# taz.de -- Ehedrama "Tuesday, after Christmas": An Weihnachten zerbricht eine … | |
> Ein Mann, eine Frau, eine jüngere Frau."Tuesday, after Christmas" des | |
> rumänischen Regisseurs Radu Muntean erzählt ein Ehedrama in langen, | |
> markanten Einstellungen. | |
Bild: Verliebt: Paul (Mimi Branescu) und Raluca (Maria Popistusa). | |
"Ich bin sehr verliebt", sagt Paul, ein rumänischer Mann in mittleren | |
Jahren, zu seiner Frau Adriana. Über ihr Gesicht huscht ein Lächeln, denn | |
so einen Satz hört man nicht mehr so oft nach längerer Ehe. | |
Sie fährt mit ihren Verrichtungen in der Küche fort, und erst mit dem | |
nächsten Satz begreift sie, dass Paul nicht von ihr gesprochen hat. Er hat | |
eine andere Frau kennen gelernt, schon vor fünf Monaten. Nun aber, kurz vor | |
Weihnachten, zerbricht mit einem Mal eine Welt. Die Welt, in der Paul und | |
Adriana und ihre Tochter Mara bisher gemeinsam gelebt haben, und zu der | |
Raluca, die jüngere Geliebte von Paul, keinen Zutritt hat. | |
Fünf Monate lang waren die beiden Welten fein säuberlich getrennt, und sie | |
sind es auch noch zu Beginn von Radu Munteans Film "Tuesday, after | |
Christmas". Es hat vielleicht mit Weihnachten zu tun, dass sich dieser | |
Zustand plötzlich nicht mehr halten lässt. Das Fest, an dem in vielen | |
Familien der Schein gewahrt werden muss, wird bei Muntean zum Anlass einer | |
Krise, in der es dann auch vor allem darum geht, für die Angehörigen ein | |
Protokoll noch aufrechtzuerhalten, dessen Grundlage für Adriana und Paul | |
schon zerstört ist. | |
Genau genommen ist es aber ein Zufall, der diese Grundlagen erschüttert. | |
Denn Raluca ist die Zahnärztin von Pauls Tochter, und als er mit Mara zu | |
einem Termin wegen einer Zahnspange geht, kommt Adriana spontan mit – sie | |
lässt sich nicht abwimmeln, denn sie weiß ja nicht, dass es damit in den | |
sterilen Räumen einer Arztpraxis zu einem Drama kommt, das vor allem Raluca | |
sehr mitnimmt, die sich aber nichts anmerken lassen kann. Wir sehen dann | |
eine meisterhaft gespielte und inszenierte Szene, wie es sie mehrfach in | |
"Tuesday, after Christmas" gibt; einen im Kern kathartischen Moment, dessen | |
Nachwirkungen den ganzen Film leise zum Beben bringen. | |
Das Aufeinandertreffen der betroffenen Personen, das Geheimnis der einen | |
und die Ahnungslosigkeit der anderen, das scheint die bisherigen | |
Übereinkünfte unmöglich zu machen. Und so entscheidet sich in den Tagen bis | |
Dienstag nach Weihnachten das Schicksal einer rumänischen Ehe, geschlossen | |
zwischen zwei Menschen, von deren äußerlichen Bedingungen Muntean gerade so | |
viel zeigt, dass wir ein wirtschaftlich relativ sorgenfreies Leben | |
ausnehmen können: Ein Urlaub in Österreich ist geplant, beide Eltern von | |
Mara sind berufstätig, das Mädchen wird zum Fest viele Geschenke bekommen. | |
Die Liebe aber geht eigene Wege. So stellt es jedenfalls Paul dar, den | |
Muntean keineswegs in ein anderes, etwas negativeres Licht stellt als die | |
anderen Protagonisten. Er hat sich in Raluca verliebt und dabei nicht an | |
die Zukunft seiner Ehe gedacht. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. | |
Das eine hat mit dem anderen alles zu tun. Diese Unvereinbarkeit bringt | |
Muntean immer wieder in den markanten, langen Einstellungen seines Films | |
zusammen. | |
## Binnenfilmgeschichte des "long takes" | |
Das rumänische Kino hat dieses klassische Stilmittel des Kinos in den | |
letzten zehn Jahren fast wie neu entdeckt, und mit "Tuesday, after | |
Christmas" lässt sich nun auch zum ersten Mal so etwas wie eine kleine | |
Binnenfilmgeschichte des "long takes" im postkommunistischen Kino Rumäniens | |
ausnehmen (mit Spuren, die hinter 1989 zurückführen, aber das wäre eine | |
eigene Untersuchung). Bei den bisherigen Helden der "neuen Welle" aus | |
Rumänien, bei Cristi Puiu oder Corneliu Porumboiu, ist die lange | |
Einstellung ein Ort der Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft. | |
Bei Muntean sind wir nun schon einen Schritt weiter – die Gesellschaft ist | |
selbstverständlich präsent, alle Protagonisten gehören ihr an. Doch das | |
Drama ist ein privates, in einer anderen Systematik würde man sagen: ein | |
bürgerliches, eines, das in den Räumen der Autonomie spielt, die sich eine | |
Klasse in der westlichen Moderne erkämpft hatte. | |
Diese Räume haben in Rumänien allerdings einen ganz anderen Kontext, und | |
davon erzählt Muntean mit seinem großartigen Film letztendlich: dass ein | |
Land, das vor 20 Jahren um die Freiheit kämpfte, nun dort angekommen ist, | |
wo die bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert auch schon war - bei | |
Ehebruch und Familiendrama. | |
"Tuesday, after Christmas" enthält immer noch genügend Details, um dieses | |
Drama jederzeit historisch situieren zu können, aber auf dem Grund der | |
freiwilligen Selbstbeschränkungen dieses Films liegt eine | |
epochentheoretische Idee: Die Liebe von Paul, die ebenso viel Glück wie | |
Leiden schafft, ist eine Errungenschaft der politischen Freiheit. Das gilt | |
zumindest prinzipiell und in diesem Film auch konkret. Um die Probleme | |
dieser Freiheit kümmert sich die rumänische neue Welle im Kino ohnehin | |
eingehend. | |
"Tuesday, after Christmas". Regie: Radu Muntean. Mit Dragos Bucur, Maria | |
Popistasu, Mirela Oprisor, Mimi Branescu, Victor Rebengiuc, Rumänien 2010, | |
99 Min. | |
6 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Bert Rebhandl | |
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