Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Rassismus: "Es wird einem nichts geschenkt"
> Nuran Yigit und Serdar Yazar beraten Diskriminierungsopfer. Sie glauben,
> dass die Sensibilität der Gesellschaft wächst - aber langsam.
Bild: Für viele Türkeistämmige sind die Fragen von Identität und Zugehörig…
taz: Warum darf ich eigentlich als deutschstämmige Deutsche Türkeistämmige
nicht fragen: Wo kommst du her? Unter Deutschtürken ist das oft die erste
Frage, die man sich stellt.
Serdar Yazar: Weil ich als Gefragter vermute, dass die Absicht eine andere
ist. Ein Türkeistämmiger, der einen anderen Türkeistämmigen danach fragt,
tut das eher aus Interesse. Wenn das eine weiße deutsche Person fragt,
impliziert die Frage zwar ebenfalls Interesse an der Herkunft, aber auch
eine Grenzziehung: Du bist - anders als ich - offenbar nicht von hier. Es
ist ja in der Regel auch keine gegenseitige Frage: Die "wahre" Herkunft der
einen Person wird hinterfragt, die der anderen steht nicht zur Debatte. Da
steckt ein Machtgefälle drin.
Ob sie diskriminierend ist, hängt also davon ab, wer fragt?
Nuran Yigit: Auch wenn viele das nicht gern hören: Diese Gesellschaft ist
strukturell rassistisch. Es gibt das Selbstverständnis: Menschen, die schon
länger hier leben, haben mehr zu sagen, und die später Gekommenen, denen
man das auch noch ansieht oder anhört oder am Namen anmerkt, die gehören
nicht wirklich dazu. Die haben auch nicht das Recht, selbst darüber
mitzubestimmen, ob sie dazugehören oder nicht.
Was benutzen Sie in Ihrer Arbeit für Begriffe, um diese Verhältnisse zu
beschreiben?
Yazar: Ich versuche das kontextbezogen zu machen, je nachdem, in welcher
Gruppe ich bin. Ich will ja, dass meine Botschaft verstanden wird.
Natürlich wollen wir auch neue Begriffe in Umlauf bringen. Die Begriffe
Mehrheit und Minderheit etwa sind sehr flexibel. Wenn man sich
demografische Prognosen ansieht, werden heutige Mehrheiten und Minderheiten
irgendwann kippen. Aber wenn in einer Schule oder Klasse eine bestimmte
Gruppe in der Mehrheit ist, kann man dennoch nicht davon sprechen, dass sie
die Macht hat. Im gesamten Schulkontext, in der Lehrerschaft dominiert
immer noch eine andere Gruppe. Macht hat nicht nur mit Mehrheit zu tun,
deshalb rede ich eher von Dominanz. Frauen etwa sind in keiner Gesellschaft
in der Minderheit, und wir wissen, wie es um ihre Macht steht.
Wie würden Sie denn selbst gerne bezeichnet werden?
Yazar: Ich persönlich empfinde jede Bezeichnung, die auf ethnische Herkunft
abzielt, als unangenehm. Geht es um neu eingewanderte Menschen, sind das
natürlich Migranten. Aber auf die späteren Generationen trifft das nicht
zu. In der politischen Diskussion nutzen wir den Begriff türkeistämmig.
Aber "stämmig" hört sich auch blöd an.
Yigit: Im Antidiskriminierungsnetzwerk haben wir noch mal andere
Begrifflichkeiten. Wir beraten ja alle Menschen, die von rassistischer
Diskriminierung betroffen sein können. Dafür benutzen wir den Begriff
"People of Color", der sperrig ist, aber am ehesten auf unsere Zielgruppe
zutrifft. Nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund sind von
Diskriminierung betroffen. Es ist ein Unterschied, ob ich eine weiße
Schwedin oder ein Türkeistämmiger bin. "People of Color" macht klar, dass
es sich um eine rassifizierte Gruppe handelt, deren Mitgliedern aufgrund
ihres Aussehens bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden.
Yazar: Darin steckt auch ein neues Konzept, das sich von den mit
"Migranten" oder "Migrationserfahrung" beschriebenen unterscheidet. Es ist
losgelöst von Zeitpunkt und Ort des Herkommens.
Yigit: Und bietet so die Möglichkeit zur Solidaritätsstiftung. Es geht
nicht mehr darum, wo jemand herkommt, sondern um die Gemeinsamkeiten der
hier Lebenden, die gemeinsamen rassistischen Erfahrungen.
Es ändert sich außer den Begriffen auch das Bewusstsein?
Yigit: Das Bewusstsein ändert sich auch mit den Begriffen. Meine
Elterngeneration hat auch Diskriminierung erlebt und das auch benannt -
untereinander. Aber öffentlich schwiegen sie, weil sie verinnerlicht
hatten, nur Gäste zu sein. Die zweite und dritte Generation haben dieses
Schweigen aufgebrochen, auch aus dem Bewusstsein heraus, dass wir
hierblieben werden, ein Teil dieser Gesellschaft sind.
Hat sich auch Diskriminierung verändert im Laufe der Zeit?
Yazar: Die Bereiche, in denen sie stattfindet, haben sich erweitert.
Diskriminierungserfahrungen gibt es eben mittlerweile auch an der
Hochschule. Oder bei Bewerbungen um Wohnungen in einem Segment, in dem
Menschen mit türkischen Namen früher gar nicht gesucht haben. Der Zugang zu
bestimmten Lebensbereichen wird heute selbstbewusster gesucht und umso
empörter ist oft die Reaktion auf Diskriminierung.
Yigit: Da ist die gläserne Decke, die den sozialen Aufstieg, den die zweite
und dritte Generation anstrebt, stoppt. Das sind neue
Diskriminierungserfahrungen. Aber inzwischen reden Betroffene viel eher
darüber. Und seit 2006 gibt es mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
die Möglichkeit, zu klagen.
Welche Diskriminierungen beschäftigen Sie am meisten?
Yigit: Mehrheitlich solche im Arbeitsbereich. Da bietet das Gesetz auch die
meisten Klagemöglichkeiten. An zweiter Stelle kommt der Punkt Zugang zu
Gütern und Dienstleistungen, worunter etwa Benachteiligungen bei Anmietung
von Wohnraum fallen. Da wollen und können immer mehr Menschen klagen.
Sind Türkeistämmige stärker als andere betroffen?
Yigit: Auf diese Diskussion wollen wir gar nicht eingehen. Natürlich hat
jede rassistisch diskriminierte Gruppe ihre eigene Geschichte, Sinti und
Roma oder auch schwarze Menschen sind noch mal von ganz anderen Problemen
betroffen. Aber wir wollen keine Opferkonkurrenzdiskussion, sondern den
Solidaritätsaspekt betonen. Jede Diskriminierung ist schlimm.
Wie kam es eigentlich bei Ihnen dazu, dass Sie sich beruflich mit diesen
Themen beschäftigen?
Yigit: Ich wollte eigentlich Kinderärztin werden. Aber es hat meine
Biografie beeinflusst, dass auch ich immer dieses "Du gehörst nicht dazu"
gespürt habe. Diese Erfahrung führte dazu, dass ich nun hier arbeite.
Yazar: Ich bin über Umwege hineingerutscht. Ich habe mich lange nicht als
diskriminiert empfunden, da bin ich Spätzünder. Man nimmt vieles als
selbstverständlich hin, wenn man als Türkeistämmiger hier aufwächst. Als
Teenie wurde mir bewusst, dass ich ganz falsche Vorstellungen davon hatte,
wo ich lebe. Man erlebt Ausgrenzung ganz deutlich, wenn man als
Jugendlicher wegen der ethnischen Herkunft nicht in bestimmte Discos kommt.
Und seit ich in Schulen berate, ist mir noch mal bewusst geworden, was ich
selbst als Schüler erlebt habe. Das hatte ich offenbar 20 Jahre lang
verdrängt.
Zum Beispiel?
Yazar: Verhalten, das bei anderen als pubertär galt, wurde bei mir mit
meiner türkischen Herkunft in Verbindung gebracht. Oder es wurde mir, wenn
ich in Diskussionen Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen geübt habe,
empfohlen, in die Türkei zurückzukehren. Da wurde mit zweierlei Maß
gemessen. Ich durfte nicht so kritisch sein wie die anderen.
Wie kommen wir jetzt zu einem besseren gesellschaftlichen Bewusstsein auf
allen Seiten?
Yigit: Es muss noch viel passieren: Betroffene von Diskriminierung müssen
noch selbstbewusster ihr Recht auf Gleichbehandlung einfordern. Es wird
einem ja nichts geschenkt. In den Köpfen muss die rassistische Einteilung
in "wir" und "die Anderen" aufgebrochen werden. Deutschsein ist nicht
statisch, sondern in ständiger Veränderung. Der Widerstand ist noch groß,
aber vielleicht sind wir ja in den vergangenen 50 Jahren etwas
weitergekommen.
28 Oct 2011
## AUTOREN
Alke Wierth
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.