# taz.de -- Osteuropäische Arbeiter in Deutschland: Ausgebeutet, dann betrogen | |
> Immer wieder werden bulgarische oder rumänische Arbeiter in Deutschland | |
> um ihren Lohn geprellt. Eine Anlaufstelle in Berlin versucht zu helfen. | |
Bild: "Passiert leider häufig": Arbeiter aus Bulgarien und Rumänien arbeiten … | |
BERLIN taz | Langsam wird es stickig in Bettina Wagners Büro. Acht | |
bulgarische Bauarbeiter im Alter von 25 bis 50 Jahren drängeln sich in dem | |
kleinen Raum, dazu eine Übersetzerin. Die Männer haben seit Anfang Juni in | |
Berlin auf Baustellen gearbeitet. Doch den Lohn dafür haben sie nie | |
gesehen. Auf rund 1.300 Euro wartet jeder von ihnen, für sie eine Menge | |
Geld: Der Mindestlohn liegt in Bulgarien bei 123 Euro monatlich. | |
Gekommen sind die Männer in dem Glauben, in Deutschland warte ein | |
sozialversicherungspflichtiger Job mit regelmäßigem Lohn auf sie. So wurde | |
es ihnen versprochen. Doch die deutschen Papiere, die ihnen ein | |
Subunternehmer aushändigte, konnten sie nicht lesen. So bekamen sie | |
wochenlang nicht mit, dass sie in Deutschland nicht als abgesicherte | |
Beschäftigte, sondern als selbstständige Gewerbetreibende registriert | |
waren. | |
"Es ist ein klassischer Fall von Betrug mit Scheinselbstständigkeit, der | |
hier vorliegt", sagt die 30-Jährige Wagner, "es passiert leider häufig." | |
Wagner und ihre Kollegin sind die einzigen Mitarbeiterinnen des "Berliner | |
Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte". Angesiedelt ist es beim | |
Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), in einem 1970er-Jahre-Bau im Westen | |
Berlins. Es ist bundesweit die bisher einzige Anlaufstelle dieser Art für | |
osteuropäische ArbeitnehmerInnen. | |
Die teilen sich seit dem 1. Mai in zwei Gruppen: Für Polen, Ungarn, | |
Tschechen, Slowaken, Esten, Letten, Litauer und Slowenen gilt seitdem die | |
Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie dürfen sich in Deutschland wie jeder | |
Inländer uneingeschränkt auf Jobs bewerben. Arbeitsgenehmigungen und | |
Vorrangprüfungen für Deutsche gehören der Vergangenheit an. | |
## Die Unwissenheit wird ausgenutzt | |
Anders sieht es für Bulgaren und Rumänen aus: Für sie wird die | |
Arbeitnehmerfreizügigkeit erst ab 2014 gelten. Die beiden Länder sind der | |
EU erst 2007 beigetreten. Und Deutschland wird davon Gebrauch machen, dass | |
es den Arbeitsmarkt nach EU-Bestimmungen bis zu sieben Jahre nach Beitritt | |
abschotten kann. | |
"Die Leute kommen trotzdem. Keiner hat die Dinge zu Ende gedacht", sagt | |
Wagner. Einer der wenigen legalen Wege hierher führt über den Status als | |
Selbstständiger. Man muss dafür in Deutschland ein Gewerbe anmelden, | |
Steuern an den deutschen Fiskus abführen, eine Haftpflicht- und | |
Krankenversicherung abschließen. So schreiben es die Gesetze vor. Jedoch | |
werde "immer wieder die Unwissenheit der Leute ausgenutzt", sagt Wagner. | |
Auch Kostadin Kostadinov war ahnungslos. Der 47-Jährige wollte nach | |
Deutschland, um einen privaten Kredit von 2.000 Euro abzubezahlen. "Ich | |
habe mein Haus renoviert." Wie die anderen seiner Kollegen wurde er in | |
seinem Heimatort, einer kleinen Stadt in Bulgarien, von einem Landsmann | |
angeworben, von Bojan (Name geändert). Bojan war der Subunternehmer. | |
Die Männer gaben ihm jeweils 100 Euro. Er begleitete sie nach Berlin, | |
versprach die Verträge, meldete sie auf seine Wohnung an. Dann ließ er für | |
jeden ein Gewerbe beim Gewerbeamt registrieren, drückte ihnen die deutschen | |
Anmeldungen in die Hand und erzählte, sie seien für 7 Euro Stundenlohn fest | |
angestellt. Danach schickte er sie zu Janko, ebenfalls Bulgare und | |
Subunternehmer. Der vermittelte sie an ein deutsches Bauunternehmen. Die | |
Männer begannen, auf verschiedenen Baustellen in Berlin zu arbeiten. Einen | |
Vertrag oder Geld bekamen sie nie zu sehen. | |
"Die Menschen kommen ohne Informationen und ohne Sprachkenntnisse hierher. | |
Weil der Traum von Deutschland, wo alles gut wird, eben immer noch | |
existiert", erklärt Wagner diese Gutgläubigkeit. Sie hat Fälle, da werden | |
bis zu 50 Menschen auf eine Zweizimmerwohnung samt Gewerbe angemeldet. Wenn | |
dann der Lohn nicht fließt, beginnt ihre Detektivarbeit. 62 Personen habe | |
sie im letzten Monat beraten. | |
## Suche mit Google Streetview | |
"Ich muss beweisen, dass das deutsche Bauunternehmen das Generalunternehmen | |
ist, dann muss es in letzter Konsequenz haften", erklärt Wagner den Männern | |
in ihrem weiß gestrichenen Büro. Was sie nicht sagt: Vorher muss sie sich | |
gegen alle Subunternehmer durchgeklagt haben. Und Bojan und Janko sind | |
mittlerweile abgetaucht. | |
Wagner fragt die Männer, wo die Baustellen lagen, die zucken ratlos mit den | |
Schultern. Schließlich holt einer einen Plan der U-Bahn aus der Tasche. | |
Gemeinsam erinnern sie sich an Namen und Lage der Haltestelle, an der sie | |
immer ausgestiegen sind. | |
Daraufhin ruft Wagner im Internet das Straßenkartenprogramm Google Maps | |
auf. Vier Köpfe beugen sich über den Computerbildschirm, suchen die Gegend | |
um die Haltestelle ab, bulgarische Sätze fliegen hin und her. Google | |
Streetview bringt letztlich Klarheit: Die Männer erkennen anhand der Fotos | |
eine Straße wieder, an der eine der Baustellen war. Es ist ein katholisches | |
Krankenhaus. Das andere Mal bauten sie eine Turnhalle um, dann arbeiteten | |
sie auf einer großen Baustelle am Hackeschen Markt, einer von Berlins | |
Vorzeigeadresse. | |
## Lukratives Modell Scheinselbstständigkeit | |
Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer beim Zentralverband des Deutschen | |
Baugewerbes, kennt diese Fälle. Er spricht von einigen schwarzen Schafen im | |
Baugewerbe, die als Auftraggeber das lukrative Modell der | |
Scheinselbstständigkeit ausnutzten. Zahlen, wie viele Menschen in die Falle | |
tappen und wie viel Gewinn die Menschenhändler machen, gibt es nicht. Nur | |
Tendenzen: "Früher, vor der Arbeitnehmerfreizügigkeit für polnische | |
Staatsbürger, schossen die Gewerbeanmeldungen aus Polen in die Höhe. | |
Jetzt verlagert sich das Phänomen auf Bulgarien und Rumänien", sagt | |
Pakleppa. Während es 2006, ein Jahr vor dem EU-Beitritt Rumäniens, gerade | |
einmal 628 Gewerbeanmeldungen gab, waren es 2007 schon über 6.200, 2009 | |
fast 9.300. Für Bulgarien existieren erst ab 2009 Zahlen: Da gab es 10.848 | |
Anmeldungen, hat das Institut für Mittelstandsforschung Bonn ermittelt. | |
"Natürlich liegt nicht bei allen Gewerbeanmeldungen Missbrauch vor, aber | |
die Zahlen machen uns nachdenklich", sagt Wagner. | |
Sie hat bereits per Einschreiben alle beteiligten Firmen angeschrieben, die | |
Arbeit der Männer dort in Rechnung gestellt. "Die Briefe müssen per | |
Unterschrift bestätigt werden. Passiert das nicht, dann bitte ich die | |
Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu prüfen, ob die Firmen rechtmäßig | |
existieren." | |
Viel Hoffnung, dass die Firmen zahlen, hat sie nicht. Wie soll sie | |
nachweisen, dass die Männer auf den Baustellen gearbeitet haben, nie wurde | |
ein Formular unterschrieben. "Wenn pro Person 500 Euro herauskämen, weil | |
die Firmen jetzt Druck verspüren, wäre ich schon zufrieden. Verschwindet | |
ein Subunternehmen aus der Kette, dann haben wir kaum eine Chance", erklärt | |
sie. | |
Wahrscheinlich wird sie auch diesen Fall irgendwann komplett an die | |
Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) weitergeben. Die beim Zoll angesiedelte | |
Behörde mit derzeit rund 6.300 Mitarbeitern bundesweit ist für die | |
Kontrolle von Schwarzarbeit, illegal beschäftigen AusländerInnen und der | |
Einhaltung einer stetig gestiegenen Anzahl von Branchenmindestlöhnen | |
zuständig. "Die haben viel zu wenig Leute", sagt Wagner. | |
Oppositionsparteien und Gewerkschaften fordern seit geraumer Zeit, die FKS | |
personell um mehrere hundert Mitarbeiter aufzustocken. | |
## Freizügigkeit auch für Bulgarien und Rumänien | |
Und mehr Prävention? Könnten sich deutsche Generalunternehmen nicht dazu | |
verpflichten, die Beschäftigungsverhältnisse bei Subunternehmen stärker zu | |
kontrollieren? Pakleppa winkt ab. Man habe schon viel getan, kooperiere eng | |
mit dem Zoll - und nur im Bau existiere überhaupt die | |
Generalunternehmerhaftung. "Staatliche Kontrollaufgaben zu übernehmen, das | |
führt zu weit und ist kaum zu leisten." | |
Wagner setzt auf einen anderen Weg: "Auch für Rumänen und Bulgaren sollte | |
so schnell wie möglich die Arbeitnehmerfreizügigkeit gelten. Das würde | |
zumindest in einigen Fällen helfen. Die Menschen kämen aus ihrer | |
Abhängigkeit von Mittelsmännern raus." Volker Roßocha, Migrationsexperte | |
des DGB, glaubt jedoch nicht, dass damit viel geholfen wäre: "Dann können | |
sich die Menschen hier zwar frei auf jeden Job bewerben, aber längst nicht | |
alle werden auch einen bekommen. Die Probleme bleiben." Er plädiert dafür, | |
dass Gewerbeanmeldungen zwingend auch in der Muttersprache der | |
Selbstständigen abgefasst sein müssten. "Dann wüssten die Leute zumindest, | |
dass sie keinen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsvertrag | |
unterschrieben haben." Auch brauche es deutlich mehr Kontrollen - und eine | |
zentrale Erfassung der Gewerbeanmeldungen. | |
Wagner bleibt derweil nur, immer wieder auf bulgarischen und rumänischen | |
Webseiten und bei osteuropäischen Gewerkschaften vor Menschenhändlern zu | |
warnen. Noch in diesem Jahr soll ihr Büro wenigstens um eine Person | |
verstärkt werden. "Die kann dann hoffentlich Bulgarisch." Für Kostadinov | |
ist der Traum von Deutschland derweil zu Ende. Er hofft, wenigstens noch | |
einen Teil seines Lohns zu sehen. "Dann gehe ich zurück nach Bulgarien." | |
14 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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