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# taz.de -- Schlagloch Polizei und Occupy: Sagen Sie Nein!
> In Zeiten der Occupy-Bewegungen wird die Kluft zwischen Bürgern und
> Polizei immer größer. Ein Brief an eine junge Polizistin, an einen jungen
> Polizisten.
Bild: "Robustes Verhalten" der Polizei in Rom: ein Erfolg?
Was haben Schuldenkrisen, Staatskrisen, Bankenkrisen, die starr neoliberale
Politik der meisten europäischen Regierungen und die neuen "bürgerlichen"
Oppositionsbewegungen mit der Polizei zu tun? Eine ganze Menge.
Es ist abzusehen, dass der Widerstand in der Bevölkerung gegen die Politik
der ungerechten Verteilung der Gewinne und der Lasten zunehmen wird. Und es
ist absehbar, dass die Regierungen gegen ihre unbotmäßigen Bürger immer
mehr die Polizei einsetzen wird. Eine Polizei, die möglicherweise zum
ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges auch in Deutschland um ihr
demokratisches Grundverständnis ringen muss.
Offensichtlich häufen sich Einsätze, die nicht mehr dem Auftrag unseres
Polizeigesetzes unterliegen, nämlich die öffentliche Sicherheit und die
öffentliche Ordnung zu gewährleisten, sondern den Interessen sehr
spezieller politisch-ökonomischer Allianzen dienen.
Und wenn es, wie es in Stuttgart geschehen ist, nicht mehr um die
öffentliche Ordnung, sondern um ein strategisches Kalkül zur Eskalation
geht oder um die Einhaltung von Bauterminen, die mit der Auszahlung von
Subventionen zusammenhängen, wie es wiederum in Stuttgart und im Val di
Susa so überdeutlich war, dann stellt sich für jede PolizistIn die Frage,
inwieweit die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols noch mit
demokratischen Grundsätzen übereinstimmt.
## Politik missbraucht Polizei
Natürlich hat man im Einsatz andere Sorgen. Es ist nicht schwer, sich
vorzustellen, was in einem Menschen vorgeht, der sich als "Bullenschwein"
oder Schlimmeres beschimpfen lassen muss, der körperlich attackiert wird,
der fürchten muss, von Steinwürfen und Flammen verletzt zu werden. Welcher
Druck von oben dabei auf einem lastet, welchen Druck Medien aufgebaut
haben, welcher Druck auf dem Lebensziel jeder jungen Polizistin und jedes
jungen Polizisten lastet. Trotzdem füge ich einen weiteren Druck hinzu, es
geht nicht anders: demokratisches Bewusstsein und menschliches Gewissen.
Vom Verhalten jeder einzelnen PolizistIn bei einem Einsatz gegen
demonstrierende, blockierende, ja auch rebellierende Bürger hängt die
Hoffnung auf eine demokratische, rechtsstaatliche und menschliche
Gesellschaft ab. Und diese Entscheidung spielt sich nicht nur im Kopf einer
Demonstrantin oder eines Demonstranten ab, sondern auch im Bild, das die
Medien verbreiten.
Eine Polizei, die ihr "robustes" Vorgehen als Erfolg ausgibt, produziert
vor allem Menschen, die das Vertrauen zu dieser Institution der
Gesellschaft gründlich verlieren und andere, die mehr an Macht als an
Demokratie glauben. "Leicht", sagt einmal jemand in einem amerikanischen
Film, "leicht ist die Arbeit eines Polizisten nur in einem Polizeistaat."
Die Würde eines Polizisten in einer demokratischen Gesellschaft besteht
darin, dass er sich die Arbeit nicht leicht macht und nicht leicht machen
lassen will.
## Privatarmee verdrängt Polizei
Die Politik einer Regierung, die mehr Interesse für das Funktionieren der
Finanzmärkte als für Leben, Glück und Zukunft der eigenen Bevölkerung
zeigt, endet unabdingbar, hier früher, dort später, bei der Polizei. Und
dies in doppeltem Sinne. Erstens machen Ökonomisierung und Privatisierung
der neoliberalen Politik auch vor dieser Institution nicht halt: Die
Gewinner des Spiels schaffen sich ihre privaten Sicherungskräfte, am Ende
ihre Privatarmeen.
Der verbliebenen "öffentlichen" Polizei bleibt die Aufgabe, die Verlierer
in Schach zu halten. Sollen wir sagen: die Drecksarbeit? Diese Polizei wird
ökonomisiert, auch insofern sie zum Objekt der Sparmaßnahmen wird, was
letztlich bedeutet, Polizistinnen und Polizisten müssen, wie alle anderen
Opfer dieser Politik, mehr arbeiten und erhalten dafür weniger Reallohn. Es
sieht in der wirklichen Polizei nicht so aus wie in den gemütlichen
Revieren unserer TV-Polizisten.
Wir sehen, dass man die Polizei als soziale Institution zugleich
kaputtsparen und ihr Gewaltpotenzial erhöhen will. So muss die Polizei
technisch immer "besser" und sozial immer schlechter werden. Der
Polizeiberuf verliert in einer solchen Situation nicht nur an ökonomischer,
sondern auch an sozialer Attraktivität.
Man wird nicht nur vergleichsweise schlecht bezahlt für eine schwere
Arbeit, zugleich wird auch der Graben, der die Polizei von der Bevölkerung
trennt, immer größer. Wohlgemerkt, wir sprechen nicht von den bösen Buben,
den "gewaltbereiten Chaoten", dem kriminellen Milieu oder den sozialen
Brennpunkten, wir sprechen von einer tiefen Entfremdung zwischen Polizei
und Bürgerinnen und Bürgern.
Die neuen Formen des Protestes, die eben nicht mehr allein von den Rändern
der Gesellschaft kommen, sondern aus ihrer Mitte, verändern die Beziehung
zwischen den Protestierenden, die den öffentlichen Raum besetzen, und den
Polizisten, die sie daraus vertreiben, erheblich. Die Bilder von
Polizeieinsätzen in New York, Athen oder Stuttgart, so unterschiedlich sie
auch sein mögen, prägen sich in eben jener demokratischen Öffentlichkeit
schmerzhaft ein, zu deren Schutz die Polizei eigentlich bestallt ist.
## Bürger misstrauen Polizei
Jene neuen sozialen Bewegungen, denen man ja nicht zufällig die Bezeichnung
"bürgerlich" verpasst hat, zeichneten sich am Beginn durch ein fundamental
gewaltfreies Agieren ihres zivilen Ungehorsams aus. In Stuttgart wie in New
York konnte man beobachten, wie betont harte Polizeieinsätze dazu verwendet
wurden, die Gewaltfreiheit der Demonstranten aufzubrechen.
Am Ende wird eine solche Strategie der Erzeugung von Gewalt, gegen die dann
"legitimiert" vorgegangen werden kann, in einer asymmetrischen Führung
eines Bürgerkriegs von oben stets erfolgreich sein. Es sei denn, Sie, die
jungen Polizistinnen und Polizisten, entwickelten selbst Widerstand gegen
Ihren politischen Missbrauch.
Mein Appell: Wenn Sie "im Eifer des Gefechts" in Versuchung geraten, eine
solche Handlung zu begehen - SAGEN SIE NEIN! Wenn eine Kollegin oder ein
Kollege zu einer unmenschlichen Aktion ansetzt - SAGEN SIE NEIN! Wenn ein
Vorgesetzter sie zu einer unmenschlichen Aktion drängen will -SAGEN SIE
NEIN! Wenn es darum geht, unmenschliche Aktionen zu vertuschen und zu
leugnen - SAGEN SIE NEIN!
Ob die nächste Phase der Entwicklung der Gesellschaft nach und in den durch
die rücksichtlose Ökonomisierung ausgelösten Krisen zu einem In- und
Durcheinander von "bürgerkriegsähnlichen Situationen" oder zu einer neuen
demokratischen Kultur im öffentlichen Raum führen wird, das hängt zu einem
nicht geringen Maße von Ihrem Verhalten ab. Und glauben Sie mir: Es gibt
auch "auf der anderen Seite" genügend Menschen, die wissen, dass hinter den
Helmen und Schilden keine Klonkrieger stecken. Sondern Menschen.
26 Oct 2011
## AUTOREN
Georg Seesslen
## TAGS
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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