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# taz.de -- Anti-Kohle-Bewegung: Leise, aber nicht stumm
> 2011 wurde es laut um die Atomkraft und still um die Anti-Kohle-Bewegung.
> Am Samstag ist Welt-Klima-Aktionstag. Kommt der Protest wieder? Ein
> Besuch im Klimacamp.
Bild: In Vergessenheit geraten: Jährlich werden durch Kohlekraft 24 Gigatonnen…
Die Kohlekraftgegnerin Tina Keller sitzt an einem Lagerfeuer auf einer
Obstwiese bei Köln und raucht eine Selbstgedrehte. Man könnte jetzt leicht
diesen Witz machen: Wie viel Feinstaub wohl dieses Lagerfeuer, wie viel
Stickoxide die Zigarette verursacht? Aber der Boden, auf dem Tina Kellers
Füße an diesem Spätsommerabend stehen, wird bald von Baggern aufgegraben
werden, um das rheinische Braunkohlerevier zu vergrößern, und da ist ihr
eher nicht nach solchen Sprüchen.
Tina Keller sagt Sachen wie: "Das Zuhause der Leute wird einfach
abgebaggert", und dass man endlich mal wieder zur Sprache bringen müsse,
dass das Verbrennen von Kohle katastrophale Auswirkungen hat. Für die
26-Jährige und zwanzig andere waren das die Gründe, in dem sterbenden
Stadtteil namens Manheim ein Klimacamp zu veranstalten.
Das Viertel der Kleinstadt Kerpen bei Köln ist ein Ort, den es bald nicht
mehr geben soll. Aber Tina Keller will noch ändern, dass 2013 fast 1.600
Menschen umgesiedelt werden, damit sich der Energieriese RWE, Europas
größter CO2-Emittent, sein nächstes Kraftwerk bauen kann. Das Klimacamp
soll nicht nur den Nachbarn im Ort einschärfen, dass RWE mit drei Tagebauen
und vier Kraftwerksstandorten ziemlich viel Kohlendioxid in die Luft
pustet.
Hat das geklappt? Tina Keller schaut ins Feuer. Ja, sagt sie. Zehn Tage,
rund 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ab und zu Neugierige aus Kölns
Umgebung, die den Umweltschützern beim Zelten und Demonstrieren zugesehen
haben. Das ist die Bilanz eines Treffens, das sich weitgehend mit eigenem
Solarstrom versorgt und Plumpsklos aufgestellt hat, in die Kompost statt
Chemie gekippt wird.
## Klimacamps - eine englische Tradition
In den zehn Tagen hat man sich über alternative Energien beraten oder
Schienen blockiert, auf denen sonst RWE-Kohle transportiert wird. Die
Tradition der Klimacamps kommt aus England, die Treffen sind vielleicht die
wichtigste Aktionsform der Bewegung. Das Camp im Rheinland war das letzte
dieses Sommers. Andere gab es in der Lausitz, in der Schweiz und in
Belgien.
Die Anti-Kohle-Bewegung. Kommt sie jetzt wieder?
Der Zeitpunkt wäre richtig. Möglicherweise sogar überfällig. Denn: Als der
Kopenhagener Klimagipfel im Jahr 2009 scheiterte, da waren die
Klimaaktivisten enttäuscht, viele gar wütend, gekränkt. Über 500 Umwelt-
und Klimaorganisationen, soziale und kirchliche Gruppen aus 67 Ländern
hatten zu Demonstrationen aufgerufen, eine radikale Senkung der
Treibhausgase gefordert - und wurden, nach stundenlangem Konferieren der
Regierungschefs, mit einer einzigen Einigung abgespeist: Dass sich die Erde
bis zum Ende des Jahrhunderts nicht um mehr als zwei Grad erwärmen soll.
Einmal mehr fühlten sich die Klimaschützenden in ihrem Vorwurf bestätigt,
offizielle Verhandlungen könnten das Schmelzen der Gletscher nicht stoppen.
Also versuchten sie es weiter selbst, diesmal prägnanter und deutlicher:
Durch Kopenhagen liefen Robin-Wood-Aktivisten mit Plakaten,
Greenpeace-Aktivisten erkletterten Roms Kolosseum, um dort Banner gegen
Versteppung, Verwüstung und Wasserknappheit aufzuhängen, am Berliner
Hauptbahnhof hinterließen sie Grüße an die Kanzlerin, 18 mal 28 Meter groß.
"Frau Merkel: Klima retten! Jetzt oder nie!" stand auf ihren Transparenten.
Die Aktivisten waren unterschiedlicher geworden, Anarchisten, Kommunisten,
Atomkraftgegner und Kohlekraftgegner verbündeten sich, besetzten im letzten
Jahr bei den Bonner Klimaverhandlungen gemeinsam eine Tankstelle. Vom
"neuen bunten Klimaprotest" war da noch die Rede.
## Die Kohlekraft geriet in Vergessenheit
Und dann redeten alle über Fukushima und vergaßen die Kohle. Schon zuvor,
bei der Diskussion über die Laufzeitverlängerung, war es um Atomkraft
wieder lauter geworden. Nun, nach der Katastrophe, wurden Unpolitische
politisch, steckten sich "Atomkraft? Nein danke!"-Buttons an, gingen auf
die Straßen. Der Atomausstieg für 2022 wurde beschlossen, der erste grüne
Ministerpräsident gewählt. Die Anti-AKW-Bewegung meldete sich zurück, und
das so kräftig, dass man die Klimabewegung kaum noch hören konnte.
Sie war in den Hintergrund gedrängt worden und irgendwann verstummt. Jetzt
erst, mit etwas Abstand, probt die Klimabewegung wieder ihren eigenen
Auftritt. Schließlich wird nun nach billigen Alternativen gesucht, mit
denen das Loch gestopft werden kann, das die Atomkraft hinterlässt. Während
RWE schon mal das Kohlerevier ausbaut, pflanzen die Klimaaktivisten Bäume
oder planen Skateboard-Proteste: Am 24. September ist
Welt-Klima-Aktionstag. Ende November ist Klimakonferenz.
"Wir können von der Anti-Atom-Bewegung lernen", sagt Tina Keller. Die
Selbstgedrehte ist aufgeraucht, ausgedrückt. "Und wir müssen mit ihr
verschmelzen. Es geht um dieselbe Dringlichkeit, dieselben Ansätze,
dieselbe Systemkritik." Nur ist der Supergau des explodierenden
Atomreaktors fassbarer als die schleichende Gefahr der Erderwärmung.
## 24 Gigatonnen Kohlendioxid jährlich
Die Aktivistinnen und Aktivisten haben sich viel vorgenommen: die 24
Gigatonnen Kohlendioxid, die weltweit jährlich in die Atmosphäre geblasen
werden. Die Ungewissheit, wie klimafreundlich die Technologie "Carbon
Capture and Storage", kurz CCS, wirklich ist, mit denen die Betreiber der
Kohlekraftwerke künftig Gas einlagern wollen.
"Wir wollen weiter machen", sagt Tina Keller. Sie sagt das laut, ein
bisschen so, als müsse sie sich ihre Sätze noch ein paar Mal vorsagen,
bevor sie ihnen traut. Sie und die anderen planen ein dauerhaftes Camp, das
passende Haus in Düren haben sie dafür schon gefunden, mit 2.000
Quadratmeter großem Garten. Ein offener Ort soll es sein, in dem Menschen
nachhaltig leben üben können.
Sie kommt wieder, die Anti-Kohle-Bewegung. Langsam bloß, vielleicht zu
spät.
"Viel zu spät", murrt der Mann im rosa Hemd, ein gebürtiger Manheimer, er
steigt in seinen Mercedes, silbern, klimatisiert. "Viel zu spät. Die hätten
mal 15 Jahre vorher protestieren sollen, die Umsiedlung ist beschlossene
Sache." Überhaupt, RWE würde die Bürger großzügig bezahlen dafür, dass sie
umziehen, "mehr als die Leute hier je verdienen." Der Mann im rosa Hemd, er
wohnt gegenüber vom Camp in einer Villa, die er zurücklassen muss. Es macht
ihm nichts aus. "Ich hab sechs Häuser", sagt er und fährt los.
23 Sep 2011
## AUTOREN
Annabelle Seubert
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