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# taz.de -- "Die Liebesfälscher": Die älteste Geschichte der Welt
> Der neue Film von Abbas Kiarostami "Die Liebesfälscher" mit Juliette
> Binoche und William Shimell nimmt Bezug auf Rossellini und fragt: Wann
> sind Gefühle echt?
Bild: Der Autor (Juliette Binoche) und die Kunsthändlerin (William Shimell) si…
Abbas Kiarostamis neuer Film "Die Liebesfälscher" handelt von Kunst. Von
europäischer Kunst und dem europäischen Kunstkino, um genau zu sein. Er
erzählt von der Begegnung zweier Fremder an einem Ort, der im europäischen
Kino romantisch vorbelastet ist: der Toskana. Der Mann (gespielt vom
britischen Opernstar William Shimell) ist Autor und zu Besuch, um sein
neues Buch "Die perfekte Kopie" vorzustellen.
Die Frau (Juliette Binoche) ist Kunsthändlerin und fasziniert von der
These, die das Buch im Untertitel trägt: "Vergessen Sie das Original,
kaufen Sie eine gute Kopie". Am Tag darauf folgt er ihrer Einladung zu
einem Ausflug ins Umland, wo es echte und gefälschte Kunst sowie einige
seltsame lokale Bräuche zu sehen gibt. In Lucignano mischen sie sich unter
frisch getraute Ehepaare, die ein Glücksbaum scharenweise in das Dorf
lockt.
## Das Kippmoment
Das Kippmoment tritt in einem kleinen Café ein, dessen Wirtin die beiden
Gäste irrtümlich ebenfalls für Eheleute hält. Die Frau und der Mann lassen
sich auf das Spiel ein, sie bereit-, er widerwillig, bis sie sich ihre
Rollen so weit angeeignet haben, dass sie es weiterführen, als sie längst
wieder auf der Straße stehen. Plötzlich ist zwischen ihnen eine merkwürdige
Vertrautheit eingekehrt. Sie beginnen über gemeinsame Erinnerungen und alte
Verletzungen zu streiten, doch die Vorwürfe fühlen sich viel zu lebensnah
und detailliert an, als dass zwei Fremde sie so überzeugend improvisieren
könnten. Wer also sind die beiden? Und wie lange kennen sie sich
tatsächlich?
Ein Liebesfilm mit Juliette Binoche vor der Postkarten-Kulisse der Toskana:
Abbas Kiarostamis erster außerhalb des Iran gedrehter Spielfilm klingt
zunächst nach einer europäischen Arthouse-Fantasie par excellence. Doch die
Täuschung liegt im Wesen der Kopie. "Die Liebesfälscher" nimmt Bezug auf
Roberto Rossellinis "Reise in Italien" über die Ehekrise zweier
Italientouristen, wirft darüber aber grundlegende Fragen über das
Rollenverhältnis zwischen Mann und Frau auf. Das Paradigma des Originals,
wie man es aus der klassischen Kunst kennt, dient Kiarostami als Prisma, in
dem bestehende romantische Klischees zur Brechung kommen: stereotype
Selbstbilder, die die Hauptfiguren in endlosen Streitgesprächen von sich
und ihren Erinnerungen entwerfen, und andere Ehepaare, denen sie auf ihrem
Ausflug begegnen.
Die Idee der Originalität berührt die Kernfrage von "Die Liebesfälscher":
Was bedeutet es, echte Gefühle zu empfinden? Und was zeichnet diese
Echtheit aus? Kiarostami höhlt überkommene Vorstellungen allmählich aus.
Die Frage nach der Echtheit der Gefühle wird im Film durch die schiere
Intensität ihres Aus- und Durchlebens verdrängt. Mann und Frau schlüpfen in
Rollen, die ihnen scheinbar zufällig zugeteilt werden, die sie aber
plötzlich sehr überzeugend ausfüllen. Zeigt Kiarostami also schon das Ende
oder nur die virtuose Performance einer gescheiterten Beziehung?
## Ein Stimmungsgeflecht
Schönheit ist in der Kunst ein subjektives Geflecht aus Stimmungen und
Gefühlen, die zunächst nicht an die Originalität des Gegenstands gebunden
sind. Die Überzeugungskraft einer Kopie liegt also in ihrer Erscheinung.
Kunst und Kino ähneln sich insofern, als die Authentizität des Ausdrucks
erst im Vollzug manifest wird, in der Vermittlung zwischenmenschlicher,
kultureller und politischer Situationen.
Kiarostami bringt mit "Die Liebesfälscher" den Begriff der Überzeugung
gleich mehrmals ins Spiel. Seine feinen Nuancen erschließen sich in der
deutschen Sprache nicht unmittelbar, wohingegen das Englische sogar zwei
Wörter kennt: conviction und persuasion. Die conviction unterscheidet sich
von der persuasion darin, dass sie logisch begründet ist und somit immer
auch widerlegt werden kann. Der persuasion ist argumentativ schwer
beizukommen, weil sie leidenschaftlich grundiert ist und damit einen
subjektiven Wert besitzt.
Aus dem Gegensatz der beiden Begriffe bezieht "Die Liebesfälscher" eine
emotionale Sogkraft, die ihn von seiner melodramatischen Folie, Rossellinis
Film, ablöst. Es ist eine der ältesten Geschichten der Welt: Der Mann
verschanzt sich vor den verliebten Avancen der Frau hinter seiner
Rationalität. Sie, die ihre Gefühle als komplexe Gemengelage aus
Intensitäten, Erinnerungen, chemischen Prozessen, Farben und Gerüchen
versteht, fordert seine Sinne mit allen Mitteln zum Spiel heraus.
Vergeblich. Zwar findet Kiarostami im intensiven Dialog von Vernunft und
Leidenschaft zu einem bis in die kleinste Gefühlsregung glaubwürdigen
Ausdruck für die Liebe zweier Menschen. Doch die ist längst zu einer
romantischen Projektion verblasst.
## "Die Liebesfälscher". Regie: Abbas Kiarostami. Mit Juliette Binoche,
William Shimell, Frankreich/Italien/Belgien 2010, 106 Min.
13 Oct 2011
## AUTOREN
Andreas Busche
## TAGS
Filmregisseur
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