# taz.de -- Andreas Speit über seine Arbeit: "Speit, taz, Feind" | |
> Seit 20 Jahren hat Andreas Speit den "rechten Rand" im Blick. Ein | |
> Gespräch über Euthanasie, quietschende Reifen und Smalltalk mit Nazis. | |
Bild: Mann mit langem Atem: taz-Nazi-Experte Andreas Speit | |
taz: Wird man der Rechten irgendwann müde, Andreas Speit? | |
Andreas Speit: Nein, überhaupt nicht. Das gesellschaftspolitische Phänomen | |
bleibt nicht nur bestehen, es differenziert sich immer weiter aus. Das | |
Spektrum reicht von rechten Esoterikern bis zu militanten Neonazis. | |
Ist es nicht zermürbend, immer nur mit Leuten zu tun haben, deren | |
Anschauungen man für gefährlich hält? | |
Die Hoffnung der rechtsextremen Szene ist es doch, dass wir uns an sie | |
gewöhnen. Mit ihren permanenten Aktionen wollen sie den | |
zivilgesellschaftlichen Protest mürbe machen - auch die Medien. Die Chance | |
kontinuierlich in einer Kolumne berichten zu können, ermutigt mich da eher. | |
Ermutigend ist aber vor allem, dass wir über Menschen berichten, die sich | |
vor Ort gegen Rechtextreme wehren, gerade im ländlichen Raum ist das | |
unglaublich bewundernswert. Ich komme selbst vom Land und weiß, wie leicht | |
man sich dort einschüchtern lassen kann. | |
Wie sind Sie zu dem Thema gekommen? | |
Ich habe eine Ausbildung im Behindertenbereich gemacht. Da wurde über | |
Bevölkerungs- und Biopolitik als Herrschaftsinstrument im | |
Nationalsozialismus diskutiert. Das sind Themen, die bis in die Gegenwart | |
reichen. Veröffentlicht habe ich dann zuerst Artikel über den Umgang mit | |
behinderten Menschen und überzeugten NS-Medizinern nach 1945. | |
War es vor 20 Jahren mühsam, Redaktionen für das Thema zu gewinnen? | |
In den großen Medien wurde es eher heruntergekocht oder kaum wahrgenommen. | |
Politische Initiativen haben deswegen eigene Publikationen herausgebracht, | |
wie den "Rechten Rand", der seit über 20 Jahren ehrenamtlich erscheint. Die | |
Redaktion sprach mich an und ich sagte eher verlegen: Gern, aber in der | |
Schule galt ich als Legastheniker und wurde dort auch gern vorgeführt. Die | |
Redaktion schreckte das nicht. | |
Ich stelle mir die Informations-Beschaffung schwierig vor. | |
Ich bin manchmal überrascht, wie wenig Vorstellung es in den Redaktionen | |
darüber gibt, wie diese Arbeit läuft. Es wird einem gerne vorgehalten: | |
"Warum haben Sie nicht angerufen, um die Gegenmeinung einzuholen?" Wir | |
machen das, aber oft wird aufgelegt. Von sich aus bestätigen die Rechten | |
auch selten etwas. Die Szene ist sehr bemüht, interne Debatten und | |
personelle Kontakte nicht groß öffentlich werden zu lassen. Das haben wir | |
bei den Recherchen zu unserem neuen Buch "Mädelsache!" wieder erfahren, wo | |
es darum geht, wie Frauen in der NPD oder in der Gemeinde auftreten, um | |
Macht oder Akzeptanz zu gewinnen. Die Frauen sind sehr verschwiegen. Die | |
gesamte Szene will auf keinen Fall ihre verharmlosende Außendarstellung | |
beschädigen. Das erfordert besondere Recherchewege. | |
Nämlich? | |
Für uns ist entscheidend, bei den geheimen, nicht-öffentlichen | |
Veranstaltungen zu sein, wo sie glauben, unter sich zu sein, und ihr wahres | |
Gesicht zeigen. | |
Was erlebt man dort? | |
Bei Vorträgen erklärt ein NPD-Kader dann beispielsweise: "Liebe Kameraden, | |
wir wissen alle, wie gut die Arbeitsmarktpolitik im Dritten Reich gewesen | |
ist, aber wir wissen auch, so gewinnen wir keine Wahl." Bei Ferienlagern | |
malen Kinder Deutschland in den alten Reichsgrenzen oder sehen | |
antisemitische Hetzfilme aus dem Dritten Reich. | |
Ist es ein Problem, dass Sie sich einen Namen und auch ein Gesicht mit der | |
Berichterstattung gemacht haben? | |
Ja und Nein. Denen ist sehr bewusst, dass ein Angriff auf uns eine größere | |
mediale Resonanz hätte und gerade in Wahlkampfzeiten wollen sie solche | |
Presse nicht. Aber die Szenen sind sehr unterschiedlich. In der NPD sind | |
viele bemüht, sich bürgerlich zu geben, dementsprechend ist der Umgang mit | |
der "Systempresse", andere in der Partei wollen die "Schweine- und | |
Judenpresse" persönlich vertreiben. Wieder andere denken eher: Speit, taz, | |
Feind - wir wissen, was wir zu erwarten haben, und reden. Auf diese | |
Feind-Idee stehen sie - nach dem Motto: Feind auf Augenhöhe. Das hat viel | |
mit ihrem Männlichkeits- und Kampfverständnis zu tun. | |
Wie massiv sind Sie für diese Arbeit bedroht worden? | |
Wenn wir auf rechtsextremen Veranstaltungen auftauchen, erfreut es nicht. | |
Wir mussten schon öfters mit quietschenden Reifen wegfahren. Als wir nach | |
einem Interview gefragt haben, war die Antwort ein definitives Nein und | |
zugleich sah man, wie sie versuchten, Wege abzusperren, um uns zu kriegen. | |
Das ist manchmal wie im Krimi, mit Autos, die von hinten an einen | |
heranfahren. Gern wird auch geschubst, gespuckt oder geschlagen. | |
Sind Sie zu mehreren unterwegs? | |
Über die Arbeitsweisen reden wir aus Sicherheitsgründen nicht so | |
öffentlich. Aber ich spreche nicht ohne Grund immer von "wir". Über | |
Freizeitlager oder Rechtsrockkonzerte können wir berichten, weil wir ein | |
Netzwerk aufgebaut haben. Ohne dessen Unterstützung - und den "Feinschliff" | |
der Redaktion - wäre diese Arbeit kaum zu realisieren. | |
Wie groß ist das öffentliche Interesse heute am Thema? | |
Etwas zynisch gesagt: Nach der Wiedervereinigung wuchs das Interesse mit | |
den ersten Brandanschlägen und Toten 1991. Mit dem Einzug der NPD 2005 in | |
den sächsischen Landtag kam dann ein weiteres Umdenken. Das war auch der | |
Start für die Kolumne in der taz nord. Damals stand der | |
NPD-Fraktionsvorsitzende Holger Apfel im Studio, grüßte alle deutschen | |
Wähler, woraufhin ihm die Moderatorin das Mikrofon wegnahm. In der Folge | |
gab es eine große Diskussion, wie die Medien agieren sollten. Die Idee der | |
Kolumne war: Wir wollen nicht alarmistisch reagieren, sondern | |
nüchtern-sachlich auch über die nicht-spektakulären Ereignisse, das | |
Schleichende informieren. Außerdem wollten wir uns von den Rechten nicht | |
aufoktroyieren lassen, wann wir berichten. | |
Wie ist die Reaktion auf die Kolumne? | |
Viele Menschen suchen daraufhin den Kontakt, weil sie glauben, dass ihre | |
Hinweise sensibel aufgegriffen werden, andere bedanken sich, dass endlich | |
mal berichtet wurde. Oft erleben wir, dass es am Anfang heißt: "Es gibt | |
kein Problem", aber wenn sich dann mal jemand traut und wir das öffentlich | |
machen, beginnt eine Auseinandersetzung. Die Berichterstattung macht die | |
rechte Szene auch nervös, weil sie durchaus Konsequenzen haben kann. Zum | |
Beispiel, wenn wir berichten, dass eine Lehrerin einen Schutzbefohlenen | |
während der Schulzeit in die Naziszene gezogen hat. Andere Medien greifen | |
die Themen auf. Die Kolumne dürfte mit zu meiner Auszeichnung als | |
Lokaljournalist 2007 geführt haben. | |
Ist es eigentlich für Sie ein Problem, wenn Sie einen Rechtsextremen | |
sympathisch finden? | |
Das ist noch nie passiert. Wenn sich jemand für diese Ideologie entschieden | |
hat - und wir reden jetzt von Kadern, nicht von Mitläufern - dann kann es | |
sein, dass er nett daherkommt, aber für mich ist bestimmend: Der hat eine | |
menschenverachtende Weltanschauung verinnerlicht und dafür steht er. Einen | |
Sympathiezuwachs wegen des persönlichen Auftretens konnte man bei den | |
Medien erleben, als Andreas Molau für die NPD agierte. Er unterlief nämlich | |
die Klischeevorstellungen, die trotz aller Berichterstattung vorherrschen: | |
Als Waldorf-Lehrer war sein Habitus, die Kleidung und Sprache, recht nahe | |
an dem soziokulturellen Millieu der Journalisten. Bei einem Marsch mussten | |
wir mal dank der Proteste länger warten, nach und nach fingen Journalisten | |
mit Molau Smalltalk an. Ich habe nichts gesagt. Da kam er auf mich zu und | |
sagte: "Herr Speit, haben Sie denn gar keine Fragen?" Ich sagte: "Nein." | |
Noch ist die NPD eine erlaubte Partei. Gelten für Sie andere Gesetze in der | |
Berichterstattung? | |
Für die NPD selbst gilt die Presse als Feind. Die journalistische | |
Auseinandersetzung ist insofern eine doppelte Herausforderung: Um der | |
journalistischen Sorgfaltspflicht gerecht zu werden, sollte | |
Rechtextremismus wie jedes Thema bearbeitet werden - und kann doch nicht so | |
behandelt werden, gerade bei der Recherche. Und wir müssen uns fragen, wann | |
die Berichterstattung Werbung für sie ist, das ist der andere Spagat. Wenn | |
Kader mit uns doch mal Gespräche führen, dann müssen wir überlegen, wie die | |
Aussagen eingefangen werden können. Und ohne intensive Vorbereitung sollte | |
man nicht ins Gespräch gehen. Bei Rechtsextremen fragen Journalisten gern: | |
"Wie stehen Sie zum Holocaust?", die Antwort kann dann lauten "Bei uns ist | |
das nicht so Thema", dann ist es entscheidend, dass man weiß: "Aber in der | |
Zeitung x wird er geleugnet und die haben Sie im Abo." Sonst wird es PR. | |
30 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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