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# taz.de -- Streit um jugoslawischen Autor: Alle wollen Ivo
> Ivo Andric machte die Brücke von Visegrad mit einem Roman berühmt und
> bekam vor 50 Jahren den Literaturnobelpreis. Heute zerren Kroaten,
> Bosnier und Serben an ihm.
Bild: Die im 16. Jahrhundert von Mehmet Pasa Sokolovic erbaute Brücke über di…
Es gibt dieses Bild von Ivo Andric, wie er vor der Brücke in Visegrad
steht. Andric trägt seine Brille mit den schwarzen dicken Rändern und den
Mantel wie immer zugeknöpft. Er blickt ernst. Jeder Jugoslawe kannte das
Foto.
Andric, der berühmte Schriftsteller, und seine Brücke. Sein Roman "Die
Brücke über die Drina" machte sie zum Symbol für "Brüderlichkeit und
Einheit", das Motto, unter dem Titos Sozialismus die Völker Jugoslawiens
verbinden wollte. 1961 wurde Andric für das Buch mit dem
Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Als einziger Jugoslawe.
Jetzt, da es fünfzig Jahre her ist, dass er den Preis verliehen bekam, ist
das Bild wieder aktuell. Denn es gibt Streit um Ivo Andric und sein Erbe.
Ein Streit, der viel erzählt über den Zustand der Staaten, die alle einmal
Jugoslawien waren. Der Streit klingt wie eine Lappalie. Es geht um ein
Buch. Aber eben nicht nur, dahinter bricht die ganze Welt der
nationalistischen Vorurteile und Feindschaften wieder auf. Als bräuchten
die jungen Staaten den Nobelpreisträger, um sich ihrer Eigenständigkeit zu
vergewissern - oder den Beweis dafür, dass die anderen immer schon die
Bösen waren.
Zwanzig Jahre nach dem Zerfall der sozialistischen Föderation Jugoslawien
hätte jede der ehemaligen Teilrepubliken Bosnien, Serbien und Kroatien Ivo
Andric gern für sich. Die einen beanspruchen ihn als serbischen
Schriftsteller, die anderen als Kroaten, wieder andere würden ihn am
liebsten verbieten.
Die Brücke über die Drina im ostbosnischen Visegrad steht in einer Region,
die jahrhundertelang umkämpft war und bis heute nicht zur Ruhe kommt. Hier
traf Westrom auf Ostrom, der Okzident auf den Orient, die Osmanen auf die
Habsburger, die Katholiken auf die Orthodoxen, die Serben auf die Muslime.
Die schlichte Steinbrücke wurde 2007 von der Unesco zum Weltkulturerbe
ernannt. Noch in diesem Jahr soll sie aufwendig restauriert werden, und
gerade hat der Regisseur Emir Kusturica dort mit dem Bau einer ganzen
Kulissenstadt begonnen, um Andric' Roman zu verfilmen. Er nennt es sein
"Lebensprojekt".
Ausgerechnet jetzt zerren sie alle an diesem weltbekannten Brückenbauer.
Dragan Dragojlovic sitzt in Belgrad hinter verwitterten Fensterläden vor
einem Bücherstapel, 140 Kilometer von der Brücke entfernt, und sagt: "Wir
machen nichts anderes als den letzten Willen von Ivo Andric zu erfüllen."
Dragojlovic ist ein kleiner Mann, 69 Jahre alt, fahler Teint, tiefe
Augenringe. Er trägt einen kleinkarierten Anzug. In diesem Haus, das von
außen aussieht, als stünde es leer, verwaltet Dragojlovic den Nachlass von
Andric. Er ist Direktor der Ivo-Andric-Stiftung in Belgrad, die seit dem
Tod des Schriftstellers 1975 die Autorenrechte besitzt. Vor dem Zerfall
Jugoslawiens waren Schriftsteller aus allen Teilrepubliken Mitglied der
Stiftung. Als der Krieg ausbrach, blieben nur noch serbische Autoren in
Belgrad und kümmerten sich um das Vermächtnis des großen jugoslawischen
Schriftstellers.
2007 zogen die Verwalter um Dragan Dragojlovic vor Gericht. In die
Anthologie "Kroatische Literatur aus Bosnien und Herzegowina in 100
Büchern" hatten die bosnisch-kroatischen Herausgeber vier Werke von Ivo
Andric aufgenommen, darunter die "Brücke über die Drina". Die serbischen
Rechteverwalter entgegneten, Andric dürfe nicht unter dem Etikett
"kroatischer Autor" publiziert werden. Sie bekamen recht, die Herausgeber
legten Berufung ein. Es ging hin und her, im Frühjahr titelten serbische
Zeitungen: "Kroaten klauen Andric." Im Haus der Andric-Stiftung in Belgrad
redet Dragan Dragojlovic mit leiser, zittriger Stimme und blättert in einem
Buch mit vergilbten Seiten aus dem Jahr 1980, das Dokumente aus Andric'
Leben versammelt. "Niemand hat mich angerufen, um nachzufragen, was die
Wahrheit ist", sagt der Stiftungsdirektor. Auf der ersten Seite des Buches,
in dem er die Wahrheit verortet, ist das faksimilierte Testament Andric'
von 1974 in kyrillischer Schrift abgedruckt. Darin habe der Autor
festgelegt, dass er als serbischer Schriftsteller verstanden werden will,
sagt Dragojlovic. Tatsächlich steht in dem Testament lediglich, dass er
seinen Nachlass der serbischen Akademie der Wissenschaften überlässt.
Warum also klagen sie? "Es gibt ausreichende Belege dafür, dass sich Andric
als serbischer Autor verstanden hat", sagt Dragojlodvic. Andric habe seine
Hauptwerke auf Ekavica geschrieben, der vor allem in Serbien benutzten
Variante des Serbokroatischen, kroatische Übersetzungen abgelehnt und den
größten Teil seines Leben im serbischen Belgrad verbracht.
Der Streit zwischen den Nachlassverwaltern in Serbien und den Verlegern in
Kroatien und in Bosnien beschäftigt weiter die Richter. Wie bizarr die
Auseinandersetzung ist, versteht man erst, wenn man sich Ivo Andric und
sein Werk genauer ansieht. In seinen Romanen tritt die multikulturelle
Gesellschaft Bosniens auf. In der "Brücke über die Drina" lässt er an die
hundert Figuren den Fluss überqueren: österreichische Beamte, jüdische
Handwerker, religiöse und politische Eiferer, islamische Händler, serbische
Bauern, katholische Gläubige. Es gibt keine Hauptfigur. Nur die Brücke hält
alles zusammen, bildet das Zentrum dieses Panoramas einer disparaten
Gesellschaft zwischen dem Bau der Brücke durch den Großwesir des
Osmanischen Reichs 1579 bis zur Sprengung dreier Pfeiler durch die
abziehenden Truppen des Habsburger Reichs 1914.
Es ist ein Buch voller Gewalt zwischen sich bekämpfenden Großreichen und
Individuen. Andric schildert sie mit einer Intensität, die kaum zu ertragen
ist. Aber nicht nach dem Muster: böse Eroberer, gute Einheimische. Auf
allen Seiten zeigt Andric jene, die für Macht, Geld, Liebe und Anerkennung
über Leichen gehen, und die, die sich auch unter barbarischen Bedingungen
Humor, Herz und Hirn bewahren. Mit denen verbindet Andric die Hoffnung auf
Versöhnung der Kulturen.
Diese Hoffnung hat Andric nie aufgegeben. Er glaubte schon vor dem Ersten
Weltkrieg an die jugoslawischen Idee, an die Vereinigung aller
südslawischen Völker.
Das kann doch auch einer wie Dragan Dragojlovic nicht ignorieren, oder?
"Niemand bestreitet das", sagt er, "aber Jugoslawien gibt es nicht mehr,
und was bleibt den Autoren anderes als die Sprache, in der sie geschrieben
haben?" Und dann ist es eben so: "Andric hat in Ekavica geschrieben." Die
Stiftung will bald ein Buch herausgeben mit allen Dokumenten, die zeigen
sollen, dass Andric ein serbischer Schriftsteller war.
## Andric war Jugoslawe. Aber das reicht nicht mehr
Vor einem Gericht in Sarajevo, der Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina,
wird derzeit verhandelt, ob Ivo Andric auch Kroate oder nur Serbe genannt
werden darf. In Sarajevo ist auch die Anthologie "Kroatische Literatur aus
Bosnien und Herzegowina in 100 Büchern" herausgegeben worden - von der
bosnische Filiale der Matica Hrvatska. Sie ist die wichtigste Institution
zur Pflege der kroatischen Sprache und Literatur. Die Idee für die
Anthologie hatte Mirko Marjanovic, Direktor der Matica Hrvatska in
Sarajevo. Marjanovic, 71 Jahre alt, ist ein bosnisch-kroatischer
Schriftsteller. In den 1980er Jahren war er Mitglied der
Ivo-Andric-Stiftung in Belgrad und gab eine Reihe von Andric' Büchern
heraus. Seit der Streit um Andric in die Medien geriet, steht sein Telefon
nicht mehr still.
Marjanovic ist Katholik, er empfängt im weiß getünchten Saal eines
Gemeindehauses, um zu begründen, warum er im Recht ist. Obwohl Marjanovic
müde wirkt, will er alle Details darlegen: dass Andric aus einer
katholisch-kroatischen Familie stammt, dass die Stiftung eine viel zu hohe
Summe für den Abdruck in der Anthologie gefordert hat und dass das
angebliche Testament wahrscheinlich eine Fälschung sei.
So wie sein Gegenspieler Dragojlovic in Belgrad legt auch Marjanovic
kopierte Dokumente vor, die die Nationalität Andric' beweisen sollen:
Auszüge aus dem Geburtsregister und dem Register der Universität Zagreb, wo
Andric 1912 unter Religionszugehörigkeit "römisch-katholisch" und als
Muttersprache "kroatisch" angegeben hat. Wie Dragojlovic plant auch
Marjanovic ein Buch mit Dokumenten und Essays, die belegen sollen, dass
Andric allen gehört - auch den Kroaten.
"Andric war natürlich Kroate, sonst hieße er ja Jovan und nicht Ivo",
witzelt man in Kroatien, doch jeder fügt sofort hinzu, dass Andric
selbstverständlich Jugoslawe war. Das ist es, worauf man sich einigen kann
- aber das reicht jetzt nicht mehr.
Andric' Lebensweg könnte kaum gesamtjugoslawischer sein: Geboren in eine
katholisch-kroatische Familie bei Travnik in Westbosnien, aufgewachsen im
mehrheitlich muslimisch geprägten Visegrad in Ostbosnien, das Gymnasium
absolviert im zentral gelegenen Sarajevo, studiert im kroatischen Zagreb,
lebte er ab 1941 ständig in Belgrad. Bis dahin war er sogar Diplomat des
Königreichs Jugoslawien, zuletzt von 1939 bis 1941 in Berlin. Nach
Kriegsende wurde er von den neuen Funktionären zu einer kulturellen Ikone
aufgebaut. "Die Brücke über die Drina" erschien im Januar 1945 als einer
der ersten Romane im neuen Jugoslawien. Der Autor, das Buch und die Brücke
bildeten eine Trias, mit der die neue brüderliche Einheit illustriert
werden konnte. Dabei hat Andric nie öffentlich über seine Haltung zu Titos
Jugoslawien gesprochen, so wie er auch sonst nicht viel und schon gar nicht
über seine politischen Ansichten geredet haben soll. Für Nationalismus
jeglicher Couleur hatte Andric nie etwas übrig. Dass er in der serbischen
Sprachvariante schrieb, ist nicht ungewöhnlich für einen Autor, der in
Belgrad lebte. Im Original gab Andric seinem Roman den Titel "Na Drini
Cuprija". Cuprija ist weder das serbische noch das bosnische oder
kroatische Wort für Brücke - sondern das türkische. Andric schrieb in der
zeitgemäßen Sprache seiner Romanfiguren, um ihnen möglichst nahezukommen.
Im Hauptsitz der Matica Hrvatska in Zagreb herrscht keine allzu große
Aufregung, wenn das Gespräch auf Andric kommt. Andric sei eben Kroate.
Daraus spricht auch das Selbstbewusstsein des Staates, der sich seiner
Identität und Stärke zwanzig Jahre nach dem Beginn der Balkankriege am
sichersten ist.
Aber ist es nicht paradox, von allen Seiten einen Autor für eigene Zwecke
zu beanspruchen, der durch seinen Roman versuchte, eine Brücke zwischen den
Nationen zu bauen? "Als das Symbol der Versöhnung und Vereinigung gelten
Brücken uns erst heute. Die Osmanen haben die Brücke zur Expansion, zur
Eroberung bauen lassen", sagt der Direktor der Matica Hrvatska.
## Jeder liest das Buch so, wie es in seine Ideologie passt
Massiv und elegant schwingen sich elf Bögen 180 Meter über die rasend
schnelle und tiefgrüne Drina. Es soll nur zwei weitere Brücken im ganzen
Reich gegeben haben, die es mit ihrer Schönheit aufnehmen konnten, heißt es
bei Andric. Tatsächlich hat der mächtigste Großwesir des Osmanischen
Reichs, Mehmet Pasa Sokolovic, die Brücke im 16. Jahrhunderts erbauen
lassen, um eine Verbindung zwischen Sarajevo und Konstantinopel, der
Hauptstadt des Osmanischen Reichs, zu schaffen. Es gibt aber noch einen
weiteren Grund, warum der Großwesir die Brücke an diese Stelle baute: er
stammte aus der Gegend und wollte seiner Heimatregion mit dem Bau der
Brücke zu Prosperität durch Handel verhelfen.
Eine Tafel an der Brücke erinnert an ihren Erbauer, ein Lobpreis, den
Andric in seinem Roman einbindet, als hätte er geahnt, wie unterschiedlich
ein Text gelesen werden kann, wie sehr eines Tages auch um sein Werk
gestritten werden würde: Diese Inschrift, schreibt Andric, war "den
Deutungen aller Menschen, der klugen wie der dummen, der böswilligen wie
der wohlmeinenden, ausgesetzt" und "wurde auf verschiedenste Art, häufig
verändert und bis zur Sinnlosigkeit entstellt, wiederholt."
Andric' Roman ergeht es nicht anders, auf beiden Seiten der Drina wird das
Buch so interpretiert, wie es gerade passt. Über die längste Strecke ihrer
486 Kilometer markiert die Drina die Grenze zwischen Bosnien und Serbien,
es ist auch eine ideologische Grenze. Muslime behaupten, Andric beweise,
dass Serben und Kroaten ihnen gegenüber schon immer rassistisch auftraten.
Serbische Nationalisten auf der anderen Flussseite führen das Buch als
Beweis dafür an, dass mit den Muslimen kein gemeinsames Leben möglich ist.
In der Republika Srpska, dem im Osten Bosniens gelegenen serbisch
dominierten Teilstaat, in dem auch die Stadt Visegrad liegt, wird Andric so
vereinnahmt: Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, hat für das
Andric-Jubiläumsjahr jedem serbischen Haushalt ein Gratisexemplar der
"Brücke" versprochen. Dodik trieb in den vergangenen Monaten ein Referendum
über den Austritt der Republika Srpska aus Bosnien voran. Er glaubt, dass
es mit den bosnischen Muslimen keine friedliche Koexistenz geben kann.
"Andric wurde nach dem Zerfall Jugoslawiens zum Opfer und Mittel der neuen
nationalen Identitätsbildung auf allen Seiten. Aber das traurigste Kapitel
spielt sich in Bosnien ab", meint Ivan Lovrenovic, bosnisch-kroatischer
Schriftsteller aus Sarajevo, Kulturhistoriker und Kenner von Andric' Werk.
Die Matica Hrvatska hat ihn damit beauftragt, die vier Bücher der
Anthologie zu edieren, die den aktuellen Streit ausgelöst haben.
Lovrenovic, 68, sitzt im Foyer des Café Europa im Zentrum Sarajevos. Seine
dunkle, leise Stimme ist zwischen Stimmengewirr und Geschirrklappern kaum
zu verstehen. Er verkörpert die intellektuelle Sicht auf den Streit, er
will sich nicht in kleinteiligen Nationalismen verirren.
In Bosnien werde Andric zu einem islamophoben Dämon aufgebaut, sagt
Lovrenovic. Politische Strömungen, die die bosnische Identität islamisieren
wollten, bekämen seit Jahren Schützenhilfe eines Lehrstuhls für
bosnisch-muslimische Literatur. Von dort heißt es, Andrics Bücher hätten
den Muslimen mehr Leid zugefügt als die verschiedenen militärischen
Verbände in den 1990er Jahren. "Das ist lächerlich", sagt Lovrenovic,
"Orthodoxe und Juden kommen auch nicht besser weg." Lovrenovic hält diese
Debatte für den größten Test der bosnischen Gesellschaft. "Wenn Andric als
antimuslimischer Dämon installiert wird, dann ruiniert das jegliches
gemeinsames Leben in diesem Staat", sagt er. Die Frage ist, ob das
gemeinsame Leben in diesem fragilen Staat, der erst 1995 durch das
Dayton-Abkommen entstand, jemals funktioniert hat.
Wie sieht es in Visegrad selbst aus. Dort, wo die Brücke steht?
In der Stadt wurden zwischen 1992 und 1995 etwa 3.000 Muslime von
serbischen Paramilitärs, Polizisten und Einheimischen ermordet. Hunderte
wurden auf der Brücke massakriert und in den Fluss geworfen. Die meisten
Bosnier vermeiden es noch heute, die berühmte Forelle aus der Drina zu
essen. Vor dem Krieg lebten in Visegrad rund 22.000 Menschen, fast zwei
Drittel von ihnen Muslime. Heute sind gerade mal ein Fünftel der etwa
11.000 verbliebenen Einwohner Muslime.
Bilal Memisevic wurde in der Stadt geboren. Seit 2001 ist er hier Hodscha,
muslimischer Geistlicher, und Mitglied des Stadtparlaments. Für Memisevic
ist Andric eine ambivalente Figur. "Er war kein Rassist. Doch manches, was
er schreibt, macht mich wütend", sagt Memisevic. Der Hodscha sitzt im
Schatten der 1992 niedergebrannten Moschee Visegrads, die vor einigen
Jahren rekonstruiert worden ist. Er wirkt in seinem adretten Anzug und mit
seinem selbstbewussten Auftreten wie ein smarter Geschäftsmann. Memisevic
hat den Bosnienkrieg nicht miterlebt, er studierte in der Zeit in Algerien.
Seine Eltern wurden in den 1990er Jahren in Visegrad ermordet. Doch er ist
zurückgekehrt und hat die muslimische Gemeinde nach dem Krieg wieder
aufgebaut.
Anders als die Brücke von Mostar wurde die Brücke über die Drina in den
1990er Jahren nicht zerstört. Lediglich die Lampen, die die Brücke nachts
beleuchteten, wurden zerschossen. Bis heute sind sie nicht repariert. Die
Andric-Büste, die muslimische Extremisten 1992 mit einem Hammer zertrümmert
haben, steht renoviert neben der Brücke. Er hat sie als Treffpunkt
beschrieben, den Ort, an dem die Stadt lebt. Das ist längst vorbei. Nur ein
paar Schüler sitzen in der Mittagspause dort, selbst die Pärchen, die sich
abends in den Klubs der Stadt finden, flanieren später nicht auf der
Brücke, sondern auf der Promenade entlang der zu jugoslawischen Zeiten
gebauten Sportparkanlange, abseits des Stadtkerns. Dort treffen sich die
jungen Pärchen und geben sich ihre ersten Küsse.
Wenn Andric das Leben im Visegrad von heute beschreiben müsste, dann würde
er sich vielleicht diesen Sportpark vornehmen. Lange allerdings wird es ihn
nicht mehr geben. Der Regisseur Emir Kusturica arbeitet seit einer Weile an
einem Film über "Die Brücke". Er will eine "Andric-Stadt" errichten - als
Filmkulisse. Auch auf dem Gelände der Sportanlage, selbst das Rathaus soll
zu einem Teil dieser "Andric-Stadt" werden. Wenn der Film fertig ist, soll
sie stehen bleiben.
Den Hodscha stören Kusturicas Pläne nicht. "Im Herbst beginnen wir mit der
Restaurierung der Brücke. Dann werden auch die Lampen wieder installiert."
Und dann werde die Brücke sicher wieder das sein, was Andric darin gesehen
hat: ein Zentrum, auf dem sich das Leben abspielt.
In Belgrad, in Sarajevo und in Zagreb warten sie weiter auf ein Urteil der
Richter, das Gewissheit geben soll, ob Andric nur ein serbischer Autor war
oder alle ihren Ivo haben dürfen.
Doris Akrap, 37, taz-Redakteurin im Schwerpunkt, besaß bis 1991 einen
jugoslawischen Pass.
31 Oct 2011
## AUTOREN
Doris Akrap
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