet Demir, der sich seit fast
zehn Jahren für die Pressefreiheit engagiert. Laut Reporter ohne Grenzen
sitzen derzeit 63 Journalisten im Gefängnis, mehrere tausend sind
angeklagt. "Ministerpräsident Erdogan sagt immer, die Inhaftierungen hätten
nichts mit ihrer journalistischen Tätigkeit zu tun. Aber wir wissen, dass
das keine zivilrechtlichen Verfahren etwa wegen Diebstahls oder ähnlicher
Delikte sind", sagt Demir.
Seine Journalistengewerkschaft fordert daher schon lange, dass das
türkische Antiterrorgesetz im Interesse echter Demokratie aufgehoben werden
müsse. Zumindest eine Revision des Gesetzes will auch Reporter ohne
Grenzen. Auch Paragraf 301 des türkischen Strafgesetzbuches, die
"Beleidigung der Türkei", ist berüchtigt, da immer wieder für eine Anklage
gut. Wer in der Türkei kritisch und investigativ berichtet, steht immer
schon mit einem Bein im Gefängnis.
## Fidan Özen hat leicht reden
Umso verwunderlicher, dass es sogar türkische Journalisten gibt, die aus
Deutschland in ihre Heimat zurückkehren. Fidan Özen etwa arbeitete bisher
beim WDR-Radiosender Funkhaus Europa und wollte jenseits der 40 noch mal
neu anfangen. Sie war es auch ein wenig leid, in Deutschland auf
Migrantenthemen abonniert zu sein. Journalismus in der Türkei ist für sie
nun um einiges spannender als in Deutschland.
An ihren türkischen Kollegen bewundert die Deutschtürkin deren Berufsethos:
"Obwohl ihre Meinung türkische Journalisten ins Gefängnis bringen kann,
schreiben sie, was sie denken, sie sind mutiger als ihre deutschen
Kollegen."
Für türkische Medien allerdings arbeitet Fidan Özen trotzdem lieber nicht.
Deswegen stuft sie sich auch selbst als kaum gefährdet ein, ist sich ihrer
privilegierten Stellung als deutsche Korrespondentin vollauf bewusst. Mit
anderen Worten: Fidan Özen hat leicht reden.
21 Sep 2011
## AUTOREN
Thomas Klatt
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