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# taz.de -- "Fac. Dance" - Compilation: Zaudernd zum Spaß
> Die Kompilation "Fac. Dance" zeigt die tanzende Seite des legendären
> britischen Postpunk- und New-Order-Labels Factory Records - gelungen,
> epigonal und ödipal.
Bild: Factory war vom libertären Geist des Punk inspiriert.
Ein radikaldemokratisches Verständnis von Pop gab es bereits vor
Digitalisierung und Internet. "Den Musikern gehört alles, der Firma nichts.
Alle unsere Bands haben immer die Freiheit, 'fuck off!' zu sagen", so hielt
es Tony Wilson, der 2007 gestorbene Gründer des Factory-Labels aus
Manchester.
Zu den Aushängeschildern seiner 1978 gegründeten Firma gehörten Joy
Division, später New Order, noch später die Happy Mondays. Die bekannteste
Factory-Veröffentlichung kennt jeder: "Blue Monday" von New Order.
Factory war vom libertären Geist des Punk inspiriert; als mythische Urszene
von Manchesters Postpunk-Szene gilt ein Sex-Pistols-Konzert im Jahr 1976,
zu dessen wenigen Gästen neben Wilson unter anderen spätere Mitglieder von
Joy Division und Simply-Red-Sänger Mick Hucknall gehörten.
Nachschauen lässt sich die Wilson-Story in der grandiosen Doku-Fiction "24
Hour Party People" von Michael Winterbottom. Darin tauchen auch die
wichtigsten Mitstreiter auf: Wilsons Geschäftspartner Alan Erasmus, der
Factory-Hausproduzent und Klangerfinder Martin Hannett und der geniale
Coverdesigner Peter Saville, der letztes Jahr die Trikots der englischen
Fußballnationalmannschaft neu gestalten durfte.
Der programmatische Titel "24 Hour Party People" stammt von den Happy
Mondays. Die Protagonisten der "Rave-o-lution" und wohl charismatischsten
Stars der Factory-Historie tauchen auf "Fac. Dance - Factory Records 12.
Mixes & Rarities 1980-1987", einer jetzt erschienenen Zusammenstellung von
raren Maxi-Singles und Remixes, allerdings nicht auf. Denn die vom DJ und
Journalisten Bill Brewster kenntnisreich editierte Kompilation blickt auf
die Jahre vor Acid House und Rave.
## Es klingt fast hölzern
In den frühen achtziger Jahren zapften New Wave und Postpunk neue Energien
aus der afroamerikanischen Club- und Discokultur ab. Das Factory-Label mit
seinen Import/Export-Verbindungen nach New York sollte zum europäischen
Meinungsführer dieser produktiven Kontakte werden. Songs und Remixe auf
"Fac. Dance" repräsentieren eine Übergangsphase und den atmosphärischen
Wandel von postindustrieller Depression hin zu einer neuen hedonistischen
Massenkultur.
"Fac. Dance" erinnert daran, wie die globale Explosion der Clubkultur
regional vorbereitet wurde. Schon die Massenkultur der
Northern-Soul-Allnighter hatte dafür in den siebziger Jahren in Englands
Norden den ersten Nährboden gelegt.
Dass sie mit ihren kruden Aneignungen New Yorker Discofunk-Vorbilder den
zarten Beginn von etwas Neuem in den Händen hielten, war Factory-Bands wie
A Certain Ratio oder Quando Quango seinerzeit nicht ganz bewusst. Oft
klingen die Tracks auf "Fac. Dance" seltsam zaudernd und zurückhaltend,
manchmal fast hölzern und unbeholfen. Ist das der Charme der frühen Tage?
Allein die irren Synthieexzesse in "Looking from a Hilltop" von Section 25
oder der maschinelle Funk von A Certain Ratio sind aber ein Staunen wert.
Gleich mit drei Stücken sind 52nd Street vertreten, ein großartiges
Neo-Disco-Projekt aus Manchester, das bis heute völlig zu Unrecht durch den
Retromania-Radar gefallen ist. Nicht nur Connaisseure werden ihre Freude an
dem chamäleonhaften Changieren vieler Künstler haben, die hin und her
gerissen scheinen zwischen jüngster Vergangenheit (Postpunk) und den neuen
technologischen Verheißungen.
## Offener, demokratischer Ansatz
Deren ästhetische und soziale Konsequenzen konnten sie noch nicht so
souverän überschauen wie heutige Produzenten der elektronischen Musik.
Ausprobieren ließen sich die noch suchenden Tracks und Remixes damals in
dem 1982 von Tony Wilson gegründeten, längst legendären Hacienda-Club.
Wilsons offener und demokratischer Ansatz dürfte ein Grund dafür sein, dass
viele der Bands bis heute nur Eingeweihten etwas sagen.
Dass auf "Fac. Dance" auch Epigonales zu hören ist, bleibt da unvermeidbar,
gleichwohl ist es eine mehr als gelungene Zusammenstellung, die uns das
musikalisch hyperaktive Manchester ein bisschen näher bringt. Obwohl das
Spektrum von Mutant Disco (Royal Family & The Poor) über Reggae (X-O-Dus)
bis hin zu Shoegaze avant la lettre (Durutti Column) reicht, hat man das
Gefühl, dass sich viele Künstler ödipal an New Order orientierten.
Selbst da, wo New-Order-Gitarrist Bernard Sumner nicht als Produzent dabei
war, ist doch der typische Sound seiner Band als verstecktes Klangideal am
Werk. Das ist zutiefst sympathisch: die Factory-Künstler jener Phase
kündeten von neuen Erfahrungs- und Möglichkeitsräumen, traten aber nicht
mit dem Habitus derjenigen auf, die Pop neu erfinden.
Nicht zuletzt darin sind die Akteure auf "Fac. Dance" wichtige Vorbereiter
der einige Jahre später popkulturell hegemonialen DJ-Kultur mit ihrem
Verzicht auf den Pathos der Originalität.
20 Oct 2011
## AUTOREN
Aram Lintzel
Aram Lintzel
## TAGS
Manchester
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