# taz.de -- Lichtsmog: Berlin verliert die Nacht | |
> Wissenschaftler untersuchen die Folgen übermäßiger Beleuchtung. Sie | |
> vermuten ein erhöhtes Krebsrisiko und Auswirkungen auf den | |
> Hormonhaushalt. | |
Bild: Manchmal ist Beleuchtung so normal, dass ihre Abwesenheit irritiert - wie… | |
Nachts trägt der Potsdamer Platz einen Heiligenschein. Kilometerweit | |
strahlt das Gebäudeensemble - ohne besonderen Grund, allein durch die | |
gewöhnliche Beleuchtung von Hochhäusern und Reklameschriftzügen. Diese | |
Licht-Überflutung verschwendet nicht nur Energie: Sie bedroht die | |
Gesundheit von Mensch und Tier. | |
"Die künstliche Beleuchtung nimmt weltweit um etwa sechs Prozent jährlich | |
zu", sagt der Biologe Franz Hölker vom Leibniz-Institut für | |
Gewässerökologie und Binnenfischerei. Seit zwei Jahren erforscht er im | |
Rahmen des interdisziplinären Projekts "Verlust der Nacht" die Folgen | |
übermäßigen Kunstlichts. Das Projekt ist das erste seiner Art - lange wurde | |
das Problem nicht wahrgenommen geschweige denn untersucht. Dabei halten es | |
die Wissenschaftler für möglich, dass erhöhte Nachthelligkeit den | |
Hormonhaushalt stört und das Krebsrisiko steigert. | |
Schuld an der fortschreitenden Erhellung der Nacht sind Firmen, die ihre | |
Gebäude anleuchten, öffentliche Werbeflächen und wachsende Siedlungen mit | |
ihrer Straßenbeleuchtung. "Wir stellen fest, dass immer mehr Häuser auch im | |
ländlichen Raum angestrahlt werden, etwa historische Bauten", sagt Hölker. | |
"Das ist manchmal ein regelrechter Wettbewerb." | |
In Berlin erhellen 180.000 elektrische Straßenlaternen das Stadtgebiet, | |
hinzu kommen 44.000 gasbetriebene. Wolken verstärken das Licht. Indem sie | |
es reflektieren, können sie seine Wirkung verzehnfachen. "Über Großstädten | |
entstehen regelrechte Lichtglocken", sagt Biologe Hölker. | |
Astronomen ist das Problem schon lange bekannt: Für sie wurde es immer | |
schwieriger, Sterne zu beobachten. Berliner Astronomen zogen schon vor | |
knapp 100 Jahren nach Potsdam um, weil der Himmel dort vergleichsweise klar | |
und deutlich war. "Wer richtig forschen will, geht inzwischen in ganz | |
entlegene Orte, etwa in die Wüste", sagt Monika Staesche. Die | |
wissenschaftliche Leiterin der Wilhelm-Foerster-Sternwarte am Insulaner | |
simuliert in Vorträgen regelmäßig den Himmel über Berlin ohne | |
Nachtbeleuchtung. "Da geht jedes Mal ein erstauntes Raunen durchs | |
Publikum." | |
Staesche sagt, als "Volkssternwarte" sei der Standort am Insulaner noch | |
gut. Einfache und sehr kräftige Sternbilder seien zu sehen - mehr aber auch | |
nicht. "Das Problem der Lichtverschmutzung nimmt leider gewaltig zu." Für | |
den Menschen bedeute das einen Verlust an Erfahrung: "Man hat ja kaum noch | |
einen Bezug zum Himmel." | |
Doch es geht nicht nur um einen kulturellen Verlust. Auch Tiere werden in | |
ihrem Verhalten gestört: Zugvögel können ihre Flugroute verlieren, Insekten | |
werden dezimiert, weil sie von künstlichen Lichtquellen angezogen werden. | |
Der Mensch leidet auch körperlich: "Licht ist ein wichtiger Zeitgeber", | |
erklärt Hölker. Jeder brauche den Wechsel von Hell und Dunkel, um seine | |
innere Uhr einzustellen. "Wenn es dunkel ist, spielt der Körper sein | |
Regenerierungs-Programm ab." Für den Menschen als eigentlich tagaktive Art | |
sei das heutzutage ohnehin schon schwierig - er hält sich überwiegend im | |
Haus auf, wo das Lichtniveau um ein Vielfaches niedriger ist als draußen. | |
Die Folge: "Der Mensch erlebt den Tag-Nacht-Rhythmus nicht mehr so | |
deutlich." | |
Langfristig kann das zu Schlafproblemen führen. Der Hormonhaushalt gerät | |
durcheinander, der Körper schüttet geringere Mengen des Schlafhormons | |
Melatonin aus. Damit kann etwa der Schutz vor Krebs sinken. Studien aus | |
Israel legen nahe, dass in besonders nachthellen Gegenden vermehrt Brust- | |
und Prostatakrebserkrankungen auftreten. In welchem Zusammenhang die | |
Beobachtungen tatsächlich stehen und welche Dunkelheit zum Schlafen ideal | |
ist - das müssen die Forscher noch herausfinden. | |
Richtwerte zu Licht-Emissionen wie bei Lärm oder Feinstaub gibt es bislang | |
kaum. Auch sonst bewegen sich die an dem Projekt beteiligten Astrophysiker, | |
Arbeitsforscher, Mediziner, Stadtplaner, Ökologen und Lichttechniker auf | |
kaum erforschtem Terrain. Dietrich Henckel etwa, Professor am Fachgebiet | |
Stadt- und Regionalökonomie der Technischen Universität (TU), befasst sich | |
mit den ökonomischen Folgen nächtlicher Beleuchtung. Auch dazu hat noch nie | |
jemand geforscht. "Die direkten Kosten zu messen, ist noch simpel", sagt | |
Henckel, "schwieriger wird es bei der Frage, was die externen Effekte | |
ausmachen." Demnächst will er AnwohnerInnen einer Straße zur gefühlten | |
Helligkeit befragen - vor und nach der Umrüstung ihres Straßenzugs. Eine | |
der vorgesehenen Fragen: "Wären Sie bereit, für weniger Licht mehr zu | |
bezahlen, um den Himmel wieder zu sehen?" | |
Das Projekt "Verlust der Nacht" wird vom Bund und vom Senat finanziert. | |
Letzterer dürfte sich vor allem für die wirtschaftlichen Auswirkungen der | |
Straßenbeleuchtung interessieren. Inwieweit zu viel nächtliches Licht die | |
Gesundheit schädigt, ist für die Landesbehörden bisher kaum ein Thema. | |
"Solange es keine Richtwerte gibt, kann die Verwaltung nicht agieren", sagt | |
eine Sprecherin von Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke) auf | |
Nachfrage. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wiederum verweist auf | |
ihr "Lichtkonzept", bei dem Aspekte wie Sicherheit und Atmosphäre eine | |
Rolle spielen. Immerhin wird in dem 77-seitigen Dokument auf das | |
Schutzbedürfnis von Umwelt, Mensch und Tieren hingewiesen. | |
"Chronobiologische und medizinische Aspekte" müssten in die Planung | |
einbezogen werden. | |
Indes: Verbindliche Richtwerte für Firmen gibt es nicht. Allenfalls könnten | |
Grenzwerte für nächtliche Beleuchtung in städtebaulichen Verträgen mit | |
Investoren festgeschrieben werden, sagt die Sprecherin der Senatsverwaltung | |
für Stadtentwicklung, Petra Rohland. Das sei etwa bei der Leuchttafel an | |
der Arena am Ostbahnhof geschehen. Bisweilen gelinge es, mit den Akteuren | |
an einem Standort gemeinsam ein Lichtkonzept zu entwickeln - so am | |
Brandenburger Tor, wo anliegende Gebäude vor allem von innen beleuchtet | |
würden, sagt Rohland. Aber die Verabredung ist freiwillig, und ohnehin | |
stehen dahinter rein ästhetische Aspekte. | |
Das Land gibt derzeit 23 Millionen Euro im Jahr für öffentliche Beleuchtung | |
aus. Mit neuartigen Konzepten, wie sie auch von den Wissenschaftlern um | |
Hölker erforscht werden sollen, könnten diese Kosten sinken. Hölker regt | |
zudem an, über Licht und Dunkel neu nachzudenken: "Wir wollen das Licht | |
nicht ausschalten", sagt er. Man müsse sich aber fragen, zu welchen Zeiten | |
welche Beleuchtung notwendig ist - und wo es um vier Uhr morgens auch mal | |
dunkel bleiben dürfe. | |
Sein Kollege Henckel von der TU geht noch einen Schritt weiter: Dunkelheit | |
könnte wie Lärm und Ruhe zum Wert an sich werden. Er kann sich vorstellen, | |
dass solche Aspekte langfristig in die Wohlstandsmessung einfließen. "Wir | |
müssen auch fragen: Wie wichtig ist uns die Erfahrung der Nacht?" | |
3 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Kristina Pezzei | |
## TAGS | |
Dunkelheit | |
Ornithologie | |
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