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# taz.de -- Anmerkungen zur Organtransplantation: Ein guter Schnitt
> Sachbuchautor Richard Fuchs prangert an, wie nach dem Hirntod mit
> Patienten verfahren wird: Ohne Schmerzmittel - und der Vertrag mit der
> Krankenkasse erlischt.
Bild: Sachbuchautor Richard Fuchs: "Das Hirntodkonzept war dann die Grundlage f…
Die an den Tod geknüpfte und versprochene Heilung basiert auf der
Einverleibung des Fleisches aus dem Körper eines anderen Menschen und
berührt empfindlich das Kannibalismustabu. (Anna Bergmann)
Richard Fuchs, Sachbuchautor. 1937 in Siegen/Westfalen geboren u.
aufgewachsen. Lebt seit 1957 in Düsseldorf u. war lange Jahre Werbeleiter,
dann Artdirektor in einer großen Agentur. 1968 machte er sich selbständig
mit eigener Werbeagentur u. einem Verlag für Fachpublikationen. 1986
verkaufte er beides, um sich als Privatier anderen Interessen widmen zu
können. Er befasste sich mit neuen Technologien, Nahrung, Biomedizin,
Gentechnologie und Organtransplantation, verfasste Stellungnahmen zu
Anhörungen im Gesundheitsausschuss d. Dt. Bundestages z.
Transplantationsgesetz. 1988 koordinierte er eine Verfassungsbeschwerde
gegen d. Transplantationsgesetz. Er schrieb mehrere Bücher, u. a.: "Tod bei
Bedarf. Mordsgeschäfte mit Organtransplantationen" (1996), "Life Science.
Eine Chronologie von den Anfängen der Eugenik bis zur Humangenetik der
Gegenwart" (2008). Sein Vater war Kaufmann, seine Mutter hatte 7 Kinder und
war Hausfrau. Er ist verheiratet und hat 2 Kinder, seine Frau ist
Journalistin und Sachbuchautorin.
In Apotheken, Einkaufszentren, Möbelhäusern und Behörden wird der Kunde mit
Werbebroschüren und Organspenderausweisen versorgt und um
Spendenbereitschaft gebeten. Wenn etwas nicht stimmt, wird das zuallererst
an den Sprachregelungen kenntlich. Sanft und süß klingen die Worte
"Spende", "Geschenk", "Körpergabe". Mit der Klaviatur des weihevollen
Kitsches und der Rührseligkeit soll der Bürger darauf eingestimmt werden,
seine Bürgerpflicht zu tun, bei der Gemeinschaftsaufgabe Organspende". Im
Gärtnerjargon, als ginge es um ein liebevolles Umtopfen, wird über Organe
wie über Pflanzen gesprochen, Herz, Lunge, Leber, Niere werden explantiert,
verpflanzt, eingepflanzt. Organe werden "entnommen". " Organpaten",
entlehnt beim "Baumpaten", werden gesucht. Und: "Auch die Kirchen sagen
JA!" Nirgendwo wird so oft das Wort Solidarität in Anspruch genommen wie
bei der Organspendenwerbung. Altruistisch ist aber nur der Spender selbst.
Ist die milde Gabe erst einmal aus ihm herausgeschnitten, beginnt die
Wertschöpfungskette.
Die mangelnde Spendenbereitschaft des Bürgers lähmt die Kapazität der
medizinischen Möglichkeiten. Organmangel war von Beginn an das Hauptproblem
der Transplantationsmedizin. Durch eine Novellierung des
Transplantationsgesetzes, seit 1997 in Kraft, soll sich das Organaufkommen
verbessern. Seit einiger Zeit läuft das parlamentarische Procedere. Am 29.
und 30. Juni 2011 fand die zweite Anhörung des Gesundheitsausschusses statt
und zeitgleich die Konferenz der Gesundheitsminister von Bund und Ländern.
Letztere empfahl zunächst eine "Erklärungslösung". Jeder Bürger soll einmal
im Leben seine Entscheidung treffen, die dann amtlich dokumentiert werden
soll, zum Beispiel im Führerschein, Personalausweis oder auf dem Chip der
Gesundheitskarte. Entscheidet er sich nicht, entscheiden (im Fall einer
erweiterten Lösung) die Angehörigen. Derzeit gilt die "erweiterte
Zustimmungslösung". Spender müssen zu Lebzeiten schriftlich oder mündlich
ihre Einwilligung geben, liegt keine Willenserklärung für oder gegen vor,
haben die Verwandten das letzte Wort (rund 90 Prozent aller Organspender
werden, mangels Einwilligung zu ihren Lebzeiten, von den Angehörigen
freigegeben). Die in Österreich und anderen Ländern praktizierte
"Widerspruchslösung", jeder Bürger ist automatisch Organspender, es sei
denn, er widerspricht und lässt sich in ein amtliches Widerspruchsregister
eintragen, bekam keine Mehrheit. Mitte September fand eine Sitzung des
Bundesrates zur Novellierung des Transplantationsgesetzes statt.
Dass es bei all diesen Anstrengungen um die "Ausschöpfung des
Spendenpotenzials" nicht zuletzt auch um viel Geld geht, wird tunlichst
verschwiegen. Richard Fuchs hat sich ausführlich mit der gesamten Thematik
beschäftigt. Er empfing mich sehr gastfreundlich in seinem Haus in
Düsseldorf. Es war ein sehr schöner Septembertag, wir nahmen im
Wintergarten Platz und er berichtete mir all das, was dem zur
Spendenerklärung gedrängten Bürger an Informationen vorenthalten wird:
"Ich befasse mich seit 14 Jahren mit dem Thema. Mitte der 90er Jahre, als
ich an meinem ersten Buch schrieb, habe ich sämtliche Anhörungen im
Gesetzgebungsverfahren miterlebt - mit allen Argumenten dafür und dagegen.
Mein Buch ,Tod bei Bedarf. Mordsgeschäfte mit Organtransplantationen'
erschien dann wenige Monate vor der Verabschiedung des
Transplantationsgesetzes und ich bin für meine Kritik von maßgeblichen
Herren des Ministeriums angegriffen worden." Er lacht leise.
"Was mich an diesem Thema neben den ethischen Fragen natürlich auch
interessierte, war der geschäftliche Hintergrund. Als ehemaliger
Werbefachmann und Kaufmann habe ich dafür auch einen besonderen Blick. Mir
war bald klar, dass sich mit der Transplantationsmedizin, die ja vor der
Verabschiedung des Gesetzes in einer rechtlichen Grauzone entstanden ist,
eine Menge Geld verdienen lässt. Die Recherche war schwierig, die Aktenlage
dürftig, aber es haben sich dennoch eine Menge Fakten ergeben. Eine Leber
beispielsweise kostete zu dieser Zeit etwa 250.000 DM. Das Gesetz ist
damals unter starker Mitwirkung von Lobbyisten entstanden.
Interessant ist, es gab drei Anhörungen im Gesundheitsausschuss und eine
Anhörung im Rechtsausschuss. In Letzterem waren viele Staatsrechtler
versammelt, die samt und sonders Kritik an dem Gesetz übten. Dergestalt
nämlich, dass es weder dem Staat noch der Bundesärztekammer zustehe, sich
eine Meinungshoheit darüber anzumaßen, wann der Mensch tot zu sein habe.
Sehr stark wurde auch die erweiterte Zustimmungslösung kritisiert - die bis
heute gilt -, da es ja nicht angehen kann, dass Dritte, in dem Fall
Angehörige, Entscheidungen treffen können. Und zwar, wie es so schön heißt,
vor dem Hintergrund des ,mutmaßlichen Willens'. Das ist juristisch ein
Unding. Ich darf ja auch kein Testament an Stelle eines Angehörigen machen,
seinen mutmaßlichen letzten Willen festlegen. Der allerwichtigste
Kritikpunkt war aber der sog. Hirntod."
Der kritische Kardiologe und Internist Paolo Bavastro übrigens spricht
nicht von Hirntod, er nennt den Begriff eine arglistige Täuschung, weil es
sich zwar um einen schwer hirngeschädigten Patienten handelt, der sozusagen
ein Sterbender ist, aber noch nicht tot. Er weist darauf hin, dass man das
auch jedem medizinischen Lehrbuch entnehmen kann.
"Der Hirntod ist ja, etwas überspitzt gesagt, eine Erfindung, oder eine
,interessengeleitete Vereinbarung', die 1968 in Harvard getroffen wurde.
Nachdem in Südafrika die erste Herzverpflanzung durch Barnard 1967
vorgenommen wurde, gab es schnell Bedarf an einer Regelung die
Rechtssicherheit garantierte. Man hat, weil ein Arzt verklagt werden
sollte, eine Ad-hoc-Kommission eingesetzt in Harvard, und die beschloss,
den Hirntod einzuführen als Todeszeitpunkt. Das Hirntodkonzept war dann die
Grundlage für den Export dieser Theorie in all jene Länder, die sich mit
Organtransplantation befasst haben. Sie wurde auch von der
Bundesärztekammer und letztlich vom Gesetzgeber übernommen. Obgleich ,der
Tod vor dem Tod' ein ganz heftiger Kritikpunkt war während des
gesetzgebenden Verfahrens.
Und es gab dann in der Folge, weil viele Menschen - im Übrigen auch sehr
viele Mediziner - das nicht hinnehmen wollten, Bemühungen, eine
Verfassungsbeschwerde zu organisieren. Ich habe das damals übernommen, Geld
gesammelt usw. Das war 1999. Darüber hinaus gab es anschließend zwei
weitere Verfassungsbeschwerden, die leider alle an einem
Nichtannahmebeschluss gescheitert sind. Und obwohl das Gericht seine
Ablehnungsentscheidung nicht erklären muss, lautete die Begründung, es
könne ja jeder vermeiden, Organspender zu werden, wenn er eine
entsprechende Widerspruchserklärung in der Tasche trägt. Das war natürlich
in keiner Weise hilfreich.
Ein sehr prominenter Verfassungsrechtler, Prof. Schachtschneider, der
Verfahrensbevollmächtigte, hat dann die Klage an den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg weitergeleitet, wo sie seit 12
Jahren anhängig ist." Er lacht bitter.
Der Arzt und Gesundheitswissenschaftler Dr. Wolfgang Wodarg, er ist
SPD-Mitglied und war damals Bundestagsabgeordneter, hat während einer
Anhörung berichtet, dass er gebeten hatte, einer Explantation beiwohnen zu
dürfen. Das hat man aus gutem Grund kategorisch abgelehnt, weil man ihm das
nicht zumuten wollte.
Der ganze Vorgang scheut das Licht. Es wird überwiegend nachts explantiert.
Das alles spricht Bände. Es gab eine Theologin, Ines Odaichi - die
inzwischen verstorben ist - sie war potenzielle Organspenderin, wollte aber
sicherstellen, dass sie bei der Organentnahme eine Narkose bekommt. Sie hat
sich an alle dafür zuständigen Stellen gewendet, am Ende veröffentlichte
die Bundesärztekammer eine Erklärung, die besagte: "Nach dem Hirntod gibt
es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei
Organentnahme keine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (z. B. Narkose) nötig.
Also das ist ein Skandal, dass diese Frage so beantwortet wird. Es sind ja
noch lebende Patienten, die schwitzen, sich bewegen, ihre Wunden könnten
verheilen, Frauen können noch ein Kind austragen, Männer könnten im Prinzip
noch ein Kind zeugen. Es sind Lebende bzw. Sterbende, die letztlich durch
die Organentnahme - ich sage es mal so schlicht - getötet werden. Die, bis
das letzte Organ entnommen ist, beatmet werden. Erst dann sind sie wirklich
tot.
Allerdings hat Professor Lauchert, der bis Juli 2011 geschäftsführender
Arzt der DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation) war und selbst
Transplanteur, an Frau Odaichi Folgendes geschrieben: ,Es ist in der Tat
nicht zu belegen, dass eine für hirntot erklärte Person tatsächlich über
keinerlei Wahrnehmungsvermögen mehr, insbesondere Schmerzempfindlichkeit
verfügt.'
Das fand ich für einen Vertreter der DSO sehr seriös. Was aber bedeutet
das? Wenn man zugeben würde, dass diese hirntoten Menschen nicht
empfindungslose Verstorbene, sondern Sterbende, im Zweifel mit
Schmerzempfinden sind, dann müsste man sich von der Organtransplantation
verabschieden! Deshalb wird einfach eine Lüge aufrecht erhalten. Ohne
Hirntoddefinition gäbe es gar keine Transplantationsmedizin.
Also im Land der ,ungebremsten Möglichkeiten', in dem ja sozusagen der
Hirntod ins Leben gerufen wurde, ist er nach 30 Jahren zwar nicht begraben,
aber doch stark relativiert worden. Seit 2008 der Nationale Bioethikrat
bekannt gab, dass der Hirntod doch nicht der wirkliche Tod des Menschen zu
sein scheint, und 2010 die American Academie of Neurology ihm die
naturwissenschaftliche Begründung absprach, haben sich viele
wissenschaftliche Stimmen gegen die Hirntoddefinition ausgesprochen.
Das hatte aber nur zur Folge, dass man in den USA nun darüber nachdachte,
wie man das Problem löst, wie man das Hirntodkonzept umfirmiert, indem man
sagt: ,JUSTIFIED KILLING' also ,gerechtfertigtes Töten'. Das stößt
natürlich auf ethische und rechtliche Probleme. In den USA ist übrigens,
wie auch in einigen europäischen Ländern, die Organentnahme bei Herztoten -
den sogenannten Non-heart-beating-donors - erlaubt, wo man dann 2 bis5
Minuten nach Herzstillstand explantiert. Eigentlich nützt nur ein
,lebendfrisches Organ' dem Empfänger." Die Sonne steht im Zenit und es wird
heiß. Automatisch und fast lautlos gleitet eine weiße Markise im Hause
Fuchs übers Glasdach des Wintergartens.
"Was ich sagen will, die Diskussion läuft und ist inzwischen auch in
Deutschland angekommen. In solchen Fällen ist das Internet ein Glück. Die
Betreiber der Transplantationsmedizin haben nicht mehr das alleinige
Meinungsmonopol, sie sind konfrontiert mit sehr vielen kritischen Texten
und Informationen auf hohem Niveau, mit sorgfältigen wissenschaftlichen
Abhandlungen und mit Internetauftritten von Gruppierungen wie zum Beispiel
der KAO, einem Verein für kritische Aufklärung über Organtransplantation
betroffener Eltern von explantierten Kindern. Man kann sich im Internet
also wirklich sehr gründlich informieren. Im Gegensatz zu den Printmedien,
bei denen man den Verdacht nicht loswird, dass sie fast ausnahmslos
aufseiten der Transplantationsmedizin stehen. Funktionsträger aus Politik,
Kirche usw. dürfen offen Lobbyarbeit machen, in scheinbar harmlosen
Interviews entsprechende Statements von sich geben.
Die PR-Arbeit in den Medien ist nicht nur Meinungsmache, sie hat auch einen
geldwerten Vorteil ungeheuren Ausmaßes. Also so eine redaktionelle Seite
hat einen sehr viel höheren Werbewert, als wenn sie auf dieser Seite eine
Anzeige schalten würden. Glaubhafte Personen, sei es nun aus dem Präsidium
des Deutschen Kirchentages oder dem Kulturbetrieb, verbreitet eine
scheinbar glaubhafte Botschaft. Unbezahlbar!
Also: PR-Büros rechnen gegenüber ihren Auftraggebern am Ende des Jahres die
erwirtschafteten Summen aus, indem sie Zeilen zählen und in Werbekosten
umrechnen. Die Medien kommen auch nicht zu kurz, wenn sie zum Beispiel
Sendezeiten sponsern und dafür vom Ministerium eine Spendenquittung
bekommen.
Und es gibt diese großen Werbekampagnen, wie die Kampagne des Berliner
Herzzentrums ,Pro Organspende', die durch eine lettischen Werbeagentur in
Szene gesetzt wurde, die arbeiteten mit sog. Testimonials, also mit Opinion
Leadern oder Meinungsbildnern, prominenten Köpfen, mit denen man sich gern
identifiziert. Neben vielen anderen ist die Techniker Krankenkasse
besonders stark engagiert." (Ihr Chef, selbst Organempfänger - er bekam die
Leber eines hirntoten Patienten - hat die Kampagne mit initiiert. Anm.
G.G.)
"Eine weitere Kampagne: ,Organpaten werden' wurde von der Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung - die ja auch den Organspendeausweis ausgibt
- veranstaltet und durch eine Pharma-Werbeagentur umgesetzt.
Das Absurde bei der Werbung für massenhafte Spendenbereitschaft ist, dass
sie sozusagen ins Leere läuft, weil so viele Hirntote gar nicht zur
Verfügung stehen. Wenn man sich vor Augen führt, dass in Deutschland ja nur
Organe von hirntoten Spendern entnommen werden dürfen und dass bei einer
jährlichen Sterberate von etwa 900.000 Menschen nur etwa 5.000 als hirntot
diagnostiziert werden, dann fragt man sich, was eigentlich intendiert ist?!
Von diesen 5.000 kommt noch ein Teil aus medizinischen Gründen gar nicht in
Frage.
Sobald der Hirntod festgestellt ist, erlischt das Vertragsverhältnis mit
der eigenen Krankenkasse. Es gibt dann sozusagen zwei Optionen. Wenn der
Totenschein ausgefüllt ist, wird den Patienten, die nicht als Organspender
in Frage kommen, die Beatmung abgestellt. Organspender hingegen, die ebenso
für tot erklärt wurden, werden weiter beatmet und mit allem versorgt, was
für die ,lebendfrische' Organentnahme notwendig ist.
Das gilt als Idealfall. Aber fast die Hälfte der Angehörigen von Hirntoten
weigert sich, in eine Organentnahme einzuwilligen. Ich glaube, die meisten
Leute wissen gar nicht, dass mit Tod der Hirntod gemeint ist. Im
Organspendeausweis heißt es, und das ist fett gedruckt: ,Für den Fall, dass
nach meinem Tod eine Spende von Organen/Geweben zur Transplantation in
Frage kommt'. Also man schreibt nicht, ,nach meinem Hirntod' oder ,nach
vorausgegangener Hirntoddiagnose', was seriös wäre. Aber dann würden viele
Leute gar nicht mehr unterschreiben.
Und zu dem, was hier Gewebe genannt wird, muss ich noch sagen, dass es nach
dem seit 2007 gültigen Gewebe-Gesetz nicht vermittlungspflichtig ist, das
heißt, es muss keinem Empfänger zugeordnet werden. Es kann dem Spender
größtenteils nach dem Tod entnommen werden oder nach der Organentnahme. Da
gibt es eine ganze Menge, was man, mal despektierlich gesagt, ,absammeln'
kann, Augenhornhaut, Herzklappen, Knochen, Gelenke, Gliedmaßen, auch Hände
etwa, die gesamte Haut usw. Knochenmark, Blutstammzellen. Menschliche
Gewebe werden zum Teil als Arzneimittel deklariert, unterliegen dem
Arzneimittelrecht, sind also ganz offiziell Handelsware, die weltweit
vermarktet werden darf. Und das ist wirklich ein gutes Geschäft, besonders
auch, wenn man bedenkt, dass alles ja zum Nulltarif gespendet worden ist.
Aber noch mal zurück zu den Werbekampagnen. Man fragt sich natürlich, wer
diese teuren Kampagnen bezahlt. Es ist so, dass die Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit
arbeitet, ich habe da mal angefragt. Für die Organspende hatte die
Bundeszentrale einen Werbeetat von ganzen zweieinhalb Millionen Euro,
Sponsorengelder natürlich nicht mitgerechnet. Das erfahren Sie nirgendwo.
Das Herzzentrum führt wenigstens die großen Konzerne auf, die ihre Kampagne
gesponsert haben.
Da fließt also viel Geld, von dem nie die Rede ist. Es hat alles seinen
Preis, auch bei der Organtransplantation, die ja in Deutschland durch eine
Stiftung koordiniert wird. Die Deutsche Stiftung für Organtransplantation
(DSO), 1984 gegründet, ist seit 2000 bundesweit für Organ-Akquisition und
alle Koordinierungsaufgaben, für den gesamten Organspendeprozess
einschließlich Transport zuständig. Nur für die Verteilung nicht.
Organvermittlungszentrale ist die Stiftung Euro-Transplant (ET) in Leiden,
sie hat das absolute Verteilungsmonopol. Bei ihr wird jeder potenzielle
Organempfänger mit allen seinen Daten für den Abgleich mit den
Spenderorganen auf einer gemeinsamen Warteliste der ET-Mitgliedsländer
geführt, also Deutschland, Beneluxländer, Österreich, Slowenien, Kroatien.
Einen kleinen Einschub möchte ich hier machen: Euro-Transplant hat 1999 ein
Programm aufgelegt für Senioren, nämlich: ,Old for Old', es heißt so, weil
Spender und Empfänger über 65 sein müssen, um daran teilnehmen zu können.
Das war ein Novum, früher hat man die Organe von alten Menschen ja als
,Verschleißteile' definiert.
Die Arbeit von DSO und ET wird von den Krankenkassen finanziert. Der
Spitzenverband der deutschen Krankenkassen (GKV), die deutsche
Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Bundesärztekammer (BÄK) handeln jedes
Jahr aus, was bekommt die DSO an Rückvergütung, als
,Organisationspauschale', wie es offiziell heißt. Sie bekommen für jedes
vermittelte Organ 8.765 Euro, inklusive der Kosten für die
Hirntoddiagnostik. Es müssen ja vor der Organentnahme immer zwei Ärzte,
unabhängig voneinander, den Hirntod diagnostizieren. Einer davon ist in der
Regel von der DSO.
Im Jahr 2010 lagen die Budgets von DSO und Euro-Transplant zusammen bei
rund 47 Millionen Euro, wobei Letztere nur einen kleinen Teil der Summe
erhält, ach, und sie bekommt auch eine Registrierungspauschale für jeden
Spender, der auf die Liste kommt 625 Euro. Für die Berechnung der
Pauschalen für 2011 werden 4.275 transplantierte Organe unterstellt. Das
Gesamtbudget der DSO besteht aus den Komponenten Organisationspauschale,
Aufwandserstattung für Spenderkrankenhäuser sowie der Finanzierung der
Kosten für den Organtransport per Flugzeug - das muss ja die Krankenkasse
des Organempfängers zahlen.
Es ergibt sich also ein Zahlbetrag von 8.765 Euro je transplantiertem
Organ, für das kein eigenständiger Flugtransport durchgeführt wurde. Wenn
ein eigenständiger Flug durchgeführt wurde, erhöht sich der Zahlbetrag auf
15.496 Euro je transplantiertem Organ. Das ist der Stand von 2011.
Die DSO hat in vielen Krankenhäusern Koordinatoren, die sprechen mit den
Angehörigen der Patienten mit Hirntod, um sie zur Einwilligung in die
Organentnahme zu bewegen. Man muss dazu immer bedenken, dass jedes
vermittelte Organ der DSO 8.765 Euro bringt. Im Transplantationsgesetz
steht, dass jedes Krankenhaus verpflichtet ist, hirntote Patienten an die
DSO zu melden. Viele Krankenhäuser entziehen sich dieser Pflicht. Das ist
eine sog. Lex imperfecta, das heißt, es gibt keine Sanktionsmöglichkeit.
Das soll sich auch bei der Novellierung des Transplantationsgesetzes
ändern. In Krankenhäusern mit Intensivstation - es gibt 1.349, die, laut
DSO ,grundsätzlich zugleich Entnahmekrankenhäuser' sind - soll ein eigens
für diesen Zweck zuständiger Transplantationsbeauftragter installiert
werden, der sich - an Stelle des heutigen DSO-Koordinators - an die
Angehörigen wenden soll.
Derzeit gibt es eben die sogenannten Spenderkliniken, die mit der DSO
kooperieren. Sie bekommen für ihre Dienstleistungen Anreize in Form von
Vergütungen. Über ein Modulsystem ergeben sich folgende Pauschalen: Für die
Aufrechterhaltung des Kreislaufs etc. 1.351 Euro. Für eine
Einorganentnahme: 2.226 Euro, also beide Nieren gelten als 1 Organ. Für
Multiorganentnahme: 3.587 Euro. Und hier wird es interessant: Abbruch
während der Intensivstationsphase wegen Ablehnung: 213 Euro. Und dagegen:
Abbruch während der Intensivstationsphase nach Zustimmung: 1.351 Euro. Der
Abbruch im OP: 2.226 Euro. Es fällt auf, die Zustimmung zur Organspende
wird belohnt, mit über 1.000 Euro zusätzlich, gegenüber einer Ablehnung.
Die Transplantationen werden ja, wie alle Krankenhausleistungen, über
Fallpauschalen abgerechnet. Ich habe mir mal Pauschalen für 2011 besorgt.
Da kostet in NRW beispielsweise eine Transplantation von Leber, Herz, Lunge
samt Knochenmark oder Stammzellinfusion und 999 Stunden Beatmung schon mal
bis zu 215.000 Euro, aufgerundet. Eine Lungentransplantation mit Beatmung
140.000 Euro. Oder eine Nierentransplantation mit Komplikationen -
postoperatives Versagen - kostet etwa 25.000 Euro.
Und nun geht es ja weiter. Die Organempfänger benötigen ihr Leben lang
immunsuppressive Medikamente, damit das fremde Organ nicht abgestoßen wird.
Die Transplantationsärzte entscheiden in aller Regel ein für alle Mal, mit
welchen Mitteln der Patient von ihnen entlassen wird, welche er sein ganzes
Leben lang nehmen wird. Sie werden natürlich von den Pharmavertretern der
konkurrierenden Konzerne entsprechend frequentiert. Da wurden schon
genügend staatsanwaltliche Ermittlungen aufgenommen wegen Sonderzahlungen,
wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit.
Es gibt eine Statistik, was der Konsum dieser Mittel kostet, und das liegt
bei 1 Milliarde 600 Millionen im Jahr. Das ist das eigentliche, das riesige
Geschäft, das aus der Transplantationsmedizin gespeist wird. Und da die
immunsuppressiven Mittel starke Nebenwirkungen haben, werden zusätzliche
Medikamente notwendig, oft auch ein weiteres Organ. Ich habe damals
recherchiert und mit einem Marketing-Mann von Novartis gesprochen."
(Zweitgrößter Pharmakonzern der Welt nach der Fusion von Ciba Geigy und
Sandoz. Anm. G.G.) "Der Konzern ist Marktführer immunsuppressiver
Medikamente. Sie hatten damals ein Schulungsprogramm für Ärzte und
Koordinatoren finanziert, in dem sie u. a. auch instruiert wurden, in
welcher Weise man trauernde Angehörige zur Freigabe ihres ,Hirntoten'
bewegt. Er sagte ganz deutlich, das ist für uns marketingtechnisch wichtig,
denn je mehr Organspender zur Verfügung stehen, umso mehr Organempfänger
benötigen unser Mittel ,Sandimmun'. Und der Chef von Novartis, Daniel
Vasella, sagte, dass für Marketing fast doppelt so viel ausgegeben wird wie
für die Forschung. Das spricht für sich selbst."
26 Sep 2011
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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