# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Wahnsinn im Stadion | |
> Nur wenn es in den Kurven richtig raucht, ist das öffentliche Entsetzen | |
> groß. Dabei ist es nie friedlich beim Fußball. Verbal wird gegen alle | |
> Regeln verstoßen. | |
Bild: Leicht entflammbar: Wenn das Fernsehen brennende Bengalos im Fanblock zei… | |
Stolz streicht der kleine Oliver noch einmal sein neues Trikot glatt. Er | |
hat das mindestens schon 30 Mal gemacht, seit er es vor drei Stunden | |
angezogen hat. Das Hemd mit dem Namen seines Lieblingsstürmers auf dem | |
Rücken darf heute mit Oliver ins Stadion. Wochenlang hat Oliver an seine | |
Mutter hingebettelt. Heute ist es so weit. | |
Jetzt sitzen sie zusammen in der Straßenbahn auf dem Weg zum Stadion. | |
Oliver wundert sich. "Deutschland sieht doch anders aus", sagt er und zeigt | |
auf den Ich-bin-stolz-ein-Deutscher-zu-sein-Aufnäher auf der Kutte eines | |
Fans seines Lieblingsklubs. "Weißt du Oliver..." Seine Mutter will gerade | |
anfangen zu erklären, was es mit dem Aufnäher auf sich hat, und sagen, dass | |
der eigentlich nicht in Ordnung ist, da fängt der stolze Fan zusammen mit | |
anderen zu grölen an. | |
"Tod und Hass", wünschen sie den Gegnern ihres Klubs an diesem Spieltag. | |
Jetzt steigen Oliver und seine Mutter aus. An der Haltestelle wundert sich | |
der Kleine über behelmte männliche und weibliche Wesen in grünen oder | |
blauen Raumanzügen mit Schild und Schlagstock in den Händen, die | |
gefährlicher aussehen als die Wesen in der Playstation seines Freundes. | |
Seine Mutter zieht ihn schnell daran vorbei. "Die sind nicht wegen uns da", | |
sagt sie und ist froh, dass die Sitzplätze, die sie im Familienblock des | |
Stadions gekauft hat nicht allzu nah an der Fankurve sind. | |
"Der Fußball ist immer eine Sache für die Familie gewesen", hat | |
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich am Samstag in der Sportschau | |
gesagt und will den Fußball fürderhin vor Chaoten und solchen, "die meinen, | |
sie müssten ihre pyrotechnischen Spielchen betreiben" schützen. Es war sein | |
verbaler Beitrag den Geschehnissen dieser Woche der Gewalt im deutschen | |
Fußball, von der so viele so wahnsinnig entsetzt waren. | |
## Wenns es brennt, ist die Empörung groß | |
Wenn es brennt, wenn geschlägert wird, wenn sich jemand ernsthaft verletzt, | |
dass ist die Empörung groß. Die Polizei fordert hartes Durchgreifen. Fans | |
sollen ausgesperrt werden. Der Ruf nach der harten Hand einer Obrigkeit ist | |
ganz laut geworden in dieser Woche, weil es geraucht hat, weil Leute, weil | |
Polizisten geblutet haben. | |
Der allwochenendliche Wahnsinn in und vor den Stadien und Kurven ist den | |
selbst ernannten Chaotenjägern indes egal, wenn es nicht brennt, wenn es | |
nicht blutet. Kriegsgeschrei, dümmliche Deutschtümelei, | |
Schwulenfeindlichkeit und Antisemitismus in den männerdominierten Fanszenen | |
müssen Väter und Mütter, die ihre Kinder an den Fußball heranführen, | |
erklären, ohne dass ihnen dabei geholfen wird. | |
Nur manchmal empören sich die politischen und fußballerischen Führer dieses | |
Land über verbale Gewalt im Stadion und hinterlassen dabei nicht selten | |
noch mehr als Ratlosigkeit bei den Faneltern. Ein Transparent mit der | |
Aufschrift "Bomben auf Dynamo!" von Fans des Zweitligisten Eintracht | |
Frankfurt, das diese beim Auswärtsspiel in Dresden gezeigt hatten, wurde | |
allenthalben als geschmacklos und als Entgleisung bezeichnet. | |
Zur Reaktion von Dresdner Fans auf das Plakat gibt es keine derartigen | |
Stellungnahmen. Einige von ihnen reagierten mit den Sprechchor "Eintracht | |
Frankfurt - Jude, Jude, Jude!" und zeigten den Hitlergruß. | |
Die Mama, die das im Stadion erklären muss, hat es nicht leicht. "Weißt du, | |
Oliver..." | |
30 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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