# taz.de -- Digitalisierung der "Neuen Rundschau": Das große Glück der Vollte… | |
> Die Literaturzeitschrift "Neue Rundschau" gibt es seit 1890, das sind 122 | |
> Jahrgänge. Alle Ausgaben sind jetzt online zugänglich - im Abo für knapp | |
> 100 Euro. | |
Bild: Nicht nur alte Handschriften: Der Schatz der "Neuen Rundschau" ist gesich… | |
Es geht um einen Schatz. Welche unterschiedlichen Vorstellungen es darüber | |
gibt, was man mit ihm anfangen kann, wird deutlich, als am Ende der | |
Veranstaltung ein Herr aus dem Publikum beharrlich nachfragt, warum nicht | |
mehr vorgegebene Schlagwörter in die Suchmaske aufgenommen wurden. Er hat | |
wohl die Vorstellung zu tun, dass man mit so einem Schatz große Teile der | |
intellektuellen Tradition objektiv von A bis Z kartografieren und als | |
sicheres Fundament der Gegenwart benutzen kann. | |
Dem SZ-Literaturredakteur Lothar Müller, der den Abend moderiert, sind | |
dagegen vorgegebene Suchbegriffe eher gleichgültig. Er setzt darauf, dass | |
man die "Mensch-Maschinen-Konstruktion" zwischen Benutzer, Computer und | |
Suchmaske so individuell wie möglich einstellen kann. Ihm ist es also darum | |
zu tun, dass möglichst viele subjektive Wege in diesen Schatz hinein | |
ermöglicht werden. Sie werden es tatsächlich, auf die Volltextsuche nach | |
eigenen Suchbegriffen wurde viel Mühe verwendet. | |
Der Schatz - das sind 120.000 Seiten eng bedrucktes Papier. Der Fischer | |
Verlag hat alle Ausgaben der von ihm herausgegebenen Literaturzeitschrift | |
Neue Rundschau online zugänglich gemacht. Das sind 122 Jahrgänge! Die erste | |
Ausgabe der Freien Bühne für modernes Leben, wie diese Zeitschrift zunächst | |
heißt, erschien 1890. | |
## Technische Schwierigkeiten | |
Am Montag wurde dieses Digitalisierungsunternehmen im Berliner LCB | |
erläutert und auch ein bisschen gefeiert. Die technischen Schwierigkeiten | |
wurden deutlich. So ist die Frakturschrift, die die Neue Rundschau | |
allerdings bereits in den Zwanzigerjahren abschaffte, bis heute für jedes | |
Digitalisierungsverfahren ein Problem. Hinzu kommen vergilbte Stellen im | |
Papier der Vorlage und bei diesem Alter natürlich auch Schäden. | |
Das Ergebnis beschrieb der Verlagschef Jörg Bong, der auf dem Podium saß, | |
mit leiser Lust an der Paradoxie: Die Idee von einer realen Gesamtausgabe | |
der Neuen Rundschau, die man in gedruckter Form tatsächlich vor sich habe, | |
werde zunehmend virtuell; kaum eine Bibliothek könne das mehr anbieten. | |
Aber im angeblich virtuellen Raum des Internets sei das jetzt real | |
geworden. Die Literaturwissenschaftlerin Susanne Krones hatte da in ihrem | |
Vortrag den Verlag schon ausgiebig dafür gelobt, die Möglichkeiten der | |
Digitalisierung dafür zu nutzen, "Epochen neu lesbar" zu machen. | |
Tatsächlich sieht man vor seinem geistigen Auge neue Dissertationsprojekte | |
rattern. Hugo von Hofmannsthal, Thomas Mann, Franz Kafka - sie alle wurden | |
ausführlich in der Neuen Rundschau gedruckt. Aber auch Forschungsvorhaben, | |
akademische und private, über die Literatur hinaus sind möglich. Lothar | |
Müller berichtete, wie er die Begriffe "Börse" und "Krise" in die Suchmaske | |
eingab und auch in den Zwanzigerjahren, natürlich, spannende Beiträge fand: | |
Weltwirtschaftskrise! Und Jörg Bong wies noch darauf hin, dass sich das Auf | |
und Ab der deutschen Frauenbewegung anhand dieses Textkorpus bis zurück ins | |
Kaiserreich verfolgen lasse. | |
## Teure Digitalisierung | |
Am meisten Spaß hatten die Podiumsteilnehmer aber erst einmal daran, | |
komplette historische Jahrgänge durchzublättern. So könne man etwa sehen, | |
was in entscheidenden Jahren wie 1932 die Intellektuellen beschäftigte - | |
Alfred Döblin wurde von ganz links angegriffen; man meinte offenbar, | |
Wichtigeres zu tun zu haben, als sich mit den Nazis zu beschäftigen. Als | |
Herausgeber der Literaturzeitschrift Sprache im technischen Zeitalter, für | |
die aus Geldgründen die Digitalisierung ein nicht zu verwirklichender Traum | |
bleibt, saß Thomas Geiger auf dem Podium; er hat seinen Geburtsjahrgang | |
1960 durchgesehen und sich darüber gefreut, dass er mit achtzig Prozent der | |
Autoren heute noch etwas anfangen kann. | |
Immerhin 98 Euro wird so eine Schatzsuche im Jahresabonnement des digitalen | |
Zugangs kosten. So ganz "symbolisch", wie Jörg Bong noch meinte, ist dieser | |
Preis keineswegs. | |
9 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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