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# taz.de -- Rap als politisches Instrument: Argumente mit rollendem R
> Diana Avella ist in Kolumbien ein Star. Die Rapperin tritt auf dem
> Festival "Translating Hip Hop" zum ersten Mal in Deutschland auf.
Bild: Mit ihren Texten spricht die Rapperin Diana Avella vielen jungen Kolumbia…
Rrrap, Diana Avella spricht es spanisch aus, mit gerolltem R und hartem a.
Rap dröhnte auch schon aus den Boxen der Gettoblaster, als sie als
Siebenjährige auf der Straße spielte. Die HipHop-Jugendkultur hatte Anfang
der neunziger Jahre Einzug in Avellas Stadtteil in Bogotá gefunden.
Das wissbegierige Mädchen war von allem fasziniert, was dazugehörte: die
Mode, Beats, MCs, Graffiti, aber am stärksten von den rhythmischen
Sprechgesängen des "Rrrap". Das schwungvoll gerollte R scheint der
Bedeutung, die HipHop in Avellas Leben hat, Nachdruck zu verleihen.
Heute, knapp 20 Jahre später, erinnert sie sich gern daran, aber sie
belächelt ihre kindliche Begeisterung für die gar nicht kindliche Welt des
HipHops keineswegs. Denn sie markierte den Anfang ihrer Karriere. Diana
Avella ist heute ein großer Name in Kolumbiens HipHop-Szene. Man kennt sie
dort als eine energische, mutige Rapperin, die in ihren Texten kein Blatt
vor den Mund nimmt.
Die Söhne und Töchter der älteren Jungs von damals hören heute ihre Musik.
Ihr Lied "Nací Mujer", ("Als Frau geboren"), das die gesellschaftliche
Rolle von Frauen in einer von Männern dominierten Welt anprangert, spricht
derzeit vielen jungen Kolumbianerinnen aus der Seele, wie zahlreiche
zustimmende YouTube-Kommentare bekunden.
Ob Diana Avella stolz auf sich ist, lässt sich nicht ergründen. Wenn sie in
weichen, kolumbianisch-spanischen Worten aus ihrem Leben erzählt, wirkt es
vielmehr so, als hätte alles eben genau so kommen müssen. Ihr Onkel
erzählte ihr von Marx, da war sie gerade mal 9 Jahre alt. Sozialismus,
Kapital, Klassenkampf - große, abstrakte Begriffe für ein Kind.
Doch sie musste sich nur umschauen in ihrer Heimatstadt Bogotá: Superreiche
auf der einen, Hungernde auf der anderen Seite. Ihre politische Prägung war
damit besiegelt und sollte ihr noch Schwierigkeiten bereiten. "Linke
Aktivisten in Kolumbien müssen in ständiger Angst leben", sagt Diana
Avella.
## Verfahrene Situation
Spricht sie über die politische Situation in ihrem Land, wechselt ihre
Stimme, wird nachdrücklicher. Jetzt erst, als Diana Avella wild
gestikulierend auf die verfahrene politische Situation in Kolumbien
schimpft, wird ihre leidenschaftliche Verbindung zum Rap deutlich. Eben
noch, als sie in gewissenhaftem Ton über ihre Jugend sprach, hätte man wohl
bezweifelt, dass aus dieser Frau auch aggressive Rhymes herauskommen
können. Nun, da es sie kaum auf ihrem Stuhl hält, formt sich das Bild der
14-jährigen Avella, die anfing, zu freestylen und Raps zu texten. Als
Teenagerin machte sie sich auf, die Männerdomäne des HipHops aufzumischen.
Was klingt wie eine Mission, war lediglich Produkt von Avellas unstillbarem
Bedürfnis, sich auszudrücken. "El rap es mi argumento, tengo algo por
decir", heißt es in "Nací Mujer": "Rap ist mein Argument, ich habe etwas zu
sagen." Dieses Bedürfnis gesellt sich zu viel lateinamerikanischer Energie
und Avellas Bildungshintergrund.
Sie hörte nicht auf, in die Schule zu gehen, und trieb sich nicht lieber
mit Gangs herum wie viele andere ihrer internationalen Rap-KollegInnen.
Stattdessen verschlang sie Extralesestoff, den ihr der Literaturlehrer mit
nach Hause gab. "Das waren philosophische und linke politische Texte"
erinnert sie sich, "dieser Lehrer war einer meiner größten Förderer."
## Vorbild Noam Chomsky
Auch ihm war es zu verdanken, dass Diana Avella sich ins Zeug legte, Geld
sammelte und für die Aufnahmeprüfung lernte, um schließlich in Bogotá
Literaturwissenschaft studieren zu können. "An der Uni ging es dann richtig
los", erinnert sie sich. "Es gab Lese- und Diskussionsgruppen,
Studentenproteste. Das hat mich inspiriert."
Fragt man andere RapperInnen nach ihren Vorbildern, fallen vielleicht Namen
wie Tupac oder Outkast, und sicher spielen die bei Diana Avella auch eine
Rolle - ihre Beats erinnern oft an Oldschool-Rap. Avella aber nennt Noam
Chomsky und den weißrussischen Psychologen Lew Wygotski. "Meine Texte
bekamen durch die Uni etwas viel Fundierteres, Bewussteres." So finden sich
in ihren Liedern heute politische, autobiografische und kulturelle
Elemente.
Eine unbeschwerte Zeit, könnte man denken, doch nicht in Kolumbien, nicht
für Diana Avella. Sie wurde schwanger, verließ den Vater ihres Sohns. Eine
alleinerziehende Mutter, ein uneheliches Kind - in Kolumbien Grund genug,
dass sich Freunde und Kommilitonen abwendeten. "Das hat mich nur härter
gemacht", meint sie jetzt, ihr Sohn kommt gerade an der Hand seines
Stiefvaters herein, dick eingepackt gegen die deutsche Herbstkälte. "Die
beiden sind überall dabei", sagt Avella, auch jetzt in Berlin, wohin sie
für das Festival "Translating HipHop" gekommen ist.
Das internationale Projekt hat RapperInnen aus Nairobi, Beirut, Mainila,
Deutschland und Bogotá zusammengebracht. In vier Workshops haben sie sich
gegenseitig ihre Texte übersetzt; das Festival in Berlin ist jetzt mit
weiteren Workshops, Podiumsdiskussionen und zwei Konzertabenden, auf denen
die RapperInnen die entstandenen Texte vorstellen, Höhepunkt und Abschluss
des Projekts.
Avella hat schon vorher an internationalen Projekten mitgewirkt. NGOs
unterstützen sie, die allein von ihrer Musik nicht leben kann, damit sie
nicht aufhört, ihre Stimme zu erheben, sich nicht aus der Öffentlichkeit
verdrängen lässt. Internationale Vernetzung stärkt ihren Rückhalt. "Ein
Netzwerk bietet mir mehr Schutz", sagt Avella. Ihr Mut wirkt etwas
gedämpft, als sie, mit Blick auf ihren Sohn, zum Abschied sagt: "Ich habe
so viel erzählt, ich kann nicht anders. Aber bitte, bring mich nicht in
Schwierigkeiten!"
Translating Hip Hop: 10.-12. 11. im Haus der Kulturen der Welt, Berlin.
www.translatinghiphop.de, www.hkw.de/hiphop
9 Nov 2011
## AUTOREN
Carla Baum
## TAGS
HipHop
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