# taz.de -- Koalitionsprogramm von Stadtaktivisten: Wenn sie sich was wünschen… | |
> Die Protagonisten für die künftige Berliner Landesregierung stehen fest. | |
> Jetzt fehlen nur noch die Inhalte für einen Koalitionsvertrag. Die taz | |
> hat außerparlamentarische Akteure der Stadtpolitik gefragt, was unbedingt | |
> da drinstehen muss | |
Bild: Auch eine wichtige Forderung: Mehr blauer Himmel über Berlin | |
Mehr Radwege: "Im Koalitionsvertrag sollte ganz klar drinstehen, dass | |
Berlin eine fahrradfreundliche Stadt werden will - und zwar sowohl für | |
Alltags- als auch für Freizeitradler. Es reicht nicht, in die Infrastruktur | |
zu investieren. Es muss auch fähige und genug Leute in der Planung geben. | |
In fünf Jahren sollten die zentralen Radrouten wirklich fertig sein - | |
eigentlich sollten sie das ja schon längst. Und auf sämtlichen Hauptstraßen | |
muss es sichere Radspuren geben, die auch Kindern und unsichere Radfahrer | |
problemlos nutzen können." Sarah Stark, Vorsitzende des ADFC Berlin | |
BVG-Tickets für Flüchtlinge: "Berlin setzt künftig konsequent eine | |
menschenwürdige und fortschrittliche Flüchtlingspolitik um. Dazu macht sich | |
die neue Koalition auf Bundesebene für die Abschaffung des | |
verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetz stark. Als Sofortmaßnahme | |
erhalten alle Flüchtlinge in Berlin ein BVG-Sozialticket. In dem | |
Asylbewerberleistungsgesetz sind für Fahrtkosten laut Senat 5,11 Euro im | |
Monat vorgesehen - das reicht gerade mal für zweieinhalb AB-Fahrscheine, | |
viel zu wenig. Daneben erleichtert Berlin Flüchtlingen den Zugang zu | |
Wohnungen, etwa mit angepassten, höheren Mietobergrenzen. Und: Der | |
Abschiebeknast in Grünau wird geschlossen und die geplante Haftanstalt für | |
Asylbewerber am Flughafen BBI bleibt ungebaut." Martina Mauer, | |
Flüchtlingsrat | |
Sozialer Wohnungsbau: "Wir Mieter wünschen uns, dass die rot-grüne | |
Koalition den sozialen Wohnungsbau revitalisiert. Damit meine ich keinen | |
billigen Massenwohnungsbau, keine neuen Hochhäuser, sondern einen aus | |
öffentlichen Geldern geförderten Wohnungsbau, dessen konkrete Form erst | |
noch entwickelt werden muss. Das muss ganz oben auf die Tagesordnung der | |
neuen Regierungskoalition. Mieter haben natürlich noch eine längere | |
Wunschliste: um die immerwährend steigenden Mietpreise zu dämpfen sollten | |
die noch im öffentlichen Besitz befindlichen Wohnungsbestände aus der | |
betriebswirtschaftlichen Orientierung rausgelöst werden, damit | |
mietpreisdämpfend und nicht konkurrenzorientiert agiert werden kann. Noch | |
zwei weitere Bescherungen stehen auf unserer Wunschliste: die | |
Umwandlungsverordnung, die keine Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen | |
erlaubt, und die Zweckentfremdungsverordnung, die das Umwandeln von | |
Wohnraum in Gewerberaum verhindert." Joachim Oellerich, Sprecher der | |
Berliner Mietergemeinschaft. | |
Raumnutzungsstrategie: "Ich würde mich über den klugen und aktiven Umgang | |
mit den städtischen Ressourcen freuen. Insbesondere für das, was Berlin | |
jetzt und zukünftig reizvoll macht: Offenheit, frische und wache Menschen, | |
Kultur, Kunst, Kreativität in allen Lebensbereichen. Und grundsätzlich: | |
Inhalt vor Rendite. Es sollte eine modifizierte Raumnutzungsstrategie für | |
landes- und bezirkseigene Flächen und Gebäude geben. Denkbar ist ein | |
,Raumbeauftragter' - quasi als ,Intelligent Agent' -, der aktiv die | |
zwischen bedarfs- und bürgernahen Vorhaben sowie den Flächenanbietern | |
ausgehandelten Zwischen- und Dauernutzungen möglich macht." Andreas Krüger, | |
Modulor Projekt im Aufbauhaus am Moritzplatz | |
Wahlfreiheit für Studierende: "Auf unserer Wunschliste steht eine | |
Verbesserung des Bachelorstudiums. Wir wünschen uns die Wahlfreiheit | |
zurück, welche die Studierenden vor der Bologna-Reform hatten. Damit wir | |
nicht als Einheitsmob aus dem Bachelorstudium kommen, sollte mindestens ein | |
Drittel unserer Lehrveranstaltungen frei wählbar sein. Dies und eine | |
bessere Ausfinanzierung der Hochschulen und des Bildungssystems im | |
Allgemeinen wären unsere Wünsche an die neue Regierungskoalition. | |
Betrachtet man unsere Wunschliste im einzelnen, so gibt es da viel mehr | |
Details, die dazu gehören: anstelle des elitenfördernden | |
"Deutschlandstipendiums" sollen die Bafög-Sätze erhöht werden. Wir wollen | |
eine Grundfinanzierung statt der Exzellenzinitiative an den Universitäten | |
sehen." Anne Schindler, Hochschulpolitische Referentin im Asta der FU | |
Berlin. | |
Kunstfreundliche Stadt: Mit der "kulturellen Bildung" gibt es Programme die | |
Kunst, Kinder und Jugendliche zusammenbringt. Aber was ist mit alten | |
Menschen? Die 70-Jährigen von heute sind mit den Rolling Stones groß | |
geworden. Das muss von einer Kulturpolitik als Potential erkannt werden. | |
Migrantinnen und Migranten wird der Zugang zu tradierten | |
Kulturinstitutionen nicht leicht gemacht. Diese Kulturinstitutionen müssen | |
die Offenheit ihrer Häuser als Ziel realisieren. Kulturpolitik kann sie | |
dabei fordernd unterstützen." Sabine Weißler war Direktkandidatin der | |
Grünen in Steglitz-Zehlendorf arbeitet als Kulturamtsleiterin in dem | |
Bezirk. | |
Stadtentwicklung fürs Allgemeinwohl: "Jetzt heißt es eindeutig klarmachen: | |
Stadtentwicklung darf nicht weiter vom freien Markt und Taschenrechner | |
bestimmt werden, sondern muss dem Allgemeinwohl dienen. Konkret kann | |
Rot-Grün da beim Spreeufer werden. Statt Privatisierung und Zubetonierung | |
fördert Berlin dort künftig eine modellhafte Entwicklung im Sinne des | |
Bürgerentscheids!" Carsten Joost, Initiative Mediaspree Versenken | |
Gleiche Rechte für alle: "Die neue Koalition sollte sich von einem | |
Integrationsbegriff verabschieden, der zuallererst immer Defizite von | |
Migranten sieht und damit ausgrenzt. Wir brauchen gleiche Rechte für alle, | |
ohne wenn und aber. Dazu gehört das volle Wahlrecht für Migranten, um allen | |
hier Lebenden die Möglichkeit zu geben, sich politisch einzumischen. Hetze | |
á la Sarrazin hat in der Koalition auch nichts zu suchen. Sie muss | |
konsequent gegen Rassismus vorgehen." Garip Bali, Allmende e.V. | |
Pop als Querschnittsaufgabe: "Die Musiknetzwerke fordern die Einrichtung | |
einer Kompetenz- und Organisationsplattform zur strategischen Entwicklung | |
der Berliner Musikwirtschaft. Dieses Instrument soll als Kooperationsformat | |
zwischen Branche und Politik unter inhaltlicher Steuerung der | |
Musiknetzwerke angelegt werden und sich auf die strategischen Aufgaben der | |
Branche fokussieren (Nachwuchsförderung, Professionalisierung und | |
Weiterbildung, Infrastruktursicherung, Vernetzung, Forschung & Entwicklung | |
und internationales Standortmarketing). Darüber hinaus soll Populäre Musik | |
als Querschnittsaufgabe der Kultur-, Wirtschafts- und | |
Stadtentwicklungspolitik in Berlin festgeschrieben werden." Lutz | |
Leichsenring, Sprecher der Berliner Musiknetzwerke (Berlin Music Commission | |
/ Clubcommission Berlin / Label Commission) | |
Besetzungen als Programm: "Unsere Hoffnung und unser Vertrauen in die neue | |
Allianz ist grenzenlos. Da jetzt endlich Berlin verstanden wird, werden | |
bezahlbare Mieten durch Milieuschutz und Mietobergrenzen im | |
Koalitionsvertrag sicherlich festgeschrieben. Die Grünen werden wie in | |
alten Tagen das Recht auf Besetzung von spekulationsbedingtem Leerstand in | |
den Koalitionsvertrag einbringen. Sonst müssen wir da mal ran." Henning | |
Obens, Undogmatische Linke Avanti | |
Geld für Stadtteilmütter: "In Kreuzberg beraten die Stadtteilmütter seit | |
vier Jahren Familien zu Erziehungsfragen, und der Erfolg des Projektes ist | |
längst bewiesen. Trotzdem sind wir immer noch modellfinanziert und zwar in | |
jedem Bezirk anders: In Kreuzberg bezahlt uns das Jugendamt, in Neukölln | |
werden die Stadtteilmütter über den öffentlich geförderten | |
Beschäftigungssektor finanziert. Hier in Kreuzberg bilden wir auch | |
Stadtteilmütter auf dem zweiten Bildungsweg zu Sozialassistentinnen aus. Im | |
Dezember wollen wir mit den ersten 20 ihren Abschluss feiern. Das macht | |
aber nur Sinn, wenn sie auch eine berufliche Perspektive haben und Stellen | |
geschaffen werden. Deshalb wünschen wir uns: Die Stadtteilmütterprojekte | |
sollen endlich regulär durch die Senatsbildungsverwaltung finanziert | |
werden." Ulrike Koch, Koordinatorin des Integrationsprojektes | |
Stadtteilmütter in Kreuzberg | |
Demokratische Energiewende: "Wir brauchen Stadtwerke, die erneuerbar, | |
demokratisch und sozial sind. Nur so kann es voran gehen mit der | |
Energiewende. Das Problem: Die großen Energiekonzerne, wie Vattenfall, | |
denen das Stromnetz in Berlin gehört, sehen nur die Rendite. Deshalb wollen | |
wir, dass das Land Berlin die Energienetze zurückkauft. Da muss die neue | |
Regierung sofort aktiv werden, denn bei der Energieversorgung kann man | |
seinen Vertragspartner nicht so einfach wechseln wie beim Handy. Damit die | |
Politik unsere Forderung ernst nimmt, bereiten wir ein Volksbegehren vor." | |
Stefan Taschner, Initiative BürgerBegehren Klimaschutz | |
Ausbau des Tramnetzes: "In den letzten Jahren gab es nur Stillstand, | |
verkehrspolitisch gesehen. Trotzdem geht es jetzt nicht darum, | |
Mammutprojekte wie die A 100 umzusetzen, im Gegenteil. Das wichtigste | |
Projekt muss der Ausbau des Straßenbahnnetzes sein, der wurde bislang stark | |
vernachlässigt. In fünf Jahren sollte bereits ein deutlicher Sprung in die | |
westlichen Bezirke geschafft sein. Die Anbindung an den Hauptbahnhof muss | |
in Betrieb sein, genauso wie die Strecke zwischen Schöneweide und | |
Adlershof. Und bei den Strecken nach Steglitz muss die Planung begonnen | |
haben." Jens Wieseke, stellvertretender Vorsitzender des Fahrgastverbands | |
Igeb | |
Mutige Schulpolitik: "Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Bereich | |
Schule als schwere Last empfunden wird und deshalb weiter hinten in der | |
Agenda landet. Dabei sind wir gerade in einer spannenden Phase der | |
Schulpolitik, wo vieles gelingen kann und muss. Beim Schnellabi zum | |
Beispiel: Wir wissen inzwischen, dass viele Gymnasiasten überfordert sind | |
und einen hohen gesundheitlichen Preis zahlen. Warum also nicht den Schulen | |
die Möglichkeit geben, freiwillig ein zusätzliches Abijahr anzubieten? Den | |
Mut für solche politischen Entscheidungen bekommt man, wenn man sich mit | |
Freude auf die Schulpolitik einlässt." Günter Peiritsch, Vorsitzender des | |
Landeselternausschuss | |
26 Sep 2011 | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Wahlen in Berlin | |
Nachruf | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf auf Joachim Oellerich: Kompromisslos für Mieter*innen | |
Er galt als Urgestein der Berliner Mietenbewegung. Der langjährige | |
MieterEcho-Chefredakteur Joachim Oellerich ist im Alter von 82 Jahren | |
gestorben. |