# taz.de -- Halbzeit im Prozess um Jacksons Tod: Ich will meine Milch! | |
> Vier Wochen lang hat die Anklage schweres Geschütz gegen Michael Jacksons | |
> früheren Leibarzt aufgefahren. Jetzt kommt die Verteidigung zum Zug. Doch | |
> deren Strategie gibt Rätsel auf. | |
Bild: Mit aufgeregter Stimme hielt Shafer seinem Kollegen 17 "unverzeihliche" F… | |
LOS ANGELES dpa | Michael Jackson sprach schlicht von seiner "Milch", wenn | |
der Sänger zum Einschlafen das starke Narkosemittel Propofol verlangte. Die | |
zwölf Geschworenen, die das letzte Wort über die Umstände und die | |
Schuldigen am Tod des Popstars haben werden, kennen inzwischen jede | |
Eigenschaft des Mittels. | |
Wie schnell es wirkt, wieviel Milligramm zum Tode führen, wie es sachgemäß | |
bei Operationen verwendet wird. Der Gerichtssaal in Los Angeles, wo der | |
Herzspezialist Conrad Murray (58) wegen fahrlässiger Tötung vor dem Richter | |
steht, gleicht zeitweise einem Labor oder Krankenzimmer, mit Tropfständern, | |
Diagrammen und Infusionsbeuteln. | |
Am 25. Juni 2009 war Jackson laut Autopsiebericht an einer Überdosis | |
Propofol im Mix mit Beruhigungsmitteln gestorben. Seit Ende September führt | |
die Anklage scharfes Geschütz auf, um zu beweisen, dass Murray "grob | |
fahrlässig" seinen Tod herbeiführte. Als 33. und voraussichtlich letzter | |
Zeuge ging der Narkose-Experte Steven Shafer am Donnerstag hart mit dem | |
Mediziner ins Gericht. | |
Murray sei "für jeden Tropfen Propofol in (Jacksons) Zimmer" und damit | |
"direkt" für dessen Tod verantwortlich. Als "verrücktes Szenarium" tat der | |
renommierte Anästhesist die Theorie der Verteidigung ab, dass sich Jackson | |
das Mittel möglicherweise selbst spritzte, als sein Arzt nicht im Raum war. | |
Mit aufgeregter Stimme hielt Shafer seinem Kollegen 17 "unverzeihliche" und | |
"ungeheuerliche" Fehler vor, von falscher Wiederbelebung, bis zu dem | |
Umstand, dass Murray nicht sofort den Notarzt rief, als er Jackson leblos | |
in seinem Bett vorfand. Über die massive Medikamentensammlung, die im | |
Körper und im Haus des Sängers gefunden wurde, wetterte der Zeuge: "Wir | |
sind hier in einem pharmakologischen Never Never Land. So etwas wurde | |
meines Wissens nur mit Michael Jackson und sonst mit niemandem gemacht". | |
Während die Vorwürfe auf den Zwei-Meter-Mann Murray niederprasseln und es | |
so wirkt, als würde sich die Schlinge zuziehen, schaut der 58-Jährige meist | |
regungslos in die Gerichtskameras. Der Arzt hatte im Polizeiverhör gesagt, | |
er habe Jackson nur eine kleine, harmlose Menge Propofol gespritzt. Im | |
Falle eines Schuldspruchs drohen ihm bis zu vier Jahre Haft. | |
Rund fünfzehn Zeugen will die Verteidigung in den nächsten Tagen ins Feld | |
führen, darunter einen Narkose-Experten, der einst eng mit Shafer | |
arbeitete. Vor Gericht könnte es zu einem spannenden, medizinischen Duell | |
kommen. | |
Die Strategie der Verteidigung gibt noch Rätsel auf. Vor wenigen Tagen | |
überraschten Murrays Anwälte mit einer radikalen Kehrtwende: Sie räumten | |
ein, dass Jackson durch heimliches Trinken von Propofol nicht sterben | |
konnte. Das hätten neue Studien gezeigt. Das Narkosemittel wird Patienten | |
normalerweise direkt in die Vene geleitet. Sie könnten argumentieren, dass | |
Jackson sich selbst Propofol spritzte oder dass er zu anderen Tabletten | |
griff, die den plötzlichen Tod herbeiführten. | |
## | |
## 33 Zeugen der Anklage | |
Die Verteidigung dürfte es gegen das Aufgebot von 33 Zeugen der Anklage | |
schwer haben. Glaubt man den Aussagen der Rettungssanitäter, Notärzte, | |
Jacksons Hausangestellten und Freundinnen des Arztes, so hat Murray seinen | |
Patienten am Narkosetropf aus den Augen gelassen und telefoniert, dann in | |
heller Panik eine mögliche Wiederbelebung verpatzt, Spuren vertuscht und | |
erst viel zu spät den Notarzt gerufen. | |
Eine Aussage blieb den sieben Männern und fünf Frauen der Jury allerdings | |
erspart. Prince, der älteste Sohn des Sängers, der zusammen mit seiner | |
Schwester Paris das dramatische Ende seines Vater hautnah miterlebte, wurde | |
nicht in den Zeugenstand gerufen. Keines der drei Jackson-Kinder hat bisher | |
den Gerichtssaal betreten. Doch fast jeden Tag sind einige Geschwister und | |
oft die 81-jährige Mutter des Sängers dabei. Katherine Jackson, die ihre | |
Enkel aufzieht, brach mehrmals in Tränen aus. | |
Schon zweimal musste sie sich die verzerrte, stammelnde Stimme des | |
Verstorbenen anhören. Die Anklage spielte eine Unterhaltung vor, die Murray | |
mit seinem medikamentensüchtigen Patienten rund sechs Wochen vor dessen Tod | |
aufgezeichnet hatte. Noch größer war der Schockeffekt, als im abgedunkelten | |
Gerichtssaal ein Foto des Popstars - bleich und leblos auf einer Trage - | |
aufleuchtete. Auch ein Autopsiefoto legte die Anklage vor. Jackson liegt | |
nackt auf einem Tuch, sein Intimbereich ist mit schwarzen Balken | |
unkenntlich gemacht. An seinem dünnen Körper sind Verbände und Kanülen | |
angebracht. | |
War er das Opfer eines gewissenlosen Arztes, der ihn mit Medikamenten | |
vollpumpte, oder war er selbst der "Täter", der heimlich zu seiner "Milch" | |
griff? Ein bis zwei Wochen könnte sich der Prozess noch hinziehen, dann | |
muss die Jury entscheiden. | |
21 Oct 2011 | |
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