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# taz.de -- Als Schrankenwärter auf der Kastanienallee: Der Durchlasser
> Auf der Kastanienallee in Prenzlauer Berg wird gebaut. Ein beweglicher
> rot-weißer Kunststoffzaun soll Radfahrer an der Durchfahrt hindern.
> Michael ist der Mann am Zaun.
Bild: Da gab es noch Hoffnung. Die Kastanienallee im vergangenen Sommer
Michael hat es schon tausendmal gemacht. Ach was: tausende Male. Ungefähr
7.500-mal ist er in den vergangenen fünf Wochen zu der Plastikabsperrung
gelaufen. Und tut es immer noch. Der Vorgang ist ziemlich simpel: Michael
öffnet das rot-weiß gestreifte Kunststoffgatter. Einmal links. Einmal
rechts. Er hebt den Arm, nickt dem Straßenbahnfahrer zu und winkt ihn
durch. Blickt die Kastanienallee entlang, ob nicht noch ein Auto kommt.
Dann schließt er das Gatter wieder. Einmal rechts, einmal links. Und wartet
auf die nächste Bahn. 300-mal am Tag. 6.000-mal im Monat.
Weil die belebte Straße in Prenzlauer Berg umgestaltet wird, ist sie seit
dem vergangenen April für den normalen Verkehr gesperrt - sehr zum Verdruss
der vielen RadfahrerInnen. Lange widersetzten sie sich dieser Regelung und
missachteten stur alle Verbotsschilder. Aber seit Ende August verstellen
ihnen wochentags zwei Sperren die Durchfahrt auf der Kastanienallee: Ecke
Oderberger die eine, die andere Ecke Schönhauser. An der Schönhauser steht
Michael und passt auf, dass nur passiert, wer darf: die Tram,
Zulieferfahrzeuge und AnwohnerInnen-Pkws.
"Der Job ist anstrengend", sagt Michael und öffnet den Plastikzaun für eine
Straßenbahn. "Körperlich anstrengend." Gegen drei Uhr morgens steht er auf,
um kurz nach fünf verlässt er das Haus. Um sechs ist er auf der Baustelle
und baut das Gatter auf. Ab Viertel vor sieben regelt er den Verkehr. Mehr
als neun Stunden lang. "Man ist ziemlich fertig am Abend, das ist Fakt."
Trotzdem, Michaels Blick ist wach. Sein Gesicht hat Farbe von der Sonne und
der frischen Luft. Abends um halb acht legt er sich schlafen. "Man darf
sich keine Fehler erlauben", sagt der 52-Jährige. "Schließlich geht es hier
nicht um Gegenstände, sondern um Menschenleben."
An diesem Vormittag lässt sich kein Bagger auf der Straße blicken.
RadfahrerInnen schon: Sie ignorieren weiterhin das Fahrverbot und wechseln
hinter der Absperrung vom Bürgersteig auf die Fahrbahn. "Es kann immer
sein, dass plötzlich ein Baufahrzeug kommt", warnt Michael. "Und der tote
Winkel beim Bagger ist groß." Hinzu kommt, dass jemand, der im
Baustellenbereich verunglückt, keinen Versicherungsschutz hat. Aber für die
meisten Menschen ist das eine rein theoretische Gefahr, wenn gar kein
Bagger fährt. Sie ärgern sie sich nur.
"Wie lange dauert denn dieser Zirkus noch?" Der Mann auf dem Fahrrad ist
sauer und fuchtelt mit dem Arm. Michael, in seiner Warnweste und mit
Rucksack auf den Schultern, bleibt ruhig. "Man hat mir nicht gesagt, wie
lange die Arbeiten noch dauern werden", antwortet er. Der Radfahrer ist
wütend. "Wer soll denn hier geschützt werden?", ruft er. "Das ist doch
totaler Wahnsinn." Dann fährt er weg, auf der Straße. Michael schaut
hinterher. "Das Unverständnis ist sehr verbreitet", sagt er und zieht die
Mundwinkel hoch, als wolle er seinen Ärger weglächeln.
Man brauche ein dickes Fell, um mit solchen Situationen umzugehen, sagt
Michael. Mit den Beschimpfungen, die einem täglich an den Kopf geworfen
werden. Einmal hat einer die Zäune vor lauter Wut einfach umgeschmissen.
"Da muss man sich schon bremsen." Nicht auf wilder Mann machen. Und abends
abschalten.
"Ich zwinge mich bewusst dazu, nicht über die Arbeit zu grübeln", sagt
Michael. "Damit ich mich körperlich und geistig erhole." Ihm helfe es, über
komplett private Dinge nachzudenken. Und die Einstellung, dass man selbst
nicht der Nabel der Welt ist. "Das sind die anderen ja auch nicht." Der
Zaunwärter lächelt.
Er wirkt nicht unzufrieden. Eher wie jemand, der sich mit seinem Job
abgefunden hat, zum Guten. Seit 1994 sorgt Michael, der seinen vollen Namen
nicht in der Zeitung lesen möchte, für Sicherheit. Inzwischen ist er bei
der Berlin-Brandenburger Eisenbahndienste angestellt. Manchmal muss er
Baustellen in U-Bahn-Tunneln absichern oder dafür sorgen, dass Arbeiter,
die vereiste Gleise vom Schnee befreien, nicht vom Zug erwischt werden.
Dass er einmal mitten auf der Kastanienallee eine Art Schranke auf- und
zumachen würde, auf diese Idee wäre er nicht gekommen: "Hätte mir das
jemand prophezeit, ich hätte ihn für verrückt erklärt", sagt der Berliner.
Als der gelernte Baumaschinist Anfang der 90er Jahre seine Stelle bei einer
Baufirma verlor, wurden gerade Sicherungskräfte gesucht. Ein, zwei Jahre
wollte er den Job machen. Inzwischen sind 17 Jahre daraus geworden. Ins
Baugewerbe will er ohnehin nicht mehr zurück. Da ist er zu lange raus. Und
leichter ist die Arbeit für einen Mann in seinem Alter auch nicht geworden.
Dann lieber Baustellen absichern. "Man lernt den Beruf schätzen", sagt
Michael. Die Firma und ihr Name haben sich über die Jahre hinweg zwar
verändert, aber die Kollegen sind dieselben geblieben. Und vor allem ist
der Job eines: krisensicher.
Manchmal ruht Michaels Hand auf dem rotweißen Zaun, wenn er wartet. Auf die
nächste Tram, das nächste Anwohnerauto. Immer wieder schaut er nach links
und rechts und auf die Anzeigetafel der Haltestelle. Nach fünf Wochen weiß
er ungefähr, wer hier wohnt. Auch ein paar Straßenbahnfahrer kennt er schon
vom Sehen.
Der Besitzer des türkischen Obstladens hat ihm einmal einen Kaffee
ausgegeben und ein anderes Mal, da hat ihn der Chef vom Prater-Biergarten
gleich nebenan auf ein Feierabendbier eingeladen. Zusammen mit seinem
Kollegen, der an der Ecke zur Oderberger Straße steht. "Das war schön",
sagt Michael und macht eine kurze Pause. "Der hat gesehen, was das für ein
Knochenjob ist, den wir hier machen." Aber solche Gesten seien eher rar.
Montags bis freitags steht er auf der Kastanienallee. Meist sind seine
Arbeitszeiten nicht so klar geregelt. Auf anderen Baustellen arbeitet er
auch nachts, an Feiertagen, am Wochenende. Aber Michael ist alleinstehend
und flexibel. "Das vereinfacht die Arbeit, klar." Aber groß planen kann
Michael so nicht. Für ein regelmäßiges Hobby hat er keine Zeit. Er macht,
"was man eben so macht, wenn man freihat", und ist froh, wenn er nach der
Arbeit seine Ruhe hat. Noch wach genug ist, um die Nachrichten im Fernsehen
zu schauen. Im Dezember will Michael sich Urlaub nehmen. Ob es klappt, wird
er erst kurz vorher erfahren. Das liegt am Wetter. Wenn es einen
Wintereinbruch gibt, muss er vielleicht Schneeräumarbeiten sichern.
Michael öffnet die Durchfahrt für eine Straßenbahn. Als sie das Nadelöhr
passiert hat, mogeln sich prompt zwei Radfahrer hinterher. Der Mann am Zaun
zuckt mit den Schultern. Nur nicht persönlich nehmen. In fünf Minuten kommt
die nächste Tram.
10 Oct 2011
## AUTOREN
Julia Fiedler
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