# taz.de -- Familienbericht zu Zeitknappheit: Rentner sollen ihre Zeit stiften | |
> Im aktuellen Familienbericht fordern ExpertInnen eine aktive Zeitpolitik, | |
> etwa gleitende Arbeitszeiten. Auch Kitas müssten flexibler öffnen. | |
Bild: Sollen jetzt auch noch die Kinder hüten, statt sich zu entspannen. | |
BERLIN taz | Wer Kinder hat, kann von der allmorgendlichen Rushhour | |
zwischen Aufstehen und Aufbruch ein Lied singen. Und wer voll berufstätig | |
ist, kann diesem Lied eine weitere Strophe hinzufügen, die lautet: zu wenig | |
Zeit für die Kinder. | |
Der Achte Familienbericht, den das Familienministerium bei einer | |
Sachverständigenkommission unter Leitung des Arbeitsrechtlers Gregor | |
Thüsing in Auftrag gegeben hat, nimmt diese Problematik unter dem Titel | |
"Zeit für Familie" in den Blick. Mehr als 40 Prozent der Eltern | |
minderjähriger Kinder leiden demnach oft oder immer unter Zeitdruck. | |
Familienministerin Kristina Schröder (CDU) betonte am Freitag bei der | |
Übergabe des Werks, dass nach Jahren, in denen es in der Familienpolitik um | |
Geld und Infrastruktur gegangen sei, nun die Zeitpolitik als weiteres | |
Element des Dreiklangs ins Zentrum rücke. Dabei gehe es um mehr | |
vollzeitnahe Teilzeitarbeit für beide Eltern, um die bessere Abstimmung von | |
Arbeits-, Kita- und Ferienzeiten sowie um Umverteilung von Zeit zwischen | |
Geschlechtern und Generationen. | |
"Die Arbeitswelt hat nicht mit der gesellschaftlichen Entwicklung Schritt | |
gehalten", konstatierte Schröder. Man müsse nicht mehr fragen, wie man | |
Familie mit der Arbeitswelt vereinbaren könne. Es gelte umgekehrt, dass die | |
Arbeitswelt sich auf die Familienverantwortung der Mitarbeitenden | |
einstellen müsse. | |
## "Win-win-Situation" | |
An diesen starken Worten gemessen, fielen die Vorschläge der Kommission | |
etwas mager aus: Arbeitnehmer sollten mehr Einfluss auf ihre Arbeitszeiten | |
bekommen, schlug Thüsing vor. Oft gehe es eher um die Flexibilisierung der | |
Arbeit als um das Volumen. Zum Beispiel könne Gleitzeit den Druck aus den | |
Aufbruchs- und Heimkehrzeiten nehmen. | |
Die Abstimmung der verschiedenen Zeittakte von Betreuungsstätten, Schulen | |
und Arbeit wurde als Aufgabe an die Kommunen und die kommunalen Bündnisse | |
für Arbeit delegiert. Zur Umverteilung der (Familien)arbeitszeit zwischen | |
den Geschlechtern ist der Kommission außer einem Appell nichts eingefallen. | |
Hier hätte man etwa an eine Ausweitung der Vätermonate beim Elterngeld | |
denken können. Aber bei der Umverteilung von Zeit zwischen Generationen sah | |
Thüsing sogar eine "Win-win-Situation": Der Zeitknappheit der Familien | |
stehe ein Überfluss an Zeit der Rentner gegenüber. Diese sollten sich in | |
Mehrgenerationenhäusern oder in Kitas freiwillig engagieren, dafür könnten | |
auch die Vorgaben des Bundesfreiwilligendienstes für sie angepasst werden. | |
Das Überwiegen von Appellen und Anregungen vor tatkräftigen politischen | |
Änderungen bemängelten denn auch SPD und Gewerkschaftsbund. Caren Marks, | |
familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, zeigte sich | |
enttäuscht. Bislang gebe es beispielsweise kein Rückkehrrecht auf eine | |
Vollzeitstelle, wenn Eltern wegen der Kinder eine Weile in Teilzeit | |
gearbeitet hätten. Dieses Recht möchte auch der DGB. | |
Zeitsouveränität hätten Eltern auch erst dann, wenn sie einen | |
Rechtsanspruch auf einen Ganztagskitaplatz hätten, damit etwa | |
Halbtagskräfte nicht nach der Arbeit mit Kindern und Haushalt doppelt | |
belastet seien. Im Gegenteil, der Städtetag hat darauf hingewiesen, dass | |
der aktuell geplante individuelle Rechtsanspruch an der Knappheit des | |
Angebots scheitern und zu Schadenersatzprozessen führen könnte. | |
28 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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