# taz.de -- Familienalltag: Mutterglück und kein bisschen Frieden | |
> An Sankt Martin beginnt für Mütter die härteste Jahreszeit. Kinder sind | |
> ein großes Glück, allein sein wäre aber auch mal wieder schön. Eine | |
> Selbstbetrachtung. | |
Bild: Quo vadis Familienglück: auch Eltern brauchen mal ne Auszeit. | |
Ich schreibe das Protokoll des Elternabends der Kita, und angesichts all | |
der Terminankündigungen darin wird mir bewusst, dass nun die härteste Zeit | |
des Jahres anfängt. Die, in der Eltern, die sowieso gern mal ihre Ruhe | |
hätten, basteln müssen. Erst die bunten Laternen für Sankt Martin, dann | |
einen Adventskalender, Adventskränze und Christbaumschmuck. | |
Ich leide seit meiner Geburt unter gestalterischer Einfallslosigkeit und | |
habe keine geschickten Finger, die das kompensieren könnten. Mit zwei | |
Kindern wird das nicht besser. Anstatt die Abende mit Dingen zu verbringen, | |
die uns Spaß machen, also Memory spielen, vorlesen oder singen, sitzen wir | |
mit Klebestiften am Küchentisch, um windschiefe, unansehnliche Laternen zu | |
basteln. Das Leben einer Mutter ist in der Vorweihnachtszeit eine einzige | |
Vorbereitung. Ich kenne Schöneres. | |
Ich liebe meine Töchter, ein und fünf Jahre alt. Innig, das muss man | |
betonen, unmissverständlich klarstellen, sonst hagelt es sofort bissige | |
Kommentare. Warum man überhaupt Kinder bekommen habe, warum man nicht | |
einfach allein geblieben sei. Also: Ich liebe meine Kinder. Jeden Tag wache | |
ich auf und bin froh, dass sie da sind. | |
Mein Mann und ich haben sie uns gewünscht und bekommen. Wir haben unsere | |
Töchter stolz und erleichtert aus der Klinik nach Hause getragen, in der | |
Hoffnung, dass sie dort gedeihen und zu aufgeweckten, glücklichen Personen | |
heranwachsen. | |
## Entnervt | |
Nun folgt das Aber. Ich liebe meine Kinder, aber ich würde gern einmal | |
duschen, die Haare waschen und vielleicht auch noch föhnen. Ganz allein, | |
ohne dass kleine Hände von der anderen Seite gegen den Duschvorhang | |
trommeln. Ich würde gern morgens allein die Zeitung lesen. Manchmal wäre | |
ich sogar gern allein, ohne etwas zu tun. | |
Dauernd höre ich von Politikern und Kommentatoren, dass viele Eltern | |
bedauern, so wenig Zeit mit ihrer Familie verbringen zu können. Ich | |
bedauere das auch häufig, vermute aber, dass viele Eltern sich nicht trauen | |
zu sagen, dass sie noch viel lieber auch Zeit für sich allein hätten. | |
Allein ist dabei relativ und bedeutet nicht, übers Wochenende in den | |
Wellnessurlaub zu fahren, sondern nur, eine Tür hinter sich schließen zu | |
können. | |
Menschen ohne Kinder wissen oft gar nicht, dass sich Eltern jahrelang nur | |
zu zweit oder zu dritt in Räumen aufhalten. Die Kinderlosen ahnen nichts | |
vom heimlichen Wunsch, endlich mal seine Ruhe zu haben. Die noch, leider | |
oder bewusst, Kinderlosen hören zwar die Klagen, viele helfen gern aus und | |
halten Türen auf, damit Buggys oder Laufräder durchgeschoben werden können. | |
Sie beschweren sich nicht, wenn die alten Freunde nicht mehr zum Abendessen | |
vorbeikommen, und sie würden auch nie laut sagen, dass man früher, also in | |
der Zeit vor den Kindern, irgendwie netter war und frischer aussah. Viele | |
Kinderlose halten den Elternfreunden liebenswerterweise die Treue. Sie | |
wissen, dass sich das Leben auf der anderen Seite verändert hat. Wie sehr, | |
können sie aber nur ahnen. | |
## Erprobt | |
"Warum stehst du nicht einfach früher auf?", fragte neulich ein Kollege, | |
der jetzt noch behauptet, niemals Kinder haben zu wollen, als ich über das | |
frühmorgendliche, anstrengende Zeitfenster klagte. Vor einigen Monaten habe | |
ich es probiert, den Alarm auf 5.30 Uhr gestellt und gehofft, noch | |
anderthalb Stunden Ruhe zu haben. | |
Es hat nicht funktioniert. Genau wie Mütter spüren, dass ihr pubertierender | |
Nachwuchs samstagnachts das Haus betritt, und aufwachen, so haben kleine | |
Kinder ein Gespür dafür, dass die Mutter wach wird, und rütteln sogleich | |
mit ihren kleinen Fäusten an den Gitterstäben ihres Betts. Dann wollen sie | |
Milch, eine frische Windel, puzzeln oder das Smartphone ansabbern - alles, | |
nur selbst nicht allein sein. Ich allerdings bin es: Mein Mann ist da immer | |
schon bei der Arbeit. | |
Selten stehen die Interessen zweier Generationen so gegensätzlich | |
zueinander wie morgens zwischen sieben und neun. Bis wir endlich am Eingang | |
der Kita stehen, mir die Kinder fröhlich hinterherwinken und sich unsere | |
Wege trennen, haben wir schon mindestens zwei Stunden miteinander | |
verbracht. An vielen Morgen wünsche ich mir, sie wären harmonischer, | |
weniger hektisch gewesen. | |
An den meisten Tagen gehe ich anschließend ins Büro. Die Kollegen dort | |
haben schon allein geduscht, und ich werde, wenn ich in ihre frischen | |
Gesichter schaue, auf die lackierten Fingernägel oder die empfindlichen | |
Kaschmircardigans neidisch. Ich dagegen lebe in einer Wolke aus gut | |
waschbarer, fleckenunempfindlicher Funktionskleidung. Mit praktischen | |
Schuhen und vernünftigen Handschuhen. Es fehlt nicht mehr viel und ich | |
streife mir einen buntgemusterten DDR-Kittel über oder tackere mich einfach | |
in Bettlaken ein. | |
Nachmittags, kurz bevor ich das Büro verlasse, überkommt mich ein | |
schlechtes Gewissen. Meistens habe ich mindestens einen oder zwei Punkte | |
meiner langen To-do-Liste nicht erledigt, nicht mit jemandem wie geplant | |
über den Artikel für nächste Woche gesprochen, keine Dienstpläne | |
verglichen, wie ich es hätte tun wollen, es war einfach nicht genug Zeit | |
dazu. Ich gehe, weil ich pünktlich wieder an der Kita sein muss, und gut | |
fühle ich mich dabei nicht. Manchmal werde ich furchtbar betrübt, wenn die | |
Kollegin erzählt, dass sie noch zum Sport geht oder früh ins Bett oder sich | |
gleich auf die Couch legt. | |
Meine Kollegen beneiden mich vielleicht um diese intakten Verhältnisse. Ich | |
bin ja selbst ganz froh darüber, in einer überwiegend glücklichen Familie | |
zu leben, die wir uns selbst geschaffen haben. Wenn nur nicht diese | |
Rückenschmerzen wären, diese ständige Gewissheit, etwas nicht erfüllt oder | |
noch einen Haufen Erledigungen vor sich zu haben. | |
## Entrückt | |
Kinder machen nicht immer glücklich, und im Spiegel stand neulich, dass | |
Rückenschmerzen meistens mit Bewegung weggingen oder psychologische Gründe | |
dahinterstünden. Ich glaube, keiner der Autoren wohnt mit zwei kleinen | |
Kindern im vierten Stock ohne Aufzug, spürt das Ziehen und weiß, wo es | |
herkommt. Würden sie sonst so etwas schreiben? | |
Wer nicht jeden Tag fast 100 Stufen gehen muss, in eine für ein kinderloses | |
Paar traumhafte Wohnung, die aber für junge Eltern ein Hort des Schreckens | |
ist, kennt auch die Tränen nicht, die man ab dem dritten Stock zurückhält, | |
weil der Arm zu lang und das Kind zu schwer wird. | |
Wir wissen, dass die Zeit, in der unsere Kinder nichts von uns wissen | |
wollen, früh genug kommt. Die Zeit, in der sie anfangen, sich für uns zu | |
schämen und immer nur wegwollen, uns nicht sagen, wie es ihnen geht oder | |
was sie beschäftigt. Sie werden die Augen verdrehen, Freunde haben, die wir | |
nicht mögen, sich unmöglich benehmen und die Musik in ihren Zimmern | |
aufdrehen. Ich habe schon Angst vor dieser Zeit, ja, manchmal werde ich | |
sogar traurig, wenn ich daran denke, dass die Kinder ausziehen, irgendwann. | |
Aber trotzdem wäre es schön, einmal in Ruhe duschen zu können, die Haare zu | |
waschen und vielleicht auch noch zu föhnen. | |
10 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
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