# taz.de -- Anmerkungen zur Organtransplantation: Ein guter Schnitt | |
> Sachbuchautor Richard Fuchs prangert an, wie nach dem Hirntod mit | |
> Patienten verfahren wird: Ohne Schmerzmittel - und der Vertrag mit der | |
> Krankenkasse erlischt. | |
Bild: Sachbuchautor Richard Fuchs: "Das Hirntodkonzept war dann die Grundlage f… | |
Die an den Tod geknüpfte und versprochene Heilung basiert auf der | |
Einverleibung des Fleisches aus dem Körper eines anderen Menschen und | |
berührt empfindlich das Kannibalismustabu. (Anna Bergmann) | |
Richard Fuchs, Sachbuchautor. 1937 in Siegen/Westfalen geboren u. | |
aufgewachsen. Lebt seit 1957 in Düsseldorf u. war lange Jahre Werbeleiter, | |
dann Artdirektor in einer großen Agentur. 1968 machte er sich selbständig | |
mit eigener Werbeagentur u. einem Verlag für Fachpublikationen. 1986 | |
verkaufte er beides, um sich als Privatier anderen Interessen widmen zu | |
können. Er befasste sich mit neuen Technologien, Nahrung, Biomedizin, | |
Gentechnologie und Organtransplantation, verfasste Stellungnahmen zu | |
Anhörungen im Gesundheitsausschuss d. Dt. Bundestages z. | |
Transplantationsgesetz. 1988 koordinierte er eine Verfassungsbeschwerde | |
gegen d. Transplantationsgesetz. Er schrieb mehrere Bücher, u. a.: "Tod bei | |
Bedarf. Mordsgeschäfte mit Organtransplantationen" (1996), "Life Science. | |
Eine Chronologie von den Anfängen der Eugenik bis zur Humangenetik der | |
Gegenwart" (2008). Sein Vater war Kaufmann, seine Mutter hatte 7 Kinder und | |
war Hausfrau. Er ist verheiratet und hat 2 Kinder, seine Frau ist | |
Journalistin und Sachbuchautorin. | |
In Apotheken, Einkaufszentren, Möbelhäusern und Behörden wird der Kunde mit | |
Werbebroschüren und Organspenderausweisen versorgt und um | |
Spendenbereitschaft gebeten. Wenn etwas nicht stimmt, wird das zuallererst | |
an den Sprachregelungen kenntlich. Sanft und süß klingen die Worte | |
"Spende", "Geschenk", "Körpergabe". Mit der Klaviatur des weihevollen | |
Kitsches und der Rührseligkeit soll der Bürger darauf eingestimmt werden, | |
seine Bürgerpflicht zu tun, bei der Gemeinschaftsaufgabe Organspende". Im | |
Gärtnerjargon, als ginge es um ein liebevolles Umtopfen, wird über Organe | |
wie über Pflanzen gesprochen, Herz, Lunge, Leber, Niere werden explantiert, | |
verpflanzt, eingepflanzt. Organe werden "entnommen". " Organpaten", | |
entlehnt beim "Baumpaten", werden gesucht. Und: "Auch die Kirchen sagen | |
JA!" Nirgendwo wird so oft das Wort Solidarität in Anspruch genommen wie | |
bei der Organspendenwerbung. Altruistisch ist aber nur der Spender selbst. | |
Ist die milde Gabe erst einmal aus ihm herausgeschnitten, beginnt die | |
Wertschöpfungskette. | |
Die mangelnde Spendenbereitschaft des Bürgers lähmt die Kapazität der | |
medizinischen Möglichkeiten. Organmangel war von Beginn an das Hauptproblem | |
der Transplantationsmedizin. Durch eine Novellierung des | |
Transplantationsgesetzes, seit 1997 in Kraft, soll sich das Organaufkommen | |
verbessern. Seit einiger Zeit läuft das parlamentarische Procedere. Am 29. | |
und 30. Juni 2011 fand die zweite Anhörung des Gesundheitsausschusses statt | |
und zeitgleich die Konferenz der Gesundheitsminister von Bund und Ländern. | |
Letztere empfahl zunächst eine "Erklärungslösung". Jeder Bürger soll einmal | |
im Leben seine Entscheidung treffen, die dann amtlich dokumentiert werden | |
soll, zum Beispiel im Führerschein, Personalausweis oder auf dem Chip der | |
Gesundheitskarte. Entscheidet er sich nicht, entscheiden (im Fall einer | |
erweiterten Lösung) die Angehörigen. Derzeit gilt die "erweiterte | |
Zustimmungslösung". Spender müssen zu Lebzeiten schriftlich oder mündlich | |
ihre Einwilligung geben, liegt keine Willenserklärung für oder gegen vor, | |
haben die Verwandten das letzte Wort (rund 90 Prozent aller Organspender | |
werden, mangels Einwilligung zu ihren Lebzeiten, von den Angehörigen | |
freigegeben). Die in Österreich und anderen Ländern praktizierte | |
"Widerspruchslösung", jeder Bürger ist automatisch Organspender, es sei | |
denn, er widerspricht und lässt sich in ein amtliches Widerspruchsregister | |
eintragen, bekam keine Mehrheit. Mitte September fand eine Sitzung des | |
Bundesrates zur Novellierung des Transplantationsgesetzes statt. | |
Dass es bei all diesen Anstrengungen um die "Ausschöpfung des | |
Spendenpotenzials" nicht zuletzt auch um viel Geld geht, wird tunlichst | |
verschwiegen. Richard Fuchs hat sich ausführlich mit der gesamten Thematik | |
beschäftigt. Er empfing mich sehr gastfreundlich in seinem Haus in | |
Düsseldorf. Es war ein sehr schöner Septembertag, wir nahmen im | |
Wintergarten Platz und er berichtete mir all das, was dem zur | |
Spendenerklärung gedrängten Bürger an Informationen vorenthalten wird: | |
"Ich befasse mich seit 14 Jahren mit dem Thema. Mitte der 90er Jahre, als | |
ich an meinem ersten Buch schrieb, habe ich sämtliche Anhörungen im | |
Gesetzgebungsverfahren miterlebt - mit allen Argumenten dafür und dagegen. | |
Mein Buch ,Tod bei Bedarf. Mordsgeschäfte mit Organtransplantationen' | |
erschien dann wenige Monate vor der Verabschiedung des | |
Transplantationsgesetzes und ich bin für meine Kritik von maßgeblichen | |
Herren des Ministeriums angegriffen worden." Er lacht leise. | |
"Was mich an diesem Thema neben den ethischen Fragen natürlich auch | |
interessierte, war der geschäftliche Hintergrund. Als ehemaliger | |
Werbefachmann und Kaufmann habe ich dafür auch einen besonderen Blick. Mir | |
war bald klar, dass sich mit der Transplantationsmedizin, die ja vor der | |
Verabschiedung des Gesetzes in einer rechtlichen Grauzone entstanden ist, | |
eine Menge Geld verdienen lässt. Die Recherche war schwierig, die Aktenlage | |
dürftig, aber es haben sich dennoch eine Menge Fakten ergeben. Eine Leber | |
beispielsweise kostete zu dieser Zeit etwa 250.000 DM. Das Gesetz ist | |
damals unter starker Mitwirkung von Lobbyisten entstanden. | |
Interessant ist, es gab drei Anhörungen im Gesundheitsausschuss und eine | |
Anhörung im Rechtsausschuss. In Letzterem waren viele Staatsrechtler | |
versammelt, die samt und sonders Kritik an dem Gesetz übten. Dergestalt | |
nämlich, dass es weder dem Staat noch der Bundesärztekammer zustehe, sich | |
eine Meinungshoheit darüber anzumaßen, wann der Mensch tot zu sein habe. | |
Sehr stark wurde auch die erweiterte Zustimmungslösung kritisiert - die bis | |
heute gilt -, da es ja nicht angehen kann, dass Dritte, in dem Fall | |
Angehörige, Entscheidungen treffen können. Und zwar, wie es so schön heißt, | |
vor dem Hintergrund des ,mutmaßlichen Willens'. Das ist juristisch ein | |
Unding. Ich darf ja auch kein Testament an Stelle eines Angehörigen machen, | |
seinen mutmaßlichen letzten Willen festlegen. Der allerwichtigste | |
Kritikpunkt war aber der sog. Hirntod." | |
Der kritische Kardiologe und Internist Paolo Bavastro übrigens spricht | |
nicht von Hirntod, er nennt den Begriff eine arglistige Täuschung, weil es | |
sich zwar um einen schwer hirngeschädigten Patienten handelt, der sozusagen | |
ein Sterbender ist, aber noch nicht tot. Er weist darauf hin, dass man das | |
auch jedem medizinischen Lehrbuch entnehmen kann. | |
"Der Hirntod ist ja, etwas überspitzt gesagt, eine Erfindung, oder eine | |
,interessengeleitete Vereinbarung', die 1968 in Harvard getroffen wurde. | |
Nachdem in Südafrika die erste Herzverpflanzung durch Barnard 1967 | |
vorgenommen wurde, gab es schnell Bedarf an einer Regelung die | |
Rechtssicherheit garantierte. Man hat, weil ein Arzt verklagt werden | |
sollte, eine Ad-hoc-Kommission eingesetzt in Harvard, und die beschloss, | |
den Hirntod einzuführen als Todeszeitpunkt. Das Hirntodkonzept war dann die | |
Grundlage für den Export dieser Theorie in all jene Länder, die sich mit | |
Organtransplantation befasst haben. Sie wurde auch von der | |
Bundesärztekammer und letztlich vom Gesetzgeber übernommen. Obgleich ,der | |
Tod vor dem Tod' ein ganz heftiger Kritikpunkt war während des | |
gesetzgebenden Verfahrens. | |
Und es gab dann in der Folge, weil viele Menschen - im Übrigen auch sehr | |
viele Mediziner - das nicht hinnehmen wollten, Bemühungen, eine | |
Verfassungsbeschwerde zu organisieren. Ich habe das damals übernommen, Geld | |
gesammelt usw. Das war 1999. Darüber hinaus gab es anschließend zwei | |
weitere Verfassungsbeschwerden, die leider alle an einem | |
Nichtannahmebeschluss gescheitert sind. Und obwohl das Gericht seine | |
Ablehnungsentscheidung nicht erklären muss, lautete die Begründung, es | |
könne ja jeder vermeiden, Organspender zu werden, wenn er eine | |
entsprechende Widerspruchserklärung in der Tasche trägt. Das war natürlich | |
in keiner Weise hilfreich. | |
Ein sehr prominenter Verfassungsrechtler, Prof. Schachtschneider, der | |
Verfahrensbevollmächtigte, hat dann die Klage an den Europäischen | |
Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg weitergeleitet, wo sie seit 12 | |
Jahren anhängig ist." Er lacht bitter. | |
Der Arzt und Gesundheitswissenschaftler Dr. Wolfgang Wodarg, er ist | |
SPD-Mitglied und war damals Bundestagsabgeordneter, hat während einer | |
Anhörung berichtet, dass er gebeten hatte, einer Explantation beiwohnen zu | |
dürfen. Das hat man aus gutem Grund kategorisch abgelehnt, weil man ihm das | |
nicht zumuten wollte. | |
Der ganze Vorgang scheut das Licht. Es wird überwiegend nachts explantiert. | |
Das alles spricht Bände. Es gab eine Theologin, Ines Odaichi - die | |
inzwischen verstorben ist - sie war potenzielle Organspenderin, wollte aber | |
sicherstellen, dass sie bei der Organentnahme eine Narkose bekommt. Sie hat | |
sich an alle dafür zuständigen Stellen gewendet, am Ende veröffentlichte | |
die Bundesärztekammer eine Erklärung, die besagte: "Nach dem Hirntod gibt | |
es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei | |
Organentnahme keine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (z. B. Narkose) nötig. | |
Also das ist ein Skandal, dass diese Frage so beantwortet wird. Es sind ja | |
noch lebende Patienten, die schwitzen, sich bewegen, ihre Wunden könnten | |
verheilen, Frauen können noch ein Kind austragen, Männer könnten im Prinzip | |
noch ein Kind zeugen. Es sind Lebende bzw. Sterbende, die letztlich durch | |
die Organentnahme - ich sage es mal so schlicht - getötet werden. Die, bis | |
das letzte Organ entnommen ist, beatmet werden. Erst dann sind sie wirklich | |
tot. | |
Allerdings hat Professor Lauchert, der bis Juli 2011 geschäftsführender | |
Arzt der DSO (Deutsche Stiftung Organtransplantation) war und selbst | |
Transplanteur, an Frau Odaichi Folgendes geschrieben: ,Es ist in der Tat | |
nicht zu belegen, dass eine für hirntot erklärte Person tatsächlich über | |
keinerlei Wahrnehmungsvermögen mehr, insbesondere Schmerzempfindlichkeit | |
verfügt.' | |
Das fand ich für einen Vertreter der DSO sehr seriös. Was aber bedeutet | |
das? Wenn man zugeben würde, dass diese hirntoten Menschen nicht | |
empfindungslose Verstorbene, sondern Sterbende, im Zweifel mit | |
Schmerzempfinden sind, dann müsste man sich von der Organtransplantation | |
verabschieden! Deshalb wird einfach eine Lüge aufrecht erhalten. Ohne | |
Hirntoddefinition gäbe es gar keine Transplantationsmedizin. | |
Also im Land der ,ungebremsten Möglichkeiten', in dem ja sozusagen der | |
Hirntod ins Leben gerufen wurde, ist er nach 30 Jahren zwar nicht begraben, | |
aber doch stark relativiert worden. Seit 2008 der Nationale Bioethikrat | |
bekannt gab, dass der Hirntod doch nicht der wirkliche Tod des Menschen zu | |
sein scheint, und 2010 die American Academie of Neurology ihm die | |
naturwissenschaftliche Begründung absprach, haben sich viele | |
wissenschaftliche Stimmen gegen die Hirntoddefinition ausgesprochen. | |
Das hatte aber nur zur Folge, dass man in den USA nun darüber nachdachte, | |
wie man das Problem löst, wie man das Hirntodkonzept umfirmiert, indem man | |
sagt: ,JUSTIFIED KILLING' also ,gerechtfertigtes Töten'. Das stößt | |
natürlich auf ethische und rechtliche Probleme. In den USA ist übrigens, | |
wie auch in einigen europäischen Ländern, die Organentnahme bei Herztoten - | |
den sogenannten Non-heart-beating-donors - erlaubt, wo man dann 2 bis5 | |
Minuten nach Herzstillstand explantiert. Eigentlich nützt nur ein | |
,lebendfrisches Organ' dem Empfänger." Die Sonne steht im Zenit und es wird | |
heiß. Automatisch und fast lautlos gleitet eine weiße Markise im Hause | |
Fuchs übers Glasdach des Wintergartens. | |
"Was ich sagen will, die Diskussion läuft und ist inzwischen auch in | |
Deutschland angekommen. In solchen Fällen ist das Internet ein Glück. Die | |
Betreiber der Transplantationsmedizin haben nicht mehr das alleinige | |
Meinungsmonopol, sie sind konfrontiert mit sehr vielen kritischen Texten | |
und Informationen auf hohem Niveau, mit sorgfältigen wissenschaftlichen | |
Abhandlungen und mit Internetauftritten von Gruppierungen wie zum Beispiel | |
der KAO, einem Verein für kritische Aufklärung über Organtransplantation | |
betroffener Eltern von explantierten Kindern. Man kann sich im Internet | |
also wirklich sehr gründlich informieren. Im Gegensatz zu den Printmedien, | |
bei denen man den Verdacht nicht loswird, dass sie fast ausnahmslos | |
aufseiten der Transplantationsmedizin stehen. Funktionsträger aus Politik, | |
Kirche usw. dürfen offen Lobbyarbeit machen, in scheinbar harmlosen | |
Interviews entsprechende Statements von sich geben. | |
Die PR-Arbeit in den Medien ist nicht nur Meinungsmache, sie hat auch einen | |
geldwerten Vorteil ungeheuren Ausmaßes. Also so eine redaktionelle Seite | |
hat einen sehr viel höheren Werbewert, als wenn sie auf dieser Seite eine | |
Anzeige schalten würden. Glaubhafte Personen, sei es nun aus dem Präsidium | |
des Deutschen Kirchentages oder dem Kulturbetrieb, verbreitet eine | |
scheinbar glaubhafte Botschaft. Unbezahlbar! | |
Also: PR-Büros rechnen gegenüber ihren Auftraggebern am Ende des Jahres die | |
erwirtschafteten Summen aus, indem sie Zeilen zählen und in Werbekosten | |
umrechnen. Die Medien kommen auch nicht zu kurz, wenn sie zum Beispiel | |
Sendezeiten sponsern und dafür vom Ministerium eine Spendenquittung | |
bekommen. | |
Und es gibt diese großen Werbekampagnen, wie die Kampagne des Berliner | |
Herzzentrums ,Pro Organspende', die durch eine lettischen Werbeagentur in | |
Szene gesetzt wurde, die arbeiteten mit sog. Testimonials, also mit Opinion | |
Leadern oder Meinungsbildnern, prominenten Köpfen, mit denen man sich gern | |
identifiziert. Neben vielen anderen ist die Techniker Krankenkasse | |
besonders stark engagiert." (Ihr Chef, selbst Organempfänger - er bekam die | |
Leber eines hirntoten Patienten - hat die Kampagne mit initiiert. Anm. | |
G.G.) | |
"Eine weitere Kampagne: ,Organpaten werden' wurde von der Bundeszentrale | |
für gesundheitliche Aufklärung - die ja auch den Organspendeausweis ausgibt | |
- veranstaltet und durch eine Pharma-Werbeagentur umgesetzt. | |
Das Absurde bei der Werbung für massenhafte Spendenbereitschaft ist, dass | |
sie sozusagen ins Leere läuft, weil so viele Hirntote gar nicht zur | |
Verfügung stehen. Wenn man sich vor Augen führt, dass in Deutschland ja nur | |
Organe von hirntoten Spendern entnommen werden dürfen und dass bei einer | |
jährlichen Sterberate von etwa 900.000 Menschen nur etwa 5.000 als hirntot | |
diagnostiziert werden, dann fragt man sich, was eigentlich intendiert ist?! | |
Von diesen 5.000 kommt noch ein Teil aus medizinischen Gründen gar nicht in | |
Frage. | |
Sobald der Hirntod festgestellt ist, erlischt das Vertragsverhältnis mit | |
der eigenen Krankenkasse. Es gibt dann sozusagen zwei Optionen. Wenn der | |
Totenschein ausgefüllt ist, wird den Patienten, die nicht als Organspender | |
in Frage kommen, die Beatmung abgestellt. Organspender hingegen, die ebenso | |
für tot erklärt wurden, werden weiter beatmet und mit allem versorgt, was | |
für die ,lebendfrische' Organentnahme notwendig ist. | |
Das gilt als Idealfall. Aber fast die Hälfte der Angehörigen von Hirntoten | |
weigert sich, in eine Organentnahme einzuwilligen. Ich glaube, die meisten | |
Leute wissen gar nicht, dass mit Tod der Hirntod gemeint ist. Im | |
Organspendeausweis heißt es, und das ist fett gedruckt: ,Für den Fall, dass | |
nach meinem Tod eine Spende von Organen/Geweben zur Transplantation in | |
Frage kommt'. Also man schreibt nicht, ,nach meinem Hirntod' oder ,nach | |
vorausgegangener Hirntoddiagnose', was seriös wäre. Aber dann würden viele | |
Leute gar nicht mehr unterschreiben. | |
Und zu dem, was hier Gewebe genannt wird, muss ich noch sagen, dass es nach | |
dem seit 2007 gültigen Gewebe-Gesetz nicht vermittlungspflichtig ist, das | |
heißt, es muss keinem Empfänger zugeordnet werden. Es kann dem Spender | |
größtenteils nach dem Tod entnommen werden oder nach der Organentnahme. Da | |
gibt es eine ganze Menge, was man, mal despektierlich gesagt, ,absammeln' | |
kann, Augenhornhaut, Herzklappen, Knochen, Gelenke, Gliedmaßen, auch Hände | |
etwa, die gesamte Haut usw. Knochenmark, Blutstammzellen. Menschliche | |
Gewebe werden zum Teil als Arzneimittel deklariert, unterliegen dem | |
Arzneimittelrecht, sind also ganz offiziell Handelsware, die weltweit | |
vermarktet werden darf. Und das ist wirklich ein gutes Geschäft, besonders | |
auch, wenn man bedenkt, dass alles ja zum Nulltarif gespendet worden ist. | |
Aber noch mal zurück zu den Werbekampagnen. Man fragt sich natürlich, wer | |
diese teuren Kampagnen bezahlt. Es ist so, dass die Bundeszentrale für | |
gesundheitliche Aufklärung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit | |
arbeitet, ich habe da mal angefragt. Für die Organspende hatte die | |
Bundeszentrale einen Werbeetat von ganzen zweieinhalb Millionen Euro, | |
Sponsorengelder natürlich nicht mitgerechnet. Das erfahren Sie nirgendwo. | |
Das Herzzentrum führt wenigstens die großen Konzerne auf, die ihre Kampagne | |
gesponsert haben. | |
Da fließt also viel Geld, von dem nie die Rede ist. Es hat alles seinen | |
Preis, auch bei der Organtransplantation, die ja in Deutschland durch eine | |
Stiftung koordiniert wird. Die Deutsche Stiftung für Organtransplantation | |
(DSO), 1984 gegründet, ist seit 2000 bundesweit für Organ-Akquisition und | |
alle Koordinierungsaufgaben, für den gesamten Organspendeprozess | |
einschließlich Transport zuständig. Nur für die Verteilung nicht. | |
Organvermittlungszentrale ist die Stiftung Euro-Transplant (ET) in Leiden, | |
sie hat das absolute Verteilungsmonopol. Bei ihr wird jeder potenzielle | |
Organempfänger mit allen seinen Daten für den Abgleich mit den | |
Spenderorganen auf einer gemeinsamen Warteliste der ET-Mitgliedsländer | |
geführt, also Deutschland, Beneluxländer, Österreich, Slowenien, Kroatien. | |
Einen kleinen Einschub möchte ich hier machen: Euro-Transplant hat 1999 ein | |
Programm aufgelegt für Senioren, nämlich: ,Old for Old', es heißt so, weil | |
Spender und Empfänger über 65 sein müssen, um daran teilnehmen zu können. | |
Das war ein Novum, früher hat man die Organe von alten Menschen ja als | |
,Verschleißteile' definiert. | |
Die Arbeit von DSO und ET wird von den Krankenkassen finanziert. Der | |
Spitzenverband der deutschen Krankenkassen (GKV), die deutsche | |
Krankenhausgesellschaft (DKG) und die Bundesärztekammer (BÄK) handeln jedes | |
Jahr aus, was bekommt die DSO an Rückvergütung, als | |
,Organisationspauschale', wie es offiziell heißt. Sie bekommen für jedes | |
vermittelte Organ 8.765 Euro, inklusive der Kosten für die | |
Hirntoddiagnostik. Es müssen ja vor der Organentnahme immer zwei Ärzte, | |
unabhängig voneinander, den Hirntod diagnostizieren. Einer davon ist in der | |
Regel von der DSO. | |
Im Jahr 2010 lagen die Budgets von DSO und Euro-Transplant zusammen bei | |
rund 47 Millionen Euro, wobei Letztere nur einen kleinen Teil der Summe | |
erhält, ach, und sie bekommt auch eine Registrierungspauschale für jeden | |
Spender, der auf die Liste kommt 625 Euro. Für die Berechnung der | |
Pauschalen für 2011 werden 4.275 transplantierte Organe unterstellt. Das | |
Gesamtbudget der DSO besteht aus den Komponenten Organisationspauschale, | |
Aufwandserstattung für Spenderkrankenhäuser sowie der Finanzierung der | |
Kosten für den Organtransport per Flugzeug - das muss ja die Krankenkasse | |
des Organempfängers zahlen. | |
Es ergibt sich also ein Zahlbetrag von 8.765 Euro je transplantiertem | |
Organ, für das kein eigenständiger Flugtransport durchgeführt wurde. Wenn | |
ein eigenständiger Flug durchgeführt wurde, erhöht sich der Zahlbetrag auf | |
15.496 Euro je transplantiertem Organ. Das ist der Stand von 2011. | |
Die DSO hat in vielen Krankenhäusern Koordinatoren, die sprechen mit den | |
Angehörigen der Patienten mit Hirntod, um sie zur Einwilligung in die | |
Organentnahme zu bewegen. Man muss dazu immer bedenken, dass jedes | |
vermittelte Organ der DSO 8.765 Euro bringt. Im Transplantationsgesetz | |
steht, dass jedes Krankenhaus verpflichtet ist, hirntote Patienten an die | |
DSO zu melden. Viele Krankenhäuser entziehen sich dieser Pflicht. Das ist | |
eine sog. Lex imperfecta, das heißt, es gibt keine Sanktionsmöglichkeit. | |
Das soll sich auch bei der Novellierung des Transplantationsgesetzes | |
ändern. In Krankenhäusern mit Intensivstation - es gibt 1.349, die, laut | |
DSO ,grundsätzlich zugleich Entnahmekrankenhäuser' sind - soll ein eigens | |
für diesen Zweck zuständiger Transplantationsbeauftragter installiert | |
werden, der sich - an Stelle des heutigen DSO-Koordinators - an die | |
Angehörigen wenden soll. | |
Derzeit gibt es eben die sogenannten Spenderkliniken, die mit der DSO | |
kooperieren. Sie bekommen für ihre Dienstleistungen Anreize in Form von | |
Vergütungen. Über ein Modulsystem ergeben sich folgende Pauschalen: Für die | |
Aufrechterhaltung des Kreislaufs etc. 1.351 Euro. Für eine | |
Einorganentnahme: 2.226 Euro, also beide Nieren gelten als 1 Organ. Für | |
Multiorganentnahme: 3.587 Euro. Und hier wird es interessant: Abbruch | |
während der Intensivstationsphase wegen Ablehnung: 213 Euro. Und dagegen: | |
Abbruch während der Intensivstationsphase nach Zustimmung: 1.351 Euro. Der | |
Abbruch im OP: 2.226 Euro. Es fällt auf, die Zustimmung zur Organspende | |
wird belohnt, mit über 1.000 Euro zusätzlich, gegenüber einer Ablehnung. | |
Die Transplantationen werden ja, wie alle Krankenhausleistungen, über | |
Fallpauschalen abgerechnet. Ich habe mir mal Pauschalen für 2011 besorgt. | |
Da kostet in NRW beispielsweise eine Transplantation von Leber, Herz, Lunge | |
samt Knochenmark oder Stammzellinfusion und 999 Stunden Beatmung schon mal | |
bis zu 215.000 Euro, aufgerundet. Eine Lungentransplantation mit Beatmung | |
140.000 Euro. Oder eine Nierentransplantation mit Komplikationen - | |
postoperatives Versagen - kostet etwa 25.000 Euro. | |
Und nun geht es ja weiter. Die Organempfänger benötigen ihr Leben lang | |
immunsuppressive Medikamente, damit das fremde Organ nicht abgestoßen wird. | |
Die Transplantationsärzte entscheiden in aller Regel ein für alle Mal, mit | |
welchen Mitteln der Patient von ihnen entlassen wird, welche er sein ganzes | |
Leben lang nehmen wird. Sie werden natürlich von den Pharmavertretern der | |
konkurrierenden Konzerne entsprechend frequentiert. Da wurden schon | |
genügend staatsanwaltliche Ermittlungen aufgenommen wegen Sonderzahlungen, | |
wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit. | |
Es gibt eine Statistik, was der Konsum dieser Mittel kostet, und das liegt | |
bei 1 Milliarde 600 Millionen im Jahr. Das ist das eigentliche, das riesige | |
Geschäft, das aus der Transplantationsmedizin gespeist wird. Und da die | |
immunsuppressiven Mittel starke Nebenwirkungen haben, werden zusätzliche | |
Medikamente notwendig, oft auch ein weiteres Organ. Ich habe damals | |
recherchiert und mit einem Marketing-Mann von Novartis gesprochen." | |
(Zweitgrößter Pharmakonzern der Welt nach der Fusion von Ciba Geigy und | |
Sandoz. Anm. G.G.) "Der Konzern ist Marktführer immunsuppressiver | |
Medikamente. Sie hatten damals ein Schulungsprogramm für Ärzte und | |
Koordinatoren finanziert, in dem sie u. a. auch instruiert wurden, in | |
welcher Weise man trauernde Angehörige zur Freigabe ihres ,Hirntoten' | |
bewegt. Er sagte ganz deutlich, das ist für uns marketingtechnisch wichtig, | |
denn je mehr Organspender zur Verfügung stehen, umso mehr Organempfänger | |
benötigen unser Mittel ,Sandimmun'. Und der Chef von Novartis, Daniel | |
Vasella, sagte, dass für Marketing fast doppelt so viel ausgegeben wird wie | |
für die Forschung. Das spricht für sich selbst." | |
26 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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