# taz.de -- Neues Album der Band Mutter: Wie eine angefahrene Blindschleiche | |
> "Mein kleiner Krieg" von Mutter macht klar: Nach fast 30 Jahren sind die | |
> Musiker um Max Müller immer noch schlecht drauf. Anders will man es auch | |
> nicht haben. | |
Bild: Bannerträger des Nihilismus - mittig: Max Müller. | |
Über das allseits vernehmbare Gejammer von Musikern, keine Alben mehr zu | |
verkaufen, kann die Berliner Noiserock-Band Mutter nur müde lächeln. | |
Auch als es der Musikindustrie in den neunziger Jahren finanziell noch | |
besser erging, waren Mutter als Band ziemlich erfolg- und mittellos. Und | |
das ist bis heute so geblieben. Nach übereinstimmenden Aussagen blieb bei | |
ihnen keine müde Mark hängen. | |
Selbst ihr längst als Klassiker gehandeltes Album "Hauptsache Musik" (1994) | |
mit seinen für Mutter-Verhältnissen unglaublich eingängigen Songs hat sich | |
bis heute angeblich gerade 2.000 mal verkauft. Immerhin. Um Geld, Karriere | |
oder sonstigen Popstar-Fummel ging es dieser eigenartigen Krachband mit | |
Wurzeln in der Westberliner Punkszene ohnehin nie. | |
## Null Bock auf Erfolg | |
Für Erfolg hätten sie auch Sachen machen müssen, auf die sie keinen Bock | |
haben. Und Erfolg kommt für diese kompromisslose, ja halsstarrige Band | |
nicht in Frage. Seit fast 30 Jahren ist Mutter nun schon eine Art Hobby von | |
Musikern, die ihre Miete mit Jobs beim Film oder als Künstler | |
zusammenkriegen. | |
Und wenn die Zeit reif ist, veröffentlichen sie halt mal wieder ein neues | |
Album auf dem bandeigenen Label "Die eigene Gesellschaft", touren mit einem | |
gemieteten Bus durch die Gegend und leiern ihre brachialen Konzerte | |
herunter, bei denen man vorher nie weiß, ob Mutter den Saal leer spielen | |
oder am Ende dann doch alle Zuschauer so elektrisiert und verschwitzt sind | |
wie Max Müller, der sich gerne auf dem Boden wälzende Sänger der Band. | |
Zwischen 2005 und 2010 herrschte Funkstille, bis Mutter vergangenes Jahr | |
aus heiterem Himmel mit dem Album "Trinken Singen Schießen" ankamen und | |
jetzt, irgendwie überraschend, schon wieder eines mit dem Titel "Mein | |
kleiner Krieg" hinterherschieben. Nanu? Mitten hinein in die | |
Herbstdepression, Griechenelend und Eurokrisenstimmung platzt dieses Album | |
mit seiner scheinbar nur zufällig zu Rock gewordenen Verweigerungshaltung, | |
die jede musikalische Entwicklung der letzten 15 bis 30 Jahre konsequent | |
ausblendet. | |
Und wirklich, die Musik von Mutter kriecht angenehm stumpf dahin, wie eine | |
angefahrene Blindschleiche. Keine Sorge, da wird kein Popdiskurs | |
vorangebracht und hinter all dem Ach und Weh, das hier die Hörer permanent | |
penetriert, verbirgt sich sicher auch keine popkulturtypische Ironie. | |
## Mit Cioran-Gütesiegel | |
Mutter sind so richtig schlecht drauf, anders will man es von dieser Band | |
auch bloß nicht haben. Die stur in Moll gehaltenen Songs dehnen und | |
strecken sich zu Schlagzeug-Gehumpel. Mehr Tempo würde bei der allgemeinen | |
Niedergeschlagenheit, die hier verströmt wird, nur stören. Der Bass grollt, | |
viel Akustikgitarre ist zu hören. Und urplötzlich erklingt mit "Kanndies" | |
sogar waschechter Punkrock, auf dem das Schlagzeug so schepprig klingt, als | |
wäre es im Übungsraum mit einem Kassettenrekorder aufgenommen worden. Passt | |
in der Dramaturgie gar nicht, aber auch dafür, dass etwas einfach nicht | |
passt, lieben wir Mutter. | |
Und für die angemessen misanthropischen Texte von Max Müller. Sie haben ein | |
hohes Verzweiflungslevel mit Cioran-Gütesiegel erreicht. Bereits mit den | |
Songtiteln wird eine Welt beschrieben, "wo die Sonne nicht scheint" und in | |
der man sich sicher sein kann: "Der Mensch ist eine traurige Maschine." Nur | |
noch weg von diesem Dasein, und so klagt Max Müller in "Regenwurm" auch: | |
"Ach könnt' ich doch ein Regenwürmchen sein." | |
Da ist keine Wut, kein Zorn, nur noch Nihilismus und die Feststellung, wie | |
aussichtslos alles Tun und Handeln ist. Wird es etwas bringen, gegen die | |
Banken auf die Straße zu gehen? Bestimmt nicht! | |
11 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
## TAGS | |
Musik | |
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