# taz.de -- Die Musik der Maria Minerva: Eisprinzessin auf dünnem Eis | |
> Ein Zuckerschock mit langem Nachhall: Das tolle Debüt der estnischen | |
> Produzentin Maria Minerva aus Talinn. | |
Bild: "Erst durch die Nischen im Internet habe ich zu mir selbst gefunden." | |
Außergewöhnlich an Musik ist, sie reicht jenseits der Macht des Wortes. Sie | |
überwältigt mich ohne weiteres. Spiele ich selbst Musik oder höre sie mir | |
an, versetzt sie mich immer wieder in die Lage alles, was ich darüber weiß, | |
zu vergessen." Eine kluge Antwort auf die Frage, ob Maria Minerva von ihrem | |
musikalischen Wissen behindert wird. | |
Offenkundig wird sie das nicht, denn Maria Minerva ist sehr reflektiert, | |
was die Einschätzung ihrer eigenen musikalischen Leistungen angeht. Auch | |
deshalb gehören ihre Songs zu den ganz großen Überraschungen des Jahres | |
2011. Sie haben das, was gute Popmusik auszeichnet: Drive, Eleganz und | |
Geheimnisse. | |
Die 23-Jährige stammt aus der estnischen Hauptstadt Tallinn. Eigentlich | |
heißt sie Maria Juur. Momentan wohnt sie in London. Dort nimmt sie Alben | |
für das kalifornische Label Not Not Fun auf. Trotz der gefühlten | |
Grenzenlosigkeit des Internets ist ihre internationale Karriere | |
erstaunlich. Und noch erstaunlicher ist, dass Minerva erst 2009 mit dem | |
Musikmachen begonnen hat - in der Männerdomäne der elektronischen Tanzmusik | |
-, als sie am Londoner Goldsmith College studierte und Praktikantin des | |
Musikmagazins The Wire war. | |
Vor kurzem ist ihr Debütalbum erschienen. "Cabaret Cixous" setzt ihrer | |
vielversprechenden Maxisingle "Disco Bliss" aus dem Frühjahr in punkto | |
Raffinesse noch mal einen drauf. War "Disco Bliss" eine euphorietrunkene | |
Hymne auf die letztlich utopische Glückseligkeit einer Nacht im Club, so | |
unterstreichen die elf Songs von "Cabaret Cixous", Minervas Fähigkeit, ihr | |
Dasein als einsame Homerecording-Musikerin mit ihrer Weltläufigkeit | |
zusammenzudenken. | |
"Meine Musik drückt beides aus, Verbundenheit mit der Welt und prekäre | |
Isolation", sagt Maria Minerva. Sie gibt damit die Erfahrungen vieler | |
junger osteuropäischer Frauen im 21. Jahrhundert wieder, denen es zuhause | |
zu eng wird, die sich im Ausland neu sortieren, aber dort oft nur belächelt | |
werden. | |
## Faible für Echoschlaufen und tuckernde Beats | |
Man sollte Maria Minerva nie unterschätzen. Der zusammengesetzte Titel | |
ihres Debütalbums zitiert die britischen New Wave-Pioniere Cabaret Voltaire | |
und die französische Feministin Hélène Cixous. Von letzterer übernimmt | |
Maria Minerva ein antiessenzialistisches weibliches Rollenmodell. Von | |
Ersteren ein Faible für Echoschlaufen und tuckernde Beats. | |
Machten Cabaret Voltaire Musik mit analogen Synthesizern, arbeitet Minerva | |
auf ihrem Laptop. Auf YouTube oder MySpace findet sie Sounds, macht von | |
diesen Samples und baut neue Melodien. Ihre Stimme verfremdet sie mit | |
Effekten, bis sie klingt wie eine Mumblecore-Eisprinzessin auf dünnem Eis. | |
Völlig entrückt oder sehr distanziert? | |
Man weiß es nie genau, man versteht nur Fragmente der Texte, aber man lässt | |
sich von der Stimmung ihrer Songs bereitwillig anstecken. Die Songs sind | |
immer downtempo, aber unheimlich kraftvoll. Es klingt als könne die | |
estnische Produzentin bergauf beschleunigen. | |
"Sugar Rush Music", nennt Maria Minerva ihren Sound. Ein Zuckerschock mit | |
langem Nachhall, kein Nachschub für "popularmusikalische" Songcontests. "Ob | |
mich nach 1989 die Konsumkultur befreit hat? Eher nein. Ich habe gemerkt, | |
wie mich Medien und Plattenmultis mit Trash fütterten, ohne mir eine Wahl | |
zu lassen. Erst durch die Nischen im Internet habe ich zu mir selbst | |
gefunden." | |
28 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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