# taz.de -- Debatte Epidemien: Die Chancen stehen gut | |
> Wir brauchen eine Steuer auf Finanzgeschäfte, um die Ausbreitung von | |
> Epidemien bekämpfen zu können. Ein Vorschlag von Ärzte ohne Grenzen. | |
Bild: Werbung für Safe Sex in Soweto: Südafrika hat die meisten HIV-Positiven… | |
Während der vergangenen Monate jagt eine Euro-Rettungsmeldung die nächste. | |
Immer neue Rettungsschirme und Zahlungsgarantien werden beschlossen. Als | |
medizinische Nothilfeorganisation stehen wir fassungslos vor den gewaltigen | |
Summen, die eingesetzt werden, und fragen uns, wann es endlich ein | |
Rettungspaket für die Millionen Menschen weltweit gibt, deren Leben direkt | |
vom Fehlen der einfachsten medizinischen Versorgung bedroht ist. | |
Seit vielen Jahren kämpfen Nichtregierungsorganisationen für die Einführung | |
einer Finanztransaktionssteuer (FTT). Die Konzepte der Zivilgesellschaft | |
sahen von Anfang an vor, die Einkünfte aus der FTT zur globalen | |
Armutsreduktion und zum Klimaschutz zu verwenden. Vergangene Woche haben | |
die Regierungschefs der G 20 nun erwartungsgemäß einer weltweiten | |
Einführung einer Finanztransaktionssteuer eine Absage erteilt. | |
Damit liegt der Ball jetzt bei den Europäern. Deutschland, Frankreich und | |
andere haben bereits erklärt, dass sie sich für eine solche Steuer | |
einsetzen möchten. Also handelt es sich um ein realistisches Projekt. | |
Völlig ungeklärt ist bisher jedoch die Frage, wie die Einnahmen aus einer | |
solchen Steuer verteilt werden sollen. Das Bündnis "Steuer gegen Armut" | |
streitet seit Jahren nicht nur für eine Einführung einer FTT, sondern auch | |
dafür, dass hieraus Gelder zur Armutsbekämpfung und zum Klimaschutz genutzt | |
werden. Aus der Arbeit in unseren Projekten wissen wir, welch wichtige | |
Rolle die Gesundheit bei der globalen Armutsbekämpfung spielt. | |
Eine Steuer, die Gesundheit finanziert, ist dringend nötig, weil die | |
Ressourcen zur Bekämpfung globaler Gesundheitsprobleme schrumpfen, | |
beispielsweise im Falle HIV/Aids. Die internationalen Mittel zur Bekämpfung | |
von HIV sind im Jahr 2009 das erste Mal seit Jahrzehnten und im Jahr 2010 | |
nochmals gekürzt worden. | |
Infolge der überwältigenden wissenschaftlichen Belege, dass die frühzeitige | |
Behandlung von HIV-Infizierten auch die Zahl der Neuinfektionen reduziert, | |
haben Regierungen zugesagt, die Anzahl der Menschen, die eine | |
antiretrovirale Therapie erhalten, bis zum Jahr 2015 auf 15 Millionen zu | |
erhöhen. Das scheint heute noch unmöglich, da das Geld dafür fehlt. Dies | |
hat fatale Folgen. Besonders deutlich wird das bei der Behandlung von | |
Schwangeren: Mit antiretroviralen Medikamenten können wir die | |
Übertragungsrate von HIV von Müttern auf ihre Kinder deutlich reduzieren. | |
Doch nicht nur im Falle von HIV könnte eine nachhaltige Finanzierung eine | |
große Wirkung erzielen: Malaria und Mangelernährung führen zu den meisten | |
Todesfällen bei Kindern in Afrika. Beides könnte effektiv angegangen | |
werden, wenn zum einen die richtige Behandlung und zum anderen ausreichend | |
adäquate Nahrung gegeben wird. Aber auch hier gibt es ein | |
Finanzierungsproblem. Vollmundige politische Willenserklärungen allein | |
retten kein mangelernährtes Kind. | |
## Zum Beispiel Masern | |
Direkt dem Geldmangel geschuldet ist auch die Ausbreitung von | |
Masern-Epidemien. Allein im vergangenen Jahr hat Ärzte ohne Grenzen 4,5 | |
Millionen Kinder gegen Masern geimpft, um den Ausbruch von Epidemien zu | |
verhindern oder einzudämmen. Dieses Jahr wird die Zahl sogar noch | |
übertroffen werden. | |
Jetzt in Gesundheit zu investieren, spart auch auf lange Sicht. Je früher | |
HIV-Infizierte zum Beispiel mit antiretroviralen Medikamenten behandelt | |
werden, desto später werden sie die wesentlich teureren Medikamente der | |
zweiten Therapielinie benötigen. Es ist auch weniger wahrscheinlich, dass | |
sie an anderen Krankheiten, vor allem an Tuberkulose, erkranken. Die | |
Sterblichkeit sinkt und die Lebensqualität steigt. Weniger Kinder werden zu | |
Waisen. | |
Auch der Gemeinschaft kommt es zugute, wenn Menschen früher behandelt | |
werden, da sich das Übertragungsrisiko reduziert. Infolgedessen würde auch | |
weniger Geld für teure Medikamente, Tuberkulose-Behandlungen oder die | |
Behandlung neuer HIV-Infektionen benötigt werden. Diese Beispiele machen | |
deutlich, wie wichtig ein Rettungspaket für globale Gesundheit ist und dass | |
dafür ein Teil der Einnahmen aus der FTT verwendet werden sollte. Wie | |
stehen nun die Chancen dafür? | |
## Steuer gegen die Armut | |
Auf den ersten Blick erstaunlich gut. Haben wir doch eine überraschende | |
Koalition, die sich dafür einsetzt, dass Mittel aus einer FTT auch für | |
Gesundheit eingesetzt werden: Bill Gates, Nicolas Sarkozy, | |
Nichtregierungsorganisationen im Bündnis "Steuer gegen Armut", | |
südafrikanische Aids-Aktivisten und seit Neuestem auch die südafrikanische | |
Regierung. Selbst die G 20, so unverbindlich sie bei der FTT ist, stellt | |
eine mögliche FTT in den Zusammenhang von Armutsfinanzierung. | |
Die Bundesregierung und die Europäische Kommission hingegen scheinen sich | |
weiter nicht festlegen zu wollen. Doch es wäre eine einmalige Chance | |
vertan, wenn die Einnahmen der FTT nicht auch in globale Gesundheit | |
investiert würden, sondern entgegen dem Anliegen der Zivilgesellschaft | |
ausschließlich in die Haushaltssanierung flössen. | |
Aber auch ein politisches Argument spricht für eine Nutzung der Einnahmen | |
für Gesundheit und andere Interessen der ärmeren Länder: Nur so ist es | |
möglich, in Ländern wie Südafrika oder Brasilien Unterstützung für eine FTT | |
zu gewinnen und die von der EU und der Bundesregierung angestrebte | |
Ausweitung der Steuer zu ermöglichen. | |
Mit der FTT könnte endlich auch in den ärmeren Ländern eine | |
Mindestgesundheitsversorgung gesichert werden, könnten Kinder geimpft, | |
Mangelernährung behandelt und die Ausbreitung von HIV und Tuberkulose | |
eingedämmt werden. | |
Indem einige europäische Länder die Einführung einer FTT ernsthaft erwägen, | |
haben Sie eine politische Vorreiterposition eingenommen. Jetzt müssen sie | |
auch praktisch Vorreiter werden und damit einer historischen Chance und | |
moralischen Verantwortung gerecht werden. Es besteht die Möglichkeit, die | |
Gesundheit in ärmeren Ländern drastisch zu verbessern und vielen Menschen | |
das Leben zu retten. | |
10 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Dörner | |
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